lachte, denn trotz der blutigen Bande, die sie an diesen Unhold fesselten, war es ihr doch lieb, ihn unschadlich gemacht zu sehen, so da? er von seiner Riesenkraft, auf die er sich einst soviel zu gute getan, keinen Nutzen mehr hatte. Der lahme Junge blies in ihr Horn. Als Bakel zum zweiten Male stolperte, rief er: »Aber, Alterchen, mach doch die Augen auf! Oder hast du dir deine Brille nicht recht geputzt?«
Der Hune sah sich au?er stande, den Jungen zu fassen. Wutend stampfte er auf den Boden, legte die geballten Fauste uber die Augen und brullte wie ein Tiger, dem sein Bandiger einen Maulkorb angelegt hat ...
»Warum redest du solchen Unsinn von deinem Gelde?« fragte die Eule hamisch; »weshalb soll ich es dir mausen? Ich dachte, fur mich ware es bequemer, du trugest es fur mich?« – »Au?er dir ist niemand in meiner Kammer gewesen,« versetzte der Rauber, »wen soll ich au?er dir im Verdacht haben? Nachts bist du drin gewesen und hast mir mein Geld gemaust,« wiederholte er. – »Aber rede doch keinen Unsinn!« sagte sie, »ware ich denn jetzt noch bei dir, wenn ich dein Geld hatte? Sei doch nicht so dumm! Hatte ich es, dann ware ich wenigstens so lange von dir weggelaufen, bis es zu Ende war. Dann aber hattest du mich gewi? wiedergesehen, denn seitdem du keine Pupillen mehr hast, Morderchen, gefallst du mir noch einmal so gut. Also sei artig und bei? dir die Zahne nicht aus Wut entzwei!«
»Du hast recht,« stohnte der Blinde; »es ist mein Fatum! Es war nicht recht von mir, dich solches Diebstahls zu beschuldigen, auch nicht, den Lahmen schlagen zu wollen. Seid mir beide nicht bose deshalb,« bettelte er. – Der Lahme aber sagte lachend: »Wenn wir dir nicht bose sein sollen, Alterchen, dann mu?t du uns kniefallig um Verzeihung bitten.« – »Nein! Hat der Strick gute Einfalle!« rief die Eule lachend; »ei! es mu? doch ein famoser Anblick sein, dich mal auf den Knien zu sehen, Morderchen! Also kniee nieder, wie wenn du deiner Eule eine Liebeserklarung machen wolltest. Geschwind, geschwind! Oder wir laufen weg von dir, und in einer halben Stunde ists Nacht – was willst du dann allein anfangen? Also geschwind, geschwind!«
»Was tuts ihm, ob es Tag ist oder Nacht?« sagte der Lahme; »seine Fenster sind doch immer vernagelt!«
Der Rauber aber lie? sich auf die Knie fallen und bettelte, hin und her rutschend, beide um Verzeihung und fragte dann: »So! Nun habe ich euch nach Wunsch getan. Seid ihrs zufrieden? Aber nun werdet ihr mich doch nicht im Stiche lassen?« – »Aber warum sollten wir es, wenn du artig bist. Morderchen?« antwortete die Eule: »nein, nein! Sei ohne Furcht. Ehe ich dich im Stiche lasse, will ich lieber mein Leben lassen. Ich hab immer einen Mann gern bei mir gehabt. Wozu seid ihr Manner denn auf der Welt, als um uns her zu sein? Und wars auch blo?, um an ihm seine Wut auslassen zu konnen! Vor dem hubschen Balge, das mir der Teufel wieder in die Hande spielen mochte – denn ich habe noch immer meine Idee, ihr mit Scheidewasser die Fratze zu ruinieren – habe ich einen Jungen gehabt, ders aber nicht bei mir aushalten konnte und bald das Zeitliche segnete. Dafur habe ich sechs Jahre brummen mussen. Nachher habe ich Vogel gequalt, und nicht wenige lebendig gerupft; aber das ist mir bald langweilig geworden, denn keiner hats lange ausgehalten. Als ich aber aus dem Stockhause kam, fiel mir die