deshalb wirst du wohl auch an die Unparteilichkeit meines Urteils glauben, Neffe ... Nun, ich mu? dir aber sagen, da? mir in meinem Leben noch kein so bezauberndes Wesen vor Augen gekommen ist, wie unsere Prinzessin Amalie ... Ich erzahlte dir ja gern von ihrer wirklich engelgleichen Schonheit, wenn sie nicht mit einem schier unwiderstehlichen Liebreize ausgestattet ware, der hoch uber ihrer physischen Schonheit steht: das ist ihre Unschuld und Anmut, ihre Bescheidenheit, ohne da? sie sich in ihrer Wurde etwas vergabe ... Von der ersten Stunde an, da? der Gro?herzog mich mit ihr bekannt machte, habe ich fur dies allerliebste Madchen die lauterste Zuneigung empfunden ... Und mir geht es nicht allein so: seit einer Woche ungefahr ist Erzherzogin Sophie bei uns in Gerolstein: die stolzeste, hochmutigste Furstin, die ich kenne ...«
»Das stimmt, Tante! Wenigstens mochte ich ihrer Ironie niemals anheimfallen! Und ihrem bei?enden Witze entgehen tatsachlich nur sehr wenige ... In Wien wird die Erzherzogin gefurchtet, ohne Uebertreibung darf man das sagen ... Und vor ihren Augen hat Prinzessin Amalie Gnade gefunden?«
»Sophie schwarmt fur sie! Vorgestern machte sie dem Versorgungshause einen Besuch, das bekanntlich unter ihrem Protektorate steht, und da hat sie zu mir gesagt: »Nun, meine Liebe, das mu? ich sagen, Ihre neue Prinzessin wirkt ja richtig ansteckend durch ihre Seelengute ... ein so sanftes, liebenswurdiges, harmloses Wesen wie sie habe ich ja, so alt ich bin, noch nicht gesehen.«
»Ei,« sagte ich darauf zu meiner Tante, »da scheint die Prinzessin ja eine richtige Zauberfee zu sein!«
»In meinen Augen ist,« wiederholte die Tante, »eben die schon erwahnte Mischung von Wurde mit Sanftmut und Bescheidenheit der eigentliche Reiz, mit dem sie alle Gemuter bestrickt und ihrer physischen Schonheit eine ganz eigentumliche Steigerung verleiht. Ihr liebliches Antlitz gewinnt dadurch tatsachlich einen himmlischen Anstrich.«
»Und da? solche Eigenschaft bei Prinzessinnen nicht gerade haufig vertreten ist, erfahren wir jungen Manner leider recht oft zu unserm lebhaften Bedauern und nicht minder lebhaften Verdrusse.«
»Du darfst nicht vergessen, Neffe, da? diese Eigenschaft bei ihr um so hoher anzuschlagen ist, als sie ja erst seit kurzem zu ihrem Range erhoben worden ist. Ganz sicher la?t es auf einen hohen Grad von Gemutsstarke schlie?en, da? sie sich von aller Hoffart freizuhalten verstanden hat.«
»Hat sie, wenn sie mit Ihnen sprach, liebe Tante, ihrer fruheren Schicksale niemals erwahnt?«
»Nein, aber als ich ihr sagte, welche Achtung wir ihr als der Tochter unseres Landesherrn und Familienoberhauptes schuldig seien, und da? da Altersrucksichten nicht mitzusprechen hatten, da hat mich die Unbefangenheit, verschmolzen mit Erkenntlichkeit und Verehrung, ganz unsagbar ergriffen, zeigte mir doch ihre so liebenswurdige wie edle Zuruckhaltung, da? sie ihre jetzigen Verhaltnisse nicht etwa derart berauschten, da? sie alle Vergangenheit verga?e, da? sie im Gegenteil meinem Alter all die zarte Rucksicht entgegenbrachte, die ich ihrer hoheren Stellung bereitwilligst einraumte.«
