»Wenn Hoheit mir einen Moment Gehor schenken wollen,« sagte er, »so bitte ich, mir in das kleine Zimmer nebenan zu folgen, wo uns niemand horen kann. Ich mochte Ihnen kurz uber die Erkundigungen berichten, die ich fur Sie einholen sollte.« – Rudolf folgte dem Baron.. »Die einzige Herzogin, auf die die beiden Initialen N. und L. passen konnen, ist die Herzogin von Lucenay, geborne von Noirmont,« sagte der Baron, »sie ist heute abend anwesend; eben habe ich ihren Mann gesehen, der vor funf Monaten eine Reise nach dem Orient unternahm, die ungefahr ein Jahr hatte dauern sollen, von der er aber vor einigen Tagen unvermutet zuruckgekehrt ist.«

Rudolf durchschaute alles. Besondere Veranlassung, sich fur die Dame zu interessieren, hatte er nicht; es schauderte ihm aber bei dem Gedanken, da?, wenn sie wirklich bei dem Scharlatan gewesen war, ihr Name diesem Schurken bekannt sein mu?te, der tatsachlich kein anderer als der Abbe Polidori war und ihr den lahmen Jungen hinterher geschickt hatte, und da? nun von ihm jeder Mi?brauch mit dem furchtbaren Geheimnis, das die Frau in seine Hande gegeben hatte, getrieben werden konnte, und auch werden wurde!

»Gerade als mir Herr von Grangeneuve,« fuhr Baron Graun fort, »hieruber Aufklarung gab mit dem Beifugen, da? die unvermutete Ruckkehr des Herzogs seiner Gemahlin und einem unserer ersten Elegants, dem Vicomte von Saint-Remy, hochst ungelegen komme, stellte er noch die Frage an mich, ob ich meinte, da? Eure Durchlaucht geruhen wurden, sich dem Vicomte vorstellen zu lassen? Der Vicomte ist namlich der Gerolsteiner Gesandtschaft attachiert worden und wurde sich glucklich schatzen, Eurer Durchlaucht sein Aufwartung machen zu durfen.«

Rudolf konnte eine Bewegung der Ungeduld nicht unterdrucken und sagte: »Es kommt mir hochst ungelegen, aber abschlagen kann ich es doch auch nicht. Sagen Sie meinetwegen dem Grafen **, er moge so freundlich sein, mir Herrn von Saint-Remy vorzustellen.«

Der Graf kam mit dem Vicomte, einem schonen jungen Herrn von etwa 25 Jahren, schlanker Figur und tadelloser Haltung, wie auch einnehmendem Gesicht, das mit einem dichten, seidenweichen Schnurrbart geziert war, wahrend Kinn und Wangen glatt waren wie bei einem Madchen. Die langen Schleifen seiner Halsbinde wurden von einer einzigen Perle zusammengehalten, die durch ihre Gro?e, die Reinheit ihrer Form und ihren blendenden Glanz von unschatzbarem Wert war. Der Vicomte besa? einen sehr gro?en Rennstall und trieb einen ma?losen Luxus mit Pferden und Karossen. Er war auch ein Liebhaber vom Spiel, und seine Wetten bei den jahrlichen Rennen bezifferten sich auf 2–3000 Louisdor im Minimum. Das Haus, das er in der Rue de Chaillot fuhrte, galt als Muster von Pracht und Eleganz, und doch war es stadtbekannt, da? er sein ganzes vaterliches Erbe schon lange vergeudet hatte. Bose Zungen erklarten seinen Aufwand nur deshalb fur moglich, weil er Beziehungen zu der steinreichen Herzogin von Lucenay unterhielt, wie es ja auch von seiten der Grafin Sarah geschehen war. Es wurde aber hierbei ubersehen, da? der Herzog die Hand auch auf dem Vermogen seiner Frau hielt, und da? der Vicomte von Saint-Remy im Jahre wenigstens 50,000 Taler verausgabte. Noch andere wollten wissen, da? er mit den Jockeys bei den Rennen unter einer Decke steckte. Die meisten indessen kummerten sich uberhaupt nicht darum, woher der Vicomte das Geld nahm, das er jahrlich mit so freigebiger Hand unter die Leute brachte, gehorte er doch durch seine Geburt der hochsten Aristokratie des Landes an, uber deren Hilfsquellen sich damals niemand den Kopf zu zerbrechen pflegte. Von der Damenwelt wurde er vergottert, war er doch ein junger, stattlicher Mann und auch ein sehr schoner Mann.