Schalldirne in die Hande, und der Hab ich das bi?chen Leben verteufelt sauer gemacht; aber sie ri? mir aus. Dann hab ichs mit einer Hundin probiert, aber das Biest bi? mich einmal, da? ich acht Tage lang die Hand nicht brauchen konnte. Zur Strafe habe ich ihm eine Vorder- und eine Hinterpfote abgeschnitten und mich dann an dem Anblicke gegeckt, wenn er zu laufen probierte. Aber er ist auch bald krepiert. Na, und nun bist du an der Reihe, Morderchen; jetzt sollst du mein Sundenbock sein fur alles, was ich noch gegen Welt und Kreaturen auf dem Kerbholze habe. Du bist ein starker Kerl, und dich zu qualen bis aufs Blut, mu? ein ganz anderes Vergnugen sein, als einen Vogel zu rupfen, ein Kind zu schinden oder einem Hunde die Pfoten abzuschneiden ... Verstehst du, Morderchen? Na, komm, wir wollen mal anfangen!«
Und sie griff nach einem Stricke und warf ihn ihm uber die Schultern. Dann zog sie an und schrie: »Hu, hu! Lauf, Gaul! Kusch dich, Hund! Bei?, Luder, bei?! Aber schneide doch kein so grimmiges Gesicht, Morderchen! Wenns dir nicht pa?t, Morderchen, dann sags! Tu dir keinen Zwang an, sondern sags frisch von der Leber weg! Lauf, wohin dirs pa?t, und la? uns im Stich! Die Welt steht dir ja offen ... nicht wahr, lahmer Strick? Hab ich recht oder nicht?«
»Freilich kann er laufen, wohin es ihm beliebt. Immer der Nase nach, Alter! Nur immer hubsch der Nase nach!« rief der Junge und wollte sich ausschutten vor Lachen. Jah aber brach er ab, denn es hallten Schritte im Hohlwege wider. Kurz nachher kam eine rustige Bauerin, einen Korb auf dem Kopf tragend, mit einem gro?en Hunde neben sich, durch den Hohlweg, um dann auf dem Pfade weiter zu gehen, den vor ihr der Geistliche mit dem Madchen gegangen war.
Funftes Kapitel.
Im Pfarrhause.
Auf dem Hugel, auf dem sich das von gro?en Waldern umgebene Schlo? von Ecouen erhebt, blieb der Geistliche einen Augenblick stehen, um sich an dem Anblick der lieblichen Szenerie zu weiden, die sich vor seinen Augen entfaltete ... »Ist es nicht, Kind,« sagte er zu dem neben ihm stehenden Madchen, »als ob uns die Stille und Unendlichkeit, die sich vor uns hier auftut, eine Vorstellung von der Ewigkeit gabe?« Er senkte den Blick zu dem Madchen nieder und nahm mit Erstaunen wahr, da? Tranen in ihren Augen standen.
»Aber, liebes Madchen,« sagte er, »was ist Ihnen? Haben wir Sie nicht schon oft gefragt nach der Ursache Ihrer Betrubnis? Sie wissen doch, was Sie Ihrer anderen Mutter, der edlen Frau Georges, fur Angst und Sorge bereitet? Sie haben uns noch nie eine bestimmte Antwort auf unsre Frage gegeben. Wir sind noch nie in Sie gedrungen, es uns zu sagen, so gern wir Ihnen auch schon Linderung gebracht hatten.«
»Wie soll ich mich Ihnen verstandlich machen?« antwortete Marie unter Tranen, »ich kann es nur versuchen, indem ich auf die ersten Tage zuruckgreife, die ich bei der guten Frau Georges verlebte. Als ich auf dem Wege hierher horte, da? ich in der Meierei bleiben, da? ich Frau Georges nicht mehr verlassen solle, war es mir, als ob mir der Himmel einen su?en, su?en Traum beschert hatte. Zuerst war ich von meinem Glucke wie betaubt. Es kamen wohl Stunden uber mich, in denen ich beschamt meiner Vergangenheit dachte, aber weil alle so gutig gegen mich waren, meinte ich, mich allen gleich halten zu mussen. Da aber kam ein Tag ...« Sie fing bitterlich zu schluchzen an ...
