die vertraute Freundin der Marquise, »er hat uns sicher gesehen, furchtet sich aber, mit mir zusammenzutreffen, weil er noch immer gegen mich eingenommen ist.« –
Da Rudolfs Verhaltnis zu Sarah und die aus ihm resultierenden Ereignisse etwa 17–18 Jahre zurucklagen, war in der Gesellschaft nichts daruber bekannt, zumal sowohl Rudolf als auch Sarah recht wichtige Grunde hatten, daruber zu schweigen. – »Ich begreife seinen Starrsinn, Ihnen aus dem Wege zu gehen, weniger denn je und habe ihm sein seltsames Benehmen gegen Sie, eine doch einst so gute Freundin, mehr denn einmal vorgehalten. Aber er sagte mir immer: »Ja, meine Liebe, was ist dagegen zu machen? Wir sind nun doch einmal Todfeinde, ich habe mir den Schwur geleistet, kein Wort mehr mit ihr zu wechseln, und dies Gelubde, setzte er hinzu, mu? mir um so heiliger sein, als es mich ja doch des Umganges mit einer so liebenswurdigen Dame beraubt! Oder – schatzen Sie solchen Verlust vielleicht fur gering?« – »Glauben Sie mir, liebe Freundin,« erwiderte die Grafin Sarah, »irgendwelcher Grund zu solcher Todfeindschaft liegt keineswegs vor. Ware nicht eine dritte Person dabei mit im Spiele, so hatte ich Sie in das gro?e Geheimnis schon langst eingeweiht. Aber was ist Ihnen denn, meine Liebe? Sie scheinen ja in gar tiefes Sinnen versunken zu sein?« – »O, mir ist nichts, gar nichts, liebe Freundin. In der Galerie war es so hei?, da? ich Kopfschmerzen bekommen habe. Setzen wir uns doch hier einen Augenblick nieder!«
Sie nahmen nebeneinander auf einem Plaudersofa Platz. Die junge Frau erwiderte mit keinem Worte, und Sarah sagte im Tone freundschaftlichen Vorwurfes zu ihr: »Haben Sie denn gar kein Vertrauen zu mir? Wollen Sie ihn tatsachlich alle Hoffnung mit ins Grab nehmen lassen?« – »Was reden Sie da?« rief die Marquise erschrocken.
»Sie kennen ihn noch nicht, meine Liebe! Er ist doch immer so unglucklich gewesen, da? man es gar nicht fur moglich halten sollte. Sie konnten Freude daran finden, ihn noch immer zu peinigen.« – »Kein Wort mehr davon, wenn Sie mich lieb haben,« rief Frau von Harville, »denn Sie tun mir bitterweh. Was hat mich denn anders ins Ungluck gesturzt, als eben das Mitleid mit seiner Lage?« setzte sie, unwillkurlich seufzend, hinzu. – Sarah schien die letzten Worte nicht zu verstehen und fuhr fort: »Und wie sehr verdient er das Interesse, das Sie ihm widmen! Gestehen Sie es doch nur ein! Wie konnte auch solch edles Antlitz nicht seiner Seele Spiegel sein? Ich habe ihn einmal in Uniform gesehen und mu? sagen, da? ich nie eine schonere Mannesgestalt gesehen habe. Wurde der Adel nach Verdienst und Gestalt gemessen, so mu?te er Herzog und Pair sein.« – »Ach, bitte, sprechen wir von etwas anderm,« sagte Frau von Harville nach einer ziemlich langen Pause; »meinetwegen,« setzte sie mit erzwungener Heiterkeit hinzu, »von Ihrem Todfeinde, dem Fursten, den ich so lange nicht gesehen habe. Ich mu? Ihnen bekennen, da? ich ihn hochst anziehend finde. Doch Ihnen habe ich es zu verdanken, da? mein Faible fur ihn nicht allzu lange gedauert hat. Die Rolle der Todfeindin haben Sie so vortrefflich gespielt, haben mir soviel von dem Fursten erzahlt, da? ich es nicht in Abrede stellen kann, da? an Stelle der Zuneigung Abneigung getreten ist.« – »Aber so sagen Sie mir doch,« fragte Sarah, »ist Ihr Gemahl heut abend hier?«