Die Vorstellung erfolgte in der ublichen Weise, Rudolf wechselte ein paar Worte mit dem neuen Mitgliede der Gerolsteiner Gesandtschaft, nickte dann leicht zum Zeichen, da? der Vicomte entlassen sei, worauf dieser sich tief verbeugte und zurucktrat. Rudolf war ein scharfer Menschenkenner, fur den ein Blick genugte, sich uber jemandes Charakter ein Urteil zu bilden. Gegen den Vicomte fa?te er auf der Stelle Widerwillen, denn aus seinen Augen meinte er hinterhaltige Schlauheit leuchten zu sehen. – In tiefen Gedanken uber das seltsame Zusammentreffen, das der Zufall herbeigefuhrt hatte, begab sich Rudolf wieder nach dem Wintergarten und setzte sich in ein geheimes, verstecktes Platzchen im Treibhause, neben ein Dickicht, das von einem hohen Pisangbaume fast ganz verdeckt wurde. Eine kleine, durch Gitterwerk maskierte Tur, die uber einen langen Korridor zum Buffetsaale hinfuhrte, unfern von Baum und Dickicht, stand halb offen.

Eine Weile sa? er hier in Sinnen versunken, als er durch eine ihm wohlbekannte Stimme aufgeschreckt wurde, die seinen Namen nannte. Auf der andern Seite des kleinen Dickichts sa?, unsichtbar fur ihn, wie er fur sie, die Grafin Sarah mit ihrem Bruder Tom, in englischer Sprache sich mit ihm unterhaltend. Tom war nur wenige Jahre alter als Sarah, hatte aber schon schneewei?es Haar. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck von untilgbarer Zahigkeit und Willensstarke. Sein Blick war finster, und seine Stimme klang hohl. In seinem Gemut schien ein tiefer Schmerz oder Ha? zu wohnen. Was Rudolf horte, war das folgende Zwiegesprach ...

»Die Marquise hat sich auf eine Weile auf den Ball bei Nervals begeben, glucklicherweise aber entfernt, ohne mit Rudolf gesprochen zu haben. Ich habe immer den Einflu? gefurchtet, den er auf sie ubt, und den ich mit bestem Willen nicht bekampfen kann. Fruher oder spater wird die Frau, die ich immer instinktiv gefurchtet habe, und die meinen Planen doch einmal hinderlich werden wird, in ihr Verderben rennen.« – »Ich glaube, du befindest dich mit all diesen Vermutungen im Irrtum, denn nach meiner Ueberzeugung hat Rudolf sich nie mit der Marquise befa?t.« – »Das glaube ja nicht!« erwiderte Sarah; »die Marquise hat, wie ich ganz bestimmt glaube, vor Rudolf keinen Mann geliebt; erst er hat in ihrem Herzen gezundet. Ich habe versucht, durch Gerede, das ihn verdachtigen mu?te, diese Liebe im Aufkeimen zu ersticken, aber das Bedurfnis nach Liebe war in ihrem Herzen erwacht, und als sie bei mir jenen Karl Robert sah, fiel ihr seine Schonheit auf, wie man von einem schonen Gemalde frappiert wird. Leider ist der Mensch ebenso albern wie schon, hat aber einen hochst sentimentalen Ausdruck in seinem Blicke. Ich pries den Adel seiner Seele und die Hoheit seines Charakters, kannte anderseits die angeborne Gutmutigkeit der Marquise und riet Robert, sich immer recht betrubt zu stellen, immer zu seufzen und vor allem recht wenig zu sprechen. Durch seinen Gesang, sein Aussehen, vor allem aber durch seine Melancholie hat er es fast zu stande gebracht, sich die Liebe der Marquise zu erwerben. Sie sahen einander hin und wieder unter vier Augen bei mir, und etwa dreimal in der Woche musizierten wir drei zusammen. Der sentimentale Jungling seufzte, lie? ein paar su?e Worte fallen, steckte ihr auch dann und wann ein Liebesbriefchen zu. Vor allem aber ging es ihm darum, ein Stelldichein von der Marquise bewilligt zu erhalten, aber ihre Liebe war doch nicht stark genug, sie aller Grundsatze zu uberheben. Es dauerte eine geraume Weile, bis sie sich endlich entschlo?, aus Mitleid mit der Verzweiflung ihres stummen Anbeters ihre Einwilligung zu einem Stelldichein zu geben. Aus Freude oder wohl mehr aus Stolz machte er mich mit seinem Gluck bekannt, aber als die Stunde des Stelldicheins gekommen war, lie? sich die Marquise nicht sehen, und so war es beim zweiten, wie auch beim dritten Male.« – Sie schwieg eine Weile, wie wenn sie auf eine Aeu?erung Toms wartete. Da sie ausblieb, nahm sie wieder das Wort ... »Du siehst, wie schwer sie kampft. Und warum kampft sie? Weil ihr noch immer Rudolf im Sinne liegt. Aber heute abend hat sie abermals diesem Robert eine Zusammenkunft versprochen, und diesmal wird sie, wie ich bestimmt meine, ihr Wort halten.« – »Und worauf stutzt sich diese Zuversicht?« fragte Tom. – »Lucenay hat ihn tief gekrankt und lacherlich gemacht. Aus Mitleid wird sie ihm bewilligen, was sie sonst wohl kaum bewilligt hatte.«