»Bleiben Sie ruhig, Kind!« sagte der Abbe, »fassen Sie Mut und erzahlen Sie weiter!« – Marie trocknete sich die Augen und fuhr fort: »Vater, Sie besinnen sich doch, da? am Allerheiligenfeste Frau Dubreuil, die Pachterin des Herzogs von Lucenay in Arnouville, ein paar Tage mit ihrer Tochter bei uns in Lucenay war? Ich wurde in die Stube gerufen. Klopfenden Herzens trat ich ein. Frau Georges zeigte mir das liebe Madchen und fugte: Da sieh, Marie, eine Freundin fur dich! – Und Klara, das liebe Kind, trat auf mich zu und ku?te mich ... Vater! Da wurde es mir auf einmal so wehmutig ums Herz, und die Wange brannte mir vor Scham und Reue, denn ich mu?te an alles denken, was meine Vergangenheit befleckt hat, und es kam mir vor wie ein Betrug, wie eine Heuchelei, da? ich mich nicht gegen solchen Ku? von so zuchtigen, reinen Lippen gewehrt hatte.«
»Aber, Kind!« sagte der Abbe! Marie aber lie? ihn nicht ausreden, sondern rief im Ueberma?e ihres Schmerzes: »Ach, Vater, Vater, als mich Herr Rudolf aus Paris hinwegnahm, ist mir meine Niedrigkeit noch nicht recht bewu?t gewesen; aber durch den Unterricht, den Sie mir gaben, durch Ihren Rat und durch Ihr Beispiel, durch die Liebe der Frau Georges ist mir klar geworden, da? ich nicht blo? unglucklich gewesen, sondern auch sundhaft, vielleicht mehr noch als unglucklich! Und seit diesem Tage verla?t mich der Gedanke nicht mehr, da? ich schwer, schwer gesundigt habe, und ich kann keinen Augenblick mehr Ruhe finden.«
»Kind, Kind! Was Sie mir bisher gesagt haben,« sagte der Geistliche, »redet nur fur Ihr Herz, fur Ihren Edelsinn! Erzahlen Sie mir also weiter!«
»Solange Klara in der Meierei war, konnte ich mich nicht zur Frohlichkeit stimmen, wahrend sie die frohlichste Kameradin war, die man sich denken konnte. Sie gab mir fortwahrend Beweise von ihrer Freundschaft und erzahlte mir, da? sie, wenn sie das achtzehnte Jahr erreicht hatte, sich mit einem Pachtersohne aus Goussainville verheiraten solle, da? die Vermahlung zwischen beiden Familien langst eine ausgemachte Sache sei. Und dann forderte sie mich auf, ihr zu erzahlen, wie es mir bisher im Leben ergangen sei. Ich meinte, vor Scham in die Erde sinken zu mussen; wu?te ich doch nicht, was Frau Georges von mir gesagt hatte. Ich sagte ihr also nur, da? ich eine Waise sei, da? ich mich bei sehr garstigen Menschen befunden, keine gluckliche Jugend verlebt, da? ich erst gelernt hatte, was Gluck sei, seit ich Aufnahme in dem Hause der lieben Frau Georges gefunden. Da fragte Klara, wohl mehr aus Mitleid, als aus Neugierde, ob ich in der Stadt oder auf dem Lande gro? geworden sei, wie mein Vater hie?e, ob ich meine Mutter gekannt hatte. Ach! wie schrecklich waren mir diese Fragen! Konnte ich