»Nein,« antwortete Frau von Harville sehr verlegen, »er hatte keine Lust auszugehen.« – »Mir kommt es so vor, als lasse er sich jetzt immer weniger in Gesellschaft sehen, wahrend Sie immer in arge Unruhe geraten, sobald die Rede auf Ihren Gemahl kommt.« – »Ich? Aber das ist doch Ihr Ernst nicht!« – »In Ihren Zugen kommt, wenn Sie auf ihn zu sprechen kommen, vielleicht ohne da? Sie es wollen, eine gewisse schuchterne Abneigung zum Ausdruck, ein Widerwillen, wie ihn jemand durch eifersuchtiges, murrisches Wesen hervorrufen kann.«
Frau von Harville antwortete rasch: »Nein, mein Mann ist weder eifersuchtig, noch murrisch.« Dann fuhr sie, sicher in der Absicht, ein ihr lastig gewordenes Gesprach abzubrechen: »Herr du meine Gute! Da kommt der unausstehliche Lucenay, ein Intimus von meinem Manne. Und ich meinte, er sei an tausend Meilen weit weg.« – »Es hie? tatsachlich, er sei auf ein paar Jahre nach dem Orient gereist. Das nenne ich eine unvermutete Heimkehr, die der Herzogin sicherlich recht unangenehm gewesen sein wird, mag ihr auch der Herzog nirgendswo in den Weg treten,« meinte Sarah mit feinem Lacheln. »Im ubrigen wird sie ja nicht die einzige sein, die uber diese plotzliche Wiederkunft grollt. Herr von Saint-Remy, das Muster aller Elegants, der ganz Paris durch seinen Luxus blendete, wird sich auch nicht wenig argern, soll er doch so gut wie ruiniert sein, wenn man es auch an dem Aufwand, den er macht, nicht merkt; seine Frau freilich ist ja unerme?lich reich ...« Sie hielt jah inne – – – »Ach, Gott!« rief sie, »der Herzog hat uns gesehen, er kommt, wir mussen uns schon drein ergeben!«
Der Herzog von Lucenay, einer der vornehmsten Familien Frankreichs angehorig und noch jung, mit einem Gesicht, das einst schon und mannlich gewesen, aber durch die ma?lose Ausschweifung, der er sich hingegeben, den ha?lichen Zug der Abgelebtheit bekommen hatte, war hastig und jah in seinen Bewegungen, schrie und lachte ungebardig, fuhrte auch allerhand unflatige Reden im Munde, da? man sich immer seines hochadeligen Namens erinnern mu?te, um zu begreifen, wie er Zutritt zur vornehmsten Gesellschaft von Paris finden konnte. Seine Gemahlin war eine Dame von nicht geringer Schonheit, die trotz ihrer drei?ig Jahre noch zu den interessantesten Erscheinungen dieser Kreise zahlte, doch nicht tadellos in ihrem Wandel war, was man ihr aber in Anbetracht des unausstehlichen Wesens ihres Mannes bereitwillig nachsah. –
»He, he!« rief er, »was sieht man da? Die schonste Dame auf dem ganzen Balle zieht sich zuruck? Darf das sein? Na, das ware ja die unverantwortlichste Sunde, die jemand begehen konnte! Das brauchen doch wir uns nicht bieten zu lassen, wir – Manner! Haben wir doch ein Recht drauf, alle Schonheit zu bewundern, die ...« – »Aber, lieber Herr Herzog, reden Sie doch nicht gar zu laut,« bemerkte die Marquise, »Sie zwingen uns sonst, Sie zu meiden!« – »Wie Sie das sagen, Marquise!« erwiderte der Herzog, »ich kenne Sie ja gar nicht wieder! Kommen Sie her, reichen Sie mir Ihren Arm und machen Sie mit mir einen Gang durch die Galerie!« – »Aber doch nicht mit Ihnen!