...« – »Je nun, es hat noch seine Schwierigkeiten, er wird aber gelingen. Entgeht uns aber auch diese letzte Hoffnung,« setzte er mit einem traurigen Blicke auf Sarah hinzu, »dann, Sarah, bin ich frei.« – »Ja, Tom, dann sollst du frei sein,« versetzte Sarah. – »Du wirst die Bitten, die meine Rache schon zweimal sistierten, nicht wieder an mich richten?« fragte er, mit einem Blick auf den schwarzen Krepp an seinem Hute und auf die schwarzen Handschuhe, die seine Hande bedeckten ... und bitter lachelnd setzte er hinzu: »Ja, ich warte noch immer; du wei?t, da? ich seit sechzehn Jahren diese Trauer trage, und da? ich sie nicht eher ablegen werde, bis ...« – Er winkte mit der Hand ... »Doch still! Man kommt vom Souper zuruck, und da es dir geraten erscheint, den Marquis von Harville vom Stelldichein seiner Gattin zu unterrichten, so wird es gut sein, wenn wir uns auf den Weg machen. Die Zeit ruckt vor.«

Und das Geschwisterpaar verlie? den Saal.

Vierter Teil.

Erstes Kapitel.

Ein Rendezvous.

Rudolf konnte leider die Marquise nicht, wie er gerechnet hatte, retten; sie sollte, nachdem sie den Saal im Gesandtschaftspalais verlassen, einen Hoflichkeitsbesuch bei Frau von Nerval machen; ihre Empfindungen besturmten sie aber so heftig, da? sie den Mut, auf den andern Ball zu gehen, nicht fand, sondern heimkehrte. Und dadurch wurde alles verdorben. Baron Graun, wie fast alle Personen, die bei der Grafin ** geladen gewesen waren, war auch von Frau von Nerval geladen worden, und Rudolf lie? durch Baron Graun dort nach Frau von Harville vorfragen, um sie fur denselben Abend noch um eine Unterredung zu ersuchen. Der Baron kehrte aber unverrichteter Dinge zuruck, da die Marquise gar nicht auf dem Balle erschienen war. Rudolf war au?er sich, denn er hatte mit Recht gemeint, ihr vor allem den Verrat anzeigen zu sollen, den man an ihr hatte begehen wollen. Nun war es zu spat, denn der schandliche Brief war dem Marquis kurz nach Mitternacht zugestellt worden.

Am andern Morgen ging Marquis von Harville langsam in seinem Schlafzimmer auf und nieder – am Kamin lag ein Stuhl und ein Tisch, beide aus Ebenholz, umgesturzt; auf dem Teppich lagen Glasscherben, halb zertretene Kerzen, und ein Armleuchter war weit von dem Flecke hinweggerollt, wo er sonst zu stehen pflegte. Das waren die deutlichen Zeichen eines heftigen Kampfes, der hier vor sich gegangen sein mu?te.

Herr von Harville war etwa 30 Jahre alt und hatte ein mannliches Gesicht von im allgemeinen angenehmem, mildem Ausdruck, das jetzt bleich und verzerrt aussah. Er trug noch denselben Anzug wie tags vorher. Sein Hals war entblo?t, die Weste offen, das Hemd zerrissen, stellenweis wie mit Blut befleckt. Das sonst wohlgeordnete braune, gelockte Haar hing ihm wirr uber die bleiche Stirn.

»Morgen um ein Uhr wird Ihre Frau sich zu einem Stelldichein in der Rue du Temple Nr. 17 begeben. Folgen Sie ihr dorthin. Dann werden Sie erfahren, da? Paris um einen Hahnrei reicher ist. Gratuliere zu solcher Ueberraschung!« Das stand in dem Billet, das er vom Marmorsimse genommen, und jetzt mit gierigen Blicken im bleichen Lichte des Wintergartens verschlang.

Da wurde die Tur geoffnet, und ein greiser Kammerdiener trat ein. Ohne seine Stellung Zu verandern, das Billet in der Hand zerknullend, wandte der Marquis sich zur Seite. – »Was willst du?« herrschte er den Diener an, der kein Wort erwiderte, aber einen schmerzlichen Blick auf die im Zimmer umherliegenden Gegenstande warf... »Gnadiger Herr!« rief er nach einer Weile, »Blut an Ihrem Hemd? O Gott! o Gott! Sie haben sich gewi? verwundet! Aber warum haben Sie denn nicht geklingelt wie sonst?« – »La? mich!« – »Aber, Herr Marquis! Das Feuer ist ja ausgegangen. Es ist schrecklich kalt hier.. nach Ihrem...« – »Still! Ich sage dir doch, du sollst mich in Ruhe lassen!« –

An allen Gliedern zitternd, hub der Diener wieder an: »Herr Marquis! Sie hatten doch Herrn Doublet befohlen, heut morgen Punkt elf hier zu sein! Jetzt ist's so weit. Herr Doublet wartet mit dem Notar.« – »Gut,« sagte der Marquis bitter, seine Ruhe allmahlich wiederfindend; »la? die Herren kommen.« – »Sie warten schon im Kabinett.« – »Nun, dann gib mir andere Sachen! Aber schnell, ich mu? gleich ausgehen.«

Wahrend Joseph sich damit befa?te, in dem Gemache seines Herrn Ordnung zu machen, trat dieser an den Gewehrschrank, musterte ein paar Minuten lang die darin befindlichen Waffen, winkte Joseph zufrieden und sagte: »Du hast doch nicht vergessen, meine Waffen oben im Jagdkasten zu putzen?« – »Vor vier Wochen sind sie doch erst vom Buchsenmacher gekommen.« – »Sieh nach, was dran fehlt, und bring sie mir her! Ich werde wohl bald auf die Jagd gehen und wunsche, da? alle meine Waffen in sauberster Ordnung seien.«

