hervorragenden Chemikers stand. Diesmal aber war die Wahl des Gro?herzogs auf keinen Mann von edler Gesinnung, wie Murph es war, gefallen, sondern auf einen heuchlerischen, boshaften und gottlosen Menschen, der unter einer frommelnden Au?enseite den schlimmsten Unglauben verbarg, wohl eine hervorragende Menschenkenntnis besa?, aber die Menschen blo? von ihrer schlimmen Seite her kennen gelernt und ausgenutzt hatte, mit einem Worte der gefahrlichste Mentor fur einen jungen Furstensohn war, der ihm Zur Seite gestellt werden konnte.
Rudolf gab das freie, ungebundene Leben, das er mit seinem ersten Erzieher gefuhrt hatte, ungern auf und mochte nichts davon wissen, sich hinter die Bucher zu setzen und sich den zeremoniellen Sitten am vaterlichen Hofe zu fugen. Vom ersten Augenblick an begegnete er dem italienischen Abbe mit dem au?ersten Widerwillen, der seinerseits alles aufbot, sich bei dem jungen Prinzen in Gunst zu setzen, und ihm deshalb in allem freien Willen lie?. Wahrend Rudolf fast allen Unterricht schwanzte, stellte Polidori ihn dem Gro?herzog als den flei?igsten Schuler dar, den er je besessen, verschwieg ihm des Sohnes Abneigung gegen jedes Studium, drillte ihn fur ein paar Prufungen, die in Gegenwart des Gro?herzogs abgehalten werden mu?ten, und erreichte auf diese Weise bei seinem Zoglinge, da? dessen Widerwille schwand und einer gewissen Kordialitat das Feld raumte, die aber von der tatsachlichen Liebe und Zuneigung, die er fur Murph im Herzen trug, himmelweit verschieden war. Der Italiener war sich daruber keine Sekunde im unklaren, war aber zu pfiffig, es sich im geringsten merken zu lassen, reizte statt dessen die Phantasie des ihm anvertrauten Junglings durch uppige Schilderungen vom Hof- und Furstenleben, wie es zurzeit eines Ludwig XIV. geherrscht hatte, und beteuerte wiederholt, da? einem glucklich begabten Fursten extravagante Genusse nicht blo? nicht schadlich, sondern vielmehr insofern hochst forderlich seien, als sie seinen Sinn der Gnade und Milde zuganglich machten. Dergleichen Unterhaltungen waren naturlich Gift fur ein jugendliches und feuriges Gemut, und an dem vaterlich sittenstrengen Hofe, wo es nur harmlose Zerstreuungen und Genusse gab, traumte nun Rudolf von wusten Orgien und tollen Nachten, von Hirschparks- Freuden und hin und wieder wohl auch von einer romantischen Liebelei.
So war ein weiteres Jahr ins Land gegangen. Der wackere Murph war noch immer nicht nach Gerolstein zuruckgekehrt, wurde nun dort aber bald erwartet.
Ungefahr zusammen mit ihm tauchten Tom und Sarah am Gerolsteiner Hofe auf, und es dauerte nicht lange, so hatte sich zwischen Tom und Polidori, die beide in dem geraden, ehrlichen Murph einen Todfeind witterten, eine hochst bedenkliche »
Sechstes Kapitel.
Erste Liebe.
Rudolf, der nun die schone Schottin taglich sah, verliebte sich bald rasend in sie, und auch Sarah lie? mit dem Gegengestandnis ihrer Liebe nicht warten, doch unterlie? sie nicht, ihn gleich auf den Rangunterschied zu verweisen, der sich ihrem Glucke zweifellos entgegensetzen werde. Sobald nun Tom sah, da? Rudolfs Leidenschaft auf den hochsten Grad gestiegen war, ja da? ein Eclat, der alles verderben konnte, fast unvermeidlich schien, beschlo? er, einen Hauptcoup zu fuhren. Er zog den Italiener ins Vertrauen, dessen Charakter als Abbe ja eine vertrauliche Mitteilung durchaus rechtfertigte, und bekannte ihm, da? die Beziehungen zwischen dem Erbgro?herzog Rudolf und seiner Schwester sich derart gestaltet hatten, da? die Heirat zwischen ihnen unbedingte Notwendigkeit geworden sei, falls er nicht mit der Schwester uber Nacht aus Gerolstein verschwinden sollte. Ehe er zugeben konne, da? seine Schwester in Schande fiele, sahe er lieber, sie sturbe. Toms hochfliegender Plan setzte Polidori in helle Verwunderung, denn fur so ehrgeizig hatte er Toms Schwesterchen nicht gehalten; er erklarte Tom ruckhaltlos, da? der Gro?herzog in solche Verbindung nun und nimmer willigen werde, und setzte ihm auch die Grunde, die es ihm wehrten, auseinander. Tom wandte gegen diese Grunde nicht das geringste ein, warf aber die Frage auf, ob sich nicht mit einer heimlichen Vermahlung rechnen lassen sollte, von der die Offentlichkeit erst nach dem Ableben des Gro?herzogs erfuhre... Da Sarah einer alten Adelsfamilie Schottlands entstammte, ware solche Losung vielleicht nicht ausgeschlossen, zumal sie ja nicht ohne Prazedenz sei; Tom ersuchte Polidori in seiner Eigenschaft als Mentor des Prinzen, ihm in langstens acht Tagen bestimmten Bescheid zu geben, da seine Schwester langer nicht mehr in ihrer qualenden Ungewi?heit verbleiben konnte.