« versetzte abwehrend die Herzogin, »ach, bitte ruhren Sie das Bukett nicht an! Auch den Facher nicht! Sie zerbrechen ja doch immer alles, was Sie in die Finger bekommen.« – Der Herzog lachte so laut, da? Frau von Harville sich gewi? auf der Stelle entfernt hatte, ware nicht im selben Augenblicke Herr Karl Robert – der junge hubsche Herr, den Frau Pipelet »den Kommandanten » zu nennen liebte – von der andern Seite hergekommen. So furchtete sie, es konne wohl aussehen, als sei sie ihm entgegen gegangen, und blieb beim Herzoge stehen ... »Ei, der Tausend!« rief Lucenay, »wo kommen Sie denn hergeschneit, Karl Robert? Hab Sie doch eben erst in den Pyrenaen getroffen! Marquise, ein gro?artiger Kerl, dieser Karl Robert! Singt wie ein Schwan und tanzt wie Apollo ... Na, Sie sollen sehen, wie ich ihn aufziehe! Wunschen Sie, da? ich Sie mit ihm bekannt mache?«
Karl Robert trat naher. Seine hohe Gestalt war gut proportioniert, sein Gesicht zeichnete sich durch die tadellose Reinheit der Zuge aus, dennoch fehlte es seiner Gestalt an Grazie und Eleganz, er hatte eine steife, gezwungene Haltung, und seine Hande und Fu?e waren gro? und gemein. Sobald er aber die Marquise von Harville erblickte, trat auf seine Zuge plotzlich ein Ausdruck tiefer Melancholie, und so geschwind, da? man nicht anders konnte, als ihn fur erheuchelt halten, und doch war es nicht sowohl Heuchelei, als tiefes Ungluck, unsagliche Trostlosigkeit, so da? Frau von Harville, als er jetzt vor ihr stand, unwillkurlich an die ungluckverkundenden Worte denken mu?te, die eben aus ihrem Munde gefallen waren.
»Ach, guten Tag, Bester,« rief Lucenay ihm zu, ihn am Arme packend, als er vorbeigehen wollte, »was fehlt Ihnen? Sie sehen ja ganz elend aus!« – Mit der klaglichsten Stimme antwortete Karl Robert, einen langen, melancholischen Blick auf die Marquise werfend: »Wohl fuhle ich mich freilich gar nicht.« – »Konnen Sie denn Ihren ewigen Keuchhusten gar nicht mehr los werden?« fragte Lucenay, dem Anschein nach mit echter Teilnahme. – Auf Karl Roberts Gesicht trat helle Zornesrote, und heftig erwiderte er: »Wenn Sie sich fur meine Gesundheit wirklich so lebhaft interessieren, dann haben Sie vielleicht morgen fruh die Gute, mir eine Kondolenzvisite zu machen?« – »Wie sagten Sie?« versetzte Lucenay stolz, »gewi?, ich werde nicht ermangeln, durch meinen Lakai nach Ihrem Befinden vorfragen zu lassen.« – Karl Robert verneigte sich leicht und ging weiter. Frau von Harville stand auf, nahm Sarahs Arm, ging Herrn Karl Robert nach, der vor Unwillen schier au?er sich war, und sagte im Vorbeigehen leise zu ihm: »Morgen ein Uhr bin ich bei Ihnen ..«
Dann kehrte sie mit der Grafin in den Ballsaal zuruck und fuhr bald darauf nach Hause.
Neuntes Kapitel.
Herzogin von Lucenay.
Rudolf war Zeuge der fluchtigen Szene zwischen der Marquise und Herrn Karl Robert gewesen, die auf den Disput zwischen ihr und dem Herzog von Lucenay gefolgt war. Die bedeutungsvollen Blicke waren ihm nicht entgangen, die zwischen beiden gewechselt worden waren, und ein geheimes Gefuhl sagte ihm, da? der stattliche junge Mann einundderselbe sei mit dem, den die Pfortnersfrau »Kommandant« zu nennen liebte. Aus diesen Gedanken ri? ihn Baron Graun.