Nachdem er sich umgezogen, trat der Marquis in sein Kabinett, wo sein Intendant Doublet und der Schreiber eines Notars auf ihn warteten. – »Das Dokument mu? dem Herrn Marquis noch vorgelesen werden,« sagte Doublet, »dann braucht es blo? unterfertigt zu werden.« – »Haben Sie es gelesen, Doublet?« – »Jawohl, Herr Marquis!« – »Nun, das genugt. Ich unterzeichne.« Sobald dies geschehen war, ging der Schreiber. – »Von jetzt ab,« sagte Doublet mit triumphierendem Blicke, »steigen Ihre Einnahmen aus dem Grund und Boden auf anderthalbhunderttausend Franks. Ich glaube, es ist Ihnen nicht unbekannt, da? ein solches Bareinkommen zu den gro?en Seltenheiten, auch bei uns in Frankreich, zahlt.« – »Nun, dann gehore ich also zu den Gluckspilzen der Erde?« meinte Harville lachelnd; »ein solches Gluck, wie es mich verfolgt, steht ja fast ohnegleichen da!« – »Gott sei Dank, Herr Marquis, es mangelt Ihnen ja an nichts; Jugend, Reichtum, Gesundheit: das alles besitzen Sie! Und was schoner noch als dies alles ist: eine edle Gattin und ein Tochterlein, su? wie ein Engel!«

Der Marquis ma? den Intendanten mit finsteren Blicken... »»Wieviel Geld haben Sie in der Kasse?« – »19,300 Franks, Herr Marquis, das bei der Bank deponierte Geld nicht gerechnet.« – »Bringen Sie mir noch heut vormittag 10,000 Franks in Gold, und sollte ich nicht da sein, so geben Sie es Joseph.« – »Binnen einer Stunde wird das Geld da sein.« – »Adieu, Doublet!« – Doublet verneigte sich, und Herr von Harville sank, das Gesicht in beide Hande vergrabend, wie vernichtet auf einen Stuhl. Es waren die ersten Tranen, die er seit Sarahs Billet vergo?... »O!« rief ei, »grausamer Hohn des Schicksals, das mich mit Reichtum bedacht hat! Was bleibt mir, in den goldnen Rahmen zu fassen? Meine Schande – meiner Frau Schande – Schande, die bei einem Eclat schlie?lich auch mein Kind, meine Tochter mittrifft! Mu? ich mich zu diesem Eclat entschlie?en, oder soll ich Mitleid walten lassen?« – Funkelnden Auges richtete er sich auf und sprach finster vor sich hin: »Nein, nein! Blut, Blut! Das Schreckliche ist der Tod des Lacherlichen!« – Plotzlich hielt er inne, wie wenn ein Gedanke recht tiefen Eindruck auf ihn machte, und heftig fuhr er fort: »Ich wei? ja, was der Grund dazu ist: Widerwille, der in ihrem Herzen gegen mich wohnt! Sie scheut sich vor mir! Aber ist's denn meine Schuld? Mu? sie mich drum hintergehen? Verdiene ich nicht statt Ha? eher Mitleid? – Nein, nein! Blut, Blut!.. Beide, alle beide sollen bluten! Ganz sicher hat sie doch dem andern, dem andern alles gebeichtet!« – Und dieser Gedanke drohte ihn ganz au?er sich zu bringen: er hob die geballten Fauste gen Himmel, fuhr sich mit der hei?en Hand uber die Augen und kehrte, da er die Notwendigkeit fuhlte, vor seinem Dienstpersonal ruhig zu erscheinen, in sein Schlafzimmer zuruck. Dort nahm er aus dem Jagdnecessaire ein kleines Pulverhorn, Kugeln und Zundhutchen, schlo? es wieder zu, steckte den Schlussel zu sich und langte aus dem Waffenschrank ein Paar Taschenpistolen.

In diesem Augenblicke kehrte Joseph zuruck, um zu melden: »Die Frau Marquise ist empfangsbereit.« – Als er gegangen war, sprach der Marquis weiter vor sich hin: »Es ist ein Drama wie jedes andere. Gut denn, ich will zu ihr gehen, will die perfide Fratze mit der gleisnerischen Freundlichkeit angaffen, unter der sie zweifellos an den begangenen Ehebruch denkt; will die Luge von ihrem Mund horen, dieweil ich in ihrem schon verderbten Herzen das Verbrechen lese. – Ja, ein merkwurdiges Schauspiel, wenn man sieht, wie eine Frau, die ihrem Manne Schmutz anhangt, der nur durch Blut abzuwaschen, ihn ansieht, ihm Rede und Antwort steht!« Er verlie? das Zimmer, ging jedoch nicht zu seiner Gemahlin, sondern auf den in der Nahe seines Hauses befindlichen Droschkenplatz.. »Nach der Rue de Belle-Chase, Ecke der Rue Saint-Dominique, an der Gartenmauer warten!« – Mit diesen Worten stieg er in eine Droschke und lie? die Fenster herunter. Bald war die Droschke dem Hause des Marquis gegenuber angelangt. Von hier aus konnte niemand das Haus verlassen, ohne da? Harville ihn sehen mu?te.

Das von seiner Frau gewahrte Stelldichein war auf ein Uhr bestimmt. Harville lie? keinen Blick von der Tur.

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