ganzes Leben unglucklich machen wollte, noch einmal ihr Gewissen schlagen horen und war der Schande abermals entflohen. Und um wessen Willen setzte sie sich ihr aus? Warum nahm sie also solche Gefahr auf sich? Rudolf kannte die Welt und das menschliche Herz. Nach den fluchtigen Andeutungen der Pfortnersfrau meinte er uber den Charakter des Seladons, der die Wohnung im ersten Stocke gemietet hatte, vollig im klaren zu sein. Aber Rudolf kannte doch auch die Frau des Marquis, und zwar als eine Dame von Geist, Gemut und Geschmack. Rudolf wu?te, da? ihr Ruf nie auch nur durch den leisesten Hauch getrubt worden war. Er konnte sich unmoglich denken, da? sie hinter diesem Abenteuer stecken solle. – Als die Pfortnerin wieder sichtbar wurde, fragte Rudolf, wer denn eigentlich im zweiten Stocke wohne? – »Eine Frau Burette, die sich ihr Brot auf recht bequeme Weise, durch Kartenlegen namlich, verdient. Es kommen die vornehmsten Leute zu ihr, und sie la?t sich horrend bezahlen. Uebrigens ist die Wahrsagerei nicht ihr einziges Geschaft.« – »So? Und was treibt sie weiter?« – »Sie gibt Geld auf Pfander. Mit dem Gesetz vertragt sich das freilich nicht; aber wenn die Menschen immer blo? tun wollten, was gesetzlich erlaubt ist, da konnten wohl gar viele die Hande in den Scho? legen. Das wenigstens ist meine Meinung. Die Burette gibt aber niemals einen Schein aus der Hand, und so hat die Polizei eben gar keine Beweise wider sie in der Hand und mu? es sich gefallen lassen, da? sie von der Frau verlacht wird. Ich wunschte Sie konnten einmal sehen, was alles zu der Frau hingeschleppt wird.« – »Treibt die Person etwa noch andere Geschafte?« – »Nein, nicht da? ich wu?te ... Daruber wei? freilich niemand Bescheid, was sie in einem kleinen Stubchen vornimmt, zu welchem kein Mensch Zutritt hat au?er Rotarm und einem alten einaugigen Weibe, das den Spitznamen Eule fuhrt.«

Rudolf sah die Frau verwundert an, die sich aber dadurch nicht beirren lie?, sondern meinte: »Ein possierlicher Name, nicht wahr?« – »Allerdings. Kommt die Frau oft her?« – »Jetzt hat sie sich sechs Wochen lang nicht sehen lassen, vorgestern war sie aber wieder da. Sie geht ein bi?chen lahm.« – »Und was hat sie bei dieser Frau Burette – so nannten Sie sie doch? – zu tun?« – »Ja, wer kanns wissen? Ich habe blo? bemerkt, da? beide – Rotarm sowohl als die Eule – wenn sie in das Stubchen eintreten, immer ein Paket unterm Arme haben, aber keines wieder mit hinausnehmen. Ganz geheuer ists in dem Stubchen nicht, denn immer riechts nach Schwefel, wenn sie drin sind, und fortwahrend hort mans dann blasen, als wenn x Blasebalge arbeiteten. Ich denke mir, die Frau Burette hat allerhand Hexenwerk vor. Das denkt auch Herr Bradamanti, der oben im dritten Stock wohnt. O, das ist ein gar gelehrter Herr, dieser Bradamanti! Ein Italiener von Geburt, aber einer, der sich auf alle Krauter versteht und den Menschen die Zahne auszieht wie das Donnerwetter, auch mit einem Haarwasser handelt, das an jeder Stelle des menschlichen Korpers einen richtigen Pelz hervorzaubert, sobald es, hei?t das, genau nach Vorschrift angewandt wird, die nun freilich etwas sehr kompliziert sein soll. Er schneidet auch Huhneraugen und versteht, kranke Magen auszupumpen, und allerhand schone Kunste noch. Seit etwa vier Wochen hat Rotarm ihm seinen lahmen Jungen in die Lehre gegeben, um ihm Zucht und Sitte beizubringen, denn Rotarm hat alles Ernstes Bange, da? der Junge, wenn er ihn weiter so verwildern la?t, noch einmal am Galgen baumelt. Und so unrecht mag er damit wohl auch nicht haben, denn der Junge ist tatsachlich boshaft wie ein Affe und spielt dem ehrlichen Bradamanti manchen Teufelsstreich. Und Bradamanti hat schlie?lich auch Ursache, den Vorsichtskommissarius zu spielen, denn hin und wieder wird er auch von Madchen aufgesucht, die unter den Folgen eines zu liebevollen Herzens zu leiden haben ...«

