anders darauf antworten als mit einer Luge? Und hatten Sie mich doch gelehrt, welch gro?e Sunde es sei, zu lugen! Ach! hatte man mich doch meinem unglucklichen Schicksale uberlassen, wenn die Erkenntnis von gut und bose fur mich so verderbensvoll werden mu?te!«

»Marie! Marie!« rief der Abbe. – »Nicht wahr, Vater, was ich da rede, ist schlecht, ist bose? O, darum habe ich Ihnen ja nicht alles sagen wollen! Manchmal uberkommt mich eine Stimmung, als wenn ich lieber unter Schlagen gestorben ware, statt in Verhaltnisse zu kommen, denen ich doch nun und nimmer werde gerecht werden konnen.« –

»Hoffen Sie auf die unendliche Barmherzigkeit des Unendlichen,« sagte der Priester mit ernster Stimme, »wenn es auch fur Sie hienieden nur Reue und Bu?e gibt; Vergebung und ewige Seligkeit,« setzte er hinzu, die Hand zum Firmamente erhebend, »werden Sie jedoch dort oben finden!«

»Wehe, Wehe uber mich!« rief Marie verzweifelt, »mein ganzes Leben wird nun, und wahrte es auch so lange wie das Ihrige, ware es so rein von Sunde wie das Ihrige, gebrandmarkt sein durch die Erkenntnis, durch die Erinnerung an die Vergangenheit!« –

»Nicht wehe, Marie, sondern wohl Ihnen! Denn Gott hat Sie eine kurze Weile auf dem Pfade des Lasters wandeln lassen, um Ihnen alle Glorie der Neue und jenen ewigen Lohn zu reichen, der der Bu?e gebuhrt.«

Eben wollte Marie auf diese Worte des frommen Mannes antworten, als die Bauerfrau hinzutrat, die auf dem gleichen Wege wie sie, durch den Hohlweg gegangen war, und die sie jetzt einholte. Es war eine in der Meierei als Magd dienende Frau. »Herr Pfarrer,« sagte sie, »die Frau Georges hat mich mit dem Korb voll Obst Ihnen nachgeschickt: auch soll ich Jungfer Marie wieder nach Hause begleiten, da es schon so spat ist. Deshalb habe ich auch Turk mitgenommen,« setzte sie hinzu, den gro?en Hund streichelnd, der es mit einem Baren an Kraft hatte aufnehmen konnen, »es ist ja noch nie gehort worden, da? im Hohlweg jemand uberfallen worden ware; aber vorgesehen ist immer besser, als nachgesehen!«

»Recht von dir, Claudine!« sagte der Abbe, »ubrigens sind wir ja nun bei mir angelangt. Bestelle der Frau Georges meinen allerbesten Dank!«

Darauf trat der Abbe in seinen Garten, wahrend Marie mit der Frau und dem Hunde den Ruckweg zur Meierei antrat.

Sechstes Kapitel.

Ein Zusammentreffen.

Es war eine sternenhelle, kalte Nacht. Die Eule hatte sich mit Bakel, seinem Rate zufolge, in dem Hohlwege an eine Stelle begeben, die von dem Fu?wege entfernter, dagegen naher dem an seinem Rande haltenden Wagen lag. Der Lahme war ein Stuck nach der Pfarre gelaufen, weil er Marien durch die Bitte, seiner armen alten Mutter zu helfen, in den Hohlweg locken sollte. Aber kaum war er ein paar Schritte uber den Hohlweg hinaus, als er auch den Schall der beiden Frauenstimmen horte. Schnell hinkte er in den Hohlweg zuruck, der Eule mitzuteilen, da? Marie nicht allein, sondern mit einer Frau zusammen kame.

»Soll ihr der Teufel den Hals umdrehen!« fluchte die Eule, wahrend Bakel den Lahmen fragte, ob er wisse, wer mit dem Madchen kame? – »Wahrscheinlich doch die Bauerin, die mit dem Hunde eben durch den Hohlweg kam,« antwortete er, die Eule ansehend. – Diese sagte: »Nun, die Kleine konnte ich ja auf mich nehmen, aber die andere? Bakel ist blind, der Junge lahm ... Was macht man da am besten? Sprich doch ein Wort, Mann!« fuhr sie den Rauber an; »du bist ja sonst so gescheit, oder hast du auch neben deinem Augenlicht die Sprache eingebu?t?«

Der Rauber versetzte: »Heut ist eben nichts zu machen, denn wenn die beiden Weibsleute schreien, bekommen wir das ganze Dorf auf den Hals.« – »Und auf die tausend Franks, die der Lange im Trauerkostum uns zugesichert hat,« rief die Eule wutend, »wenn wir die Mamsell bringen, sollen wir verzichten? Das konnte mir passen! Dein Messer her! Mann, Dein Messer! Ich steche die Bauerin nieder. Mit der Kleinen werden wir beide, der Junge und ich, schon fertig.«

»Nein,« versetzte der Rauber fest und bestimmt, »heute hei?ts: Hande weg! Morgen ist auch noch ein Tag.« –

