Nachbarin den netten Nachbar spielen? Unsre Lachtaube hat doch sicher schon gehort, da? sich jemand die Wohnung ansieht, und steht gewi? schon Posten, um Sie zu sehen, wenn Sie wieder hinuntergehen. Na, passen Sie nur auf! Ich werde die Tur stark ins Schlo? fallen lassen, damit sie es hort, da? wir kommen.«

Rudolf sah wirklich, da? die mit ein paar Amorettenfiguren bemalte Tur leicht angelehnt war, sah auch durch die schmale Spalte hindurch den Schatten von einem Naschen und ein gro?es schwarzes, lebhaftes und neugieriges Auge. Sobald er aber mit dem Schritt ein wenig anhielt, wurde die Tur schnell herangezogen. – »Na, was habe ich gesagt?« meinte der Pfortner, »aber – einen Moment! Ich will mich nun doch auf mein kleines Observatorium begeben.« – »Was nennen Sie so?« fragte Rudolf. – »Ueber der Leiter hier liegt ein Vorsaal, dahinter liegt Morels