»Es gehort wirklich,« bemerkte ich zu meiner Tante, »ein feiner Takt dazu, um diese zarten Nuancen zu unterscheiden.«
»Liebes Kind! je ofter ich die Prinzessin gesehen habe, desto mehr gratulierte ich mir zu dem ersten Eindrucke, den sie auf mich gemacht hatte. Was sie, seitdem sie hier ist, Gutes gestiftet hat, ist unglaublich; – und alles dieses mit einer Ueberzeugung, mit einer Reife des Urteils, die mich bei einer Person ihres Alters staunen machen. Urteile selbst! – auf ihre Bitte hat der Gro?herzog in Gerolstein eine Anstalt fur arme kleine verwaiste Madchen von funf bis sechs Jahren, und fur jene verwaisten oder verlassenen Madchen gegrundet, die sechzehn Jahre alt sind, dieses verhangnisvolle Alter fur die Unglucklichen, die schutzlos sind gegen Verfuhrung oder Not. Edle geistliche Frauen meiner Abtei beaufsichtigen und unterrichten die Zoglinge. So oft ich das Haus besuche, sehe ich, wie diese armen Madchen die gute Prinzessin anbeten. Jeden Tag bringt sie einige Stunden in der Anstalt zu, die unter ihrem besonderen Schutze steht, und ich wiederhole es Ihnen, liebes Kind! es ist nicht blo? Achtung, Erkenntlichkeit, was die Madchen und die geistlichen Frauen fur die Prinzessin fuhlen, sondern weit eher fanatische Schwarmerei.«
»Also ist die Prinzessin tatsachlich ein Engelsgeschopf!« rief ich.
»Wie du sagst, ja, wie du sagst!« erwiderte meine Tante, »denn du kannst dir nicht vorstellen, mit welch ruhrender Liebenswurdigkeit sie ihre Schutzbefohlenen behandelt, und mit welch frommer Sorgfalt sie uber ihnen wacht. Ich habe Ungluck noch nie mit solchem Zartgefuhl, mit solcher Schonung behandeln sehen – man mochte sagen, da? die Prinzessin sich von schier unwiderstehlichem Mitgefuhl zu dieser Klasse armer, verlassener Wesen hingezogen fuhlt. Konnen Sie es glauben, da? die Tochter eines regierenden Gro?herzogs die armen Dinger immer nur »meine lieben Schwestern« anredet?«
Zwei Stunden spater.
Ich mu? Dir bekennen, lieber Max, da? mir bei diesen Worten meiner Tante Tranen in die Augen treten wollten. Meinst Du nicht auch, da? solches Wesen ein Furstenkind mehr ziert als alles andere? Du wei?t, wie aufrichtig ich bin, und ich versichere Dir, da? ich die Worte meiner Tante Dir buchstablich genau mitgeteilt habe, und da? ich kein Jota vom Tatsachlichen auch furderhin abweichen werde.
»Aber, liebe Tante,« bemerkte ich, »wenn die Prinzessin wirklich ein so reizendes Wesen ist, dann wird es mir schwerlich leicht fallen, morgen bei der Vorstellung gleichgiltig zu bleiben. Du kennst ja meine hochgradige Schuchternheit und wei?t recht gut, da? mir ein vornehmer Charakter immer mehr imponiert als ein vornehmer Rang, und da? ich der Prinzessin deshalb morgen als recht bloder Simpel gegenuber treten werde, erscheint mir als ausgemacht ... Nun, komme es so oder anders: ich fuge mich im voraus in mein Schicksal!«
»La? nur gut sein, mein lieber Neffe,« versetzte darauf die Tante, »Prinzessin Amalie wird nachsichtig gegen dich sein. Zudem bist du ja auch fur sie gar nicht einmal eine neue Bekanntschaft.«
»Was sind das fur Reden, Tante!«
»Na, anders ist's doch nicht, Neffe!«
»Aber wieso?« fragte ich eifrig.