»Und mit welchen Planen tragst du dich nun?« fragte Tom. – »Dieser Robert wird nicht verstehen, da? eine Frau, wie die Marquise, sich aus Mitleid zu einer solchen Handlung bestimmen lassen kann, und dieser Mangel an Verstandnis wird die Marquise gegen ihn einnehmen und nach Verrichtung ihrer Illusion wieder an Rudolf ketten; sie mu? aber fur Rudolf fur immer verloren sein! Hat er sie nun im Verdachte eines Abenteuers, bei dem er keine wirkende Rolle spielt, so wird er sie verabscheuen.« – »Du willst also den Marquis unterrichten?« – »Gewi?, und noch heute abend. Nach ihren Reden hat er ja bereits eine Ahnung, wei? aber nicht, gegen wen er seinen Verdacht richten soll. Es ist Mitternacht. Wir verlassen den Ball. Du begibst dich ins erste beste Kaffeehaus und teilst Herrn von Harville durch ein kurzes Billet mit, da? seine Frau sich morgen um ein Uhr nach der Rue du Temple begeben wolle, um da mit einem Galan zusammenzutreffen. Er ist eifersuchtig wie ein Mohr und wird seine Frau abpassen. Das ubrige kannst du dir allein ausmalen.«

»So etwas ist aber grundschlecht,« sagte Tom; »ich will ja tun, was du begehrst, wiederhole aber, da? meiner Ansicht nach die Marquise deinen Planen nicht so gefahrlich ist, wie du dir denkst. Weit gefahrlicher scheint mir das junge Ding zu sein, das Rudolf, als Handwerker verkleidet, vor etwa sechs Wochen auf die Meierei hinausgebracht hat, und mit dessen Erziehung er sich angelegentlich befa?t. Sie soll ja aus gewohnlichstem Stande sein, ist aber eine hervorragende Schonheit. Hier la?t alles darauf schlie?en, da? es sich um keine fluchtige Neigung handelt. Um aber dieses, meiner Meinung ernstlichere Hindernis gegen deine Plane zu beseitigen, ist es notwendig, da? wir sehr vorsichtig handeln. Es war auch schwer genug, genaue Erkundigungen uber die Leute einzuziehen, die auf dem Gute wohnen, aber ich wei? jetzt Bescheid, und halte den Augenblick zu handeln fur gekommen. Ein Zufall hat mir die alte greuliche Hexe wieder in den Weg gefuhrt, die wir als Eule kennen gelernt haben; und ihre Beziehungen zu Leuten, wie jenem Rauber, der uns bei dem Ausflug nach Alt-Paris uberfiel, werden uns jetzt von Nutzen sein konnen. Ich bin willens, die Sache morgen zum Abschlusse zu bringen.«

»Tom,« sagte Grafin Sarah, »sind diese beiden Hindernisse aus unserm Wege, dann wird unser gro?er Plan

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