Hundegebell erfullte den Hohlweg. Turk hatte die im Hohlwege lauernden Menschen gewittert; er war fast nicht mehr zu halten ... »Dein Messer!« rief die Eule mit drohender Stimme. – »Nimm's dir,« versetzte der Rauber, »gutwillig gebe ich es nicht, denn es ware uns nicht zum Guten.«

Einen Augenblick lang lauschte die Eule aufmerksam; dann sagte sie: »Es ist vorbei. Es ist zu spat. Aber du sollst mir dafur bu?en. Geh an den Galgen! Geh an den Galgen!« schrie sie wutend und ballte dem Rauber die Faust. »Tausend Franks habe ich durch deine Hundsfotterei verloren.« – »Und dreitausend haben wir vielleicht gewonnen,« rief der Schulmeister in uberzeugtem Tone, »hore, was weiter geschehen soll! Das Madel fuhrt den Pfaffen alle Abend heim. Da? heut jemand mit ihr gegangen, ist ein Zufall. Morgen wird uns das Gluck winken. Morgen kommst du mit dem Kutscher und dem Wagen wieder. Dagegen fuhrt mich der Lahme heute in die Meierei, erzahlt dort, wir hatten uns verlaufen, ich ware sein Vater, ein armer blinder Mann, und bittet fur die Nacht um ein Obdach. Das wird niemand geweigert. Der Lahme mag sich Turen und Fenster ansehen, mag die Ein- und Ausgange mustern. Wenn die Pacht fallig wird, haben solche Leute immer Bargeld im Hause. Hab ich doch selbst einmal Guter mein eigen genannt,« setzte er verbittert hinzu, »wei? also, wie es bei solchen Leuten zugeht. Die Meierei liegt einsam. Sind wir erst einmal orientiert, dann konnen wir mit ein paar Bekannten wiederkommen.«

»Du bist wirklich ein Halunke,« sagte die Eule, die sich durch Bakels Worte hatte besanftigen lassen, »rede nur weiter, Morderchen!«

»Morgen fruh werde ich uber Schmerzen klagen und mich stellen, als konnte ich nicht vom Flecke. Sollten mir die Leute nicht glauben wollen, so werde ich die Narbe zeigen, die ich noch vom Kettentragen an meinem Beine habe. Abends aber, sobald das Madel mit dem Pfaffen aus dem Hause ist, werde ich sagen, da? es mir besser sei, und mich mit dem Lahmen nach dem Hohlwege auf den Weg machen. Das Madel, das uns schon kennt, wird nicht mehr erschrecken, wenn sie unser ansichtig wird. Sie wird auf uns zutreten, und wenn ich sie mit den Armen erreichen kann, dann verla? dich drauf, da? sie mir nicht mehr entrinnt. Ich bringe sie in Sicherheit, ohne da? sie sich muckst, und die tausend Franks sind unser! Und weiter: in ein paar Tagen machen wir mit unseren Kumpanen der Meierei unsre Visite und rauben drin, was nicht niet- und nagelfest ist.«

»Bakel, du bist ein gro?er Kerl,« rief die Eule, »und keiner nimmt's mit dir auf. Komm, la? dich umarmen! Also auf morgen!« – »Auf morgen!« wiederholte Bakel, und wahrend das Weib zum Wagen zuruckschlich, wanderten Bakel und der Lahme durch den Hohlweg zur Meierei; das aus den Fenstern blinkende Licht diente ihnen als Leitstern...

Auf solchem Wege fuhrte das Schicksal Anselm Duresnel seiner Ehefrau zu, die er seit seiner Bagnohaft nicht mehr gesehen hatte.

Siebentes Kapitel.

Ein schrecklicher Abend.

Die Gutsdienerschaft sa? beim Abendbrote. Vater Chatelain, der alteste, fuhrte den Vorsitz und sprach das Tischgebet, machte nach frommem Brauche das Kreuz uber das Brot und schnitt jedem zu, was auf seinen Teil kam. Dann stellte er den Wein auf den Teller, der seinen Platz mitten auf der Tafel erhielt. Da schlugen die Hunde im Hofe an; der alte Schaferhund, der noch das Gnadenbrot bekam und unter dem Ofen lag, knurrte zur Antwort darauf. Im andern Augenblicke wurde drau?en gelautet ... »Es mu? jemand am Tore sein,« sagte Vater Chatelain; – »wer kann noch so spat kommen? Sieh doch einmal nach, Rene!«

Der junge Bursche, dem dieser Name gehorte, lie? mit Bedauern die Suppe im Stiche und ging hinaus ... »Seit langer Zeit ist es das erste Mal, da? Frau Georges und Jungfer Marie nicht mit uns essen,« sagte Chatelain; »wenn ich auch recht tuchtigen Hunger habe, wirds mir doch nicht halb so gut schmecken, als wenn ich Ihnen gegenuber sa?e.« – »Frau Georges ist zu Jungfer Marie hinaufgegangen, die sich nicht recht wohl fuhlte, als sie von der Pfarrei zuruckkam,« sagte Claudine, die Magd, die Marien nach Hause begleitet und so, ohne es zu ahnen,

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