Die Pfortnersfrau raunte Rudolf ein paar Worte ins Ohr, die ihm ein gewisses Gruseln verursachten ... »Das sind ja recht garstige Geschichten,« sagte er, »die Sie da erzahlen,« und blickte sich entsetzt um, als ob auf dem Hause ein boser Fluch laste ... »Sind denn solche Schandtaten wirklich moglich?« sagte er halblaut vor sich hin, »und kann ein Mensch dabei so ruhig und gleichgiltig bleiben wie diese alte Frau, wenn sie einem solch gra?liche Dinge mitteilt?« Und wieder dachte er des Briefes an den Scharlatan, der auf so geringwertiges Papier mit verstellter Hand geschrieben und dessen Adresse zum Teil verwischt war. In den Tranen, die darauf gefallen waren, meinte er den Schlussel zu einem grausigen Drama zu wittern, und eine Ahnung schien ihm zu sagen, da? die uber den Italiener im Umlauf befindlichen schrecklichen Geruchte des triftigen Grundes nicht entbehrten!

Zweites Kapitel.

Herr Pipelet, der Pfortner.

Der Leser moge dessen eingedenk bleiben, da? sich die Ereignisse, von denen hier die Rede ist, im Jahre 1838 zutrugen. Als eine Figur dieser Zeit mag er sich auch den Mann vorstellen, mit dem wir uns jetzt befassen mussen. Ernst und bedachtig tritt er in die Stube herein, der Mann mit der Riesennase, dem Riesenschmerbauch und dem Pachuner-Gesicht, das an die alten Nu?knacker Alt-Nurnbergs erinnert, der den Namen Pipelet tragt und nun wohl an sechzig Jahre zahlen mag. Sein Haupt ist bedeckt mit einem breitkrempigen Hute, den das hohe Alter rostrot gefarbt hat. Der alte grune Frack, den er tragt, hat ein paar Riesenscho?e, die vor Speck glanzen, und Klappen, die so starr von Schmutz geworden sind, da? sie richtig vom Leibe abstehen.

Der Mann gru?te Rudolf zwar freundlich, aber in die Freundlichkeit war herber Wermut gemischt. – »Du, Alfred,« sagte die Frau, »der Herr will die Stube mit dem Kabinett oben im vierten Stock mieten, wir haben auf dich gewartet und unterdes ein Glaschen von dem Besten da genippt.« – Diese Liberalitat gewann Rudolf das Herz des Biedermanns auf der Stelle. Die Rechte an den Vorderrand seines rostfarbenen Hutes legend, sagte er mit einer eines Schulkantors nicht unwurdigen Ba?stimme: »Sie durfen sich darauf verlassen, da? wir alles zur vollsten Zufriedenheit verrichten werden, was unsers Amtes als Pfortner des Hauses ist, in welches Sie als Mieter einzuziehen die lobliche Absicht haben.« Darauf machte er eine Pause und setzte hinzu: »Blo? eins mu? ich mir ausbedingen: Maler durfen Sie nicht sein.« – »Warum nicht? Haben Sie schon mal einen Maler im Hause gehabt?« – »Leider, leider,« erwiderte Pipelet, »obendrein einen, der Cabrion hie?, der mir zugesetzt hat wie – na, wie ein Henker! Aber jetzt – jetzt gehort ihm meine Verachtung, meine ma?lose Verachtung.« Und Pipelet ballte bei der Erinnerung an den Menschen, der ihn aufs Blut drangsaliert hatte, beide Fauste.