»O, du besinnst dich doch, da? du in deinem sechzehnten Jahre aus Oldenzaal mit deinem Vater nach Ru?land und England reistest, und da? ich damals von dir ein Bild malen lie? in dem Kostum, das du auf dem ersten Maskenballe trugst, den die verwitwete Frau Gro?herzogin gab.«
»O ja, darauf besinne ich mich allerdings noch, Tante,« sagte ich, »auch auf das Kostum eines Pagen aus dem sechzehnten Jahrhundert, das ich damals trug.«
»Nun, der wackre Kunstler, der das Bild malte, hat dich damals vorzuglich getroffen. Kurz nachdem die Prinzessin mit dem Gro?herzog in Deutschland angekommen, machten sie beide bei mir Visite, und dein Bild fiel ihr sogleich auf. Sie fragte mich ganz ungeniert, wer denn der hubsche Page aus verwichener Zeit sei. Der Gro?herzog lachelte und meinte: »Es stellt einen Vetter von uns dar, der jetzt wohl, nach der Tracht zu schlie?en, meine Liebe, an die dreihundert Jahre alt sein konnte, der jedoch zu seiner Zeit ein Ritter ohne Furcht und Tadel war und immer das Herz auf dem rechten Flecke gehabt hat ... Sage es doch selbst: Spricht aus seinem Blicke nicht Mut, und aus seinem Lacheln nicht Herzensgute?«
Erlaube, lieber Max, da? ich mich hier unterbreche: ich mochte aber nicht, da? Du hier ungeduldig und geringschatzig die Achseln zucktest! und ich glaube fast, Du tust es, wenn Du merkst, was fur wunderliche Begriffe ich uber mich selbst zu entwickeln anfange ... Aber es fallt mir schwer, anders zu schreiben, glaub mir! und in der Folge meines Berichtes werden Dir noch all die Umstande klar werden, die mich zu solchen Empfindungen bewegen mu?ten ... Drum breche ich den Zwischensatz hier wieder ab und fahre fort:
Meine Tante sagte weiter: »Unsre Prinzessin Amalie, getauscht durch diesen harmlosen Scherz, teilte mir die Ansicht ihres Vaters uber den so stolzen und doch wieder so sanften Gesichtsausdruck von dir mit und vertiefte sich eine Zeitlang in das Bild ... Als ich sie spater wieder in Gerolstein traf, hat sie mich mit schelmischem Lacheln gebeten, ihr doch zu sagen, ob uber jenen »Neffen aus der guten alten Zeit« wieder etwas zu horen gewesen sei? Da habe ich ihr den kleinen Betrug offen bekannt und ihr gesagt, da? der schmucke Page aus dem 16. Jahrhundert kein anderer sei als mein Neffe, Prinz Heinrich von Herkausen-Oldenzaal, und da? er, vom Kostum abgesehen, dem Originale tauschend ahnlich sei, in seinem 21. Lebensjahre stehe und Gardekapitan Seiner k. k. Apostolischen Majestat des Kaisers von Oesterreich sei ... Ich sage dir, Neffe, wie die Prinzessin diese Aufklarung aus meinem Munde horte, ist sie kirschrot geworden, gleich darauf aber wieder bitter ernst, wie sie es gewohnlich ist. Aber gesprochen hat sie seitdem von dem Bilde kein einziges Mal mehr. Daraus aber kannst du ersehen, lieber Neffe, da? du ihr gar nicht so wildfremd erscheinen wirst, wie du es dir gedacht hast, im Gegenteil deiner Cousine ein recht bekanntes Gesicht zeigen wirst ... Mach dir also keinerlei Sorge, sondern bestrebe dich vielmehr, deinem Konterfei alle mogliche Ehre anzutun.«
Diese Unterhaltung hat, wie schon gesagt, lieber Max, am Abend vor dem Tage stattgefunden, an welchem