Der Abbe befand sich in der gro?ten Verlegenheit. Machte er dem Gro?herzog Anzeige, so lief er Gefahr, sich den prasumptiven Thronfolger auf alle Zeit zu entfremden; klarte er diesen auf uber die ehrgeizigen Absichten, die Toms Schwester verfolgte, so setzte er sich in das schiefe Licht, der Dame des prinzlichen Herzens eine Schlappe beifugen zu wollen; wie konnte er ermessen, mit welchen Absichten der junge Prinz sich truge? wie er eine Moralpredigt hinnehmen wurde? Bot er anderseits die Hand zu der von Tom angeregten Heirat, so stand es au?er Zweifel, da? er sich nicht blo? Tom und Sarah, sondern auch den Prinzen zu Dank verpflichtete, und so beschlo? er auch, doch unter einem bestimmten Vorbehalte, Toms Schwester zu diesem Ehebunde behilflich zu sein. Er hatte sich hinsichtlich Rudolfs Herzens auch nicht geirrt, denn als er diesem die Moglichkeit zeigte, sich durch eine heimliche Vermahlung in den Besitz des geliebten Weibes zu setzen, hatte wenig gefehlt, so ware dieser ihm um den Hals gefallen. Er nannte ihn seinen Retter, seinen besten Freund, ja seinen zweiten Vater. Nun sah sich Polidori nach Zeugen fur die Trauung um und fand sie auch in der Person eines Geistlichen und eines Gutspachters der Umgegend. Nun wurde wahrend einer zufalligen Abwesenheit des Gro?herzogs Rudolf mit Sarah getraut, und die Wahrsagung der alten Hochlanderin war zur Wahrheit geworden: Sarah war die Gattin eines Thronerben geworden!
Das von Tom und Polidori im Schach gehaltene junge Paar wu?te sich so geschickt zu benehmen, da? niemand am gro?herzoglichen Hofe irgend etwas ahnte. Im ersten Vierteljahr dieses Verhaltnisses pries sich Rudolf als den gluckseligsten Menschen unter Gottes Sonne. Er bereute den Schritt auch nicht, als an Stelle der Leidenschaft ruhige Ueberlegung trat, entsagte vielmehr gern um des Besitzes des ihm angetrauten Weibes willen all jenen Traumen von einem uppigen Leben, die durch Polidoris Schilderungen in seinem Gemut erwacht waren. Da sollte ein von Sarah mit Ungeduld erwartetes Ereignis die Ruhe, die noch immer in Gerolstein herrschte, in wilden Sturm verwandeln. In ihrer Herzensnot kam Sarah auf den Gedanken, dem Gro?herzog, der sie, wie seine Mutter, ganz in sein Herz geschlossen hatte, alles zu bekennen. Rudolf erschrak davor, denn wenn er sich auch der Liebe seines Vaters versichert halten durfte, so kannte er anderseits doch dessen starre Grundsatze, wenn es sich um Furstenpflicht handelte. Auf all seine Einwande aber hatte Sarah nur die rucksichtslose Antwort: »Ich bin deine Frau vor Gott und den Menschen. Wie kannst du mir zumuten, ob des Zustandes, in den du mich versetzt hast, zu erroten? Habe ich nicht vielmehr allen Grund, stolz darauf zu sein? Warum willst du mir wehren, mich solches Zustandes laut zu ruhmen?«
Die Aussicht, Vater zu werden, hatte Rudolfs Liebe zu Sarah verdoppelt, und so hatte Tom, der die Partei seiner Schwester energisch nahm, leichtes Spiel, bekam jedoch insofern einen Strich durch die Rechnung gemacht, als ihm vom Gro?herzoge der Befehl erteilt wurde, die Gestute des Landes einer Inspektion zu unterziehen. Dadurch wurde er auf die Zeit von vierzehn Tagen vom Hofe fern gehalten. Sarah versprach ihm tagliche Nachricht uber den Fortgang der Angelegenheit, aber in einer Gesellschaft bei der Gro?herzogin-Mutter sollte es zu dem Eclat kommen, den Tom so gern vermieden hatte. Au?er Sarah waren noch verschiedene Hofdamen anwesend, und als Sarah von der Gro?herzogin-Mutter aufgefordert wurde, sich zu ihr zu setzen, zischelten die ubrigen Damen ... denn auch die unerfahrensten konnten die Augen nicht mehr verschlie?en vor dem, was Sarah gar nicht mehr verhehlen wollte, denn den gesegneten Zustand hatte ihr jetzt wohl kaum jemand schon angesehen, wenn sie es nicht besonders darauf angelegt hatte, sich damit zu brusten, in der Absicht, Rudolf zum Eingestandnis seiner Ehe mit ihr zu zwingen. Die Gro?herzogin-Mutter mochte ihren Augen nicht trauen und sagte leise zu Sarah: »Aber, mein liebes Madchen, Sie haben sich heute gar nicht vorteilhaft gekleidet. Sonst la?t sich Ihre Taille mit den Fingern umspannen, heute aber kennt man Sie ja gar nicht wieder!«
Ueber die schrecklichen Ereignisse, welche dieser Entdeckung fast auf dem Fu?e folgten, wird der Leser