»War es der letzte Mieter der Wohnung, um die wir beide handeln?« fragte Rudolf. – »Nein. Nach ihm hat ein netter Mensch in der Wohnung gehaust: ein junges Kerlchen namens Germain, Francois Germain, und vor Germain hat Cabrion drin gewohnt. Aber an den, Herr, denke ich, so lange ich lebe. Das war ein Kerl, der einen ins Narrenhaus bringen konnte.« – Und in heftiger Erregung lief Pipelet auf und ab. – »Denken Sie nur, Herr Rotarm hat ihm, blo? um ihn loszuwerden, den Zins auf ein halbes Jahr wieder herausgezahlt! Sie wissen doch wohl schon, da? Rotarm alle Mieten kassiert, den Oberverwalter spielt, usw. Nein! von den gra?lichen Streichen, die er uns allen im Hause gespielt hat, dieser Cabrion, meine ich, hat niemand eine Ahnung. Der Kerl spielte alle nur erdenklichen Blasinstrumente, um uns zu argern! Pfeife, Fagott, Harmonika, Posaune, Trompete und – schrecklich! sogar – zwei Floten, sage ich! Alle Kater und Katzen rannten uber die Dacher auf und davon, und was war die Folge? Scharen von Ratten und Mausen hielten bei uns Einzug!« – »Na, da kann man sich freilich denken, da? Sie von Malern nichts mehr wissen mogen,« meinte Rudolf, »aber desto zufriedener waren Sie mit seinem Nachfolger, dem Herrn Germain?« – »O, das war ein netter Mensch, dienstwillig, treu wie Gold, gar nicht stolz, aber recht fidel, das hei?t auf seine Art, ohne jemand beschwerlich zu werden, wie dieser Cabrion, den ich lebendig in die Holle wunsche.« – »Na, mein lieber Pipelet,« redete Rudolf ihm zu, »denken Sie nur nicht mehr an ihn! Sagen Sie mir lieber, welchen Hausbesitzer hat denn dieses Juwel von Mieter, wie man sich Herrn Germain nach Ihrer Beschreibung vorstellen mu?, begluckt?« – »Kanns nicht sagen,« antwortete Pipelet, »kein Mensch wei? es und kein Mensch soll es wissen, wo sich Herr Germain aufhalt, allein ausgenommen unsere Lachtaube.« – »Wer ist denn das?« fragte Rudolf. – »Eine Naherin, die auch in unserm vierten Stocke wohnt,« erklarte der Pfortner, »eine andere Perle, aber im besten Sinne gemeint, denn sie bezahlt ihre Miete immer punktlich voraus und halt auf gro?e Reinlichkeit in ihrem Stubchen, ist auch gegen jedermann so artig und nett, ist flei?ig und bringt es oft uber zwei Franks den Tag.«

»Das interessiert mich weniger,« sagte Rudolf, »als wie es kommt, da? Fraulein Lachtaube Herrn Germains Wohnung kennt?« – »Hm, als er auszog,« erklarte die Frau, »sagte Germain zu uns: Briefe erwarte ich keine mehr; sollte aber noch einer kommen, dann geben Sie ihn nur dem Fraulein Lachtaube.« – »Ja,« bemerkte Pipelet, »gegen das Madchen lie?e sich gar nichts sagen, wenn sie nicht die Torheit begangen hatte, sich von diesem Scheusal von Cabrion die Kur machen zu lassen.« – »Ach, schwatz doch kein dummes Zeug!« sagte die Frau, »das liegt doch blo? daran, da? die beiden Leutchen oben zusammen im vierten Stock wohnten. Da? es dem Madchen nicht ernst darum zu tun war, wei?t du ja ebensogut wie ich.« – »Herr Germain hat sich wohl auch mit dem Madchen ganz gut vertragen?« fragte Rudolf mit einem spottischen Seitenblicke. – »O, der erst recht,« antwortete eifrig die Frau, »die beiden sind ja ohnehin wie fureinander geschaffen, sind beide hubsch und jung und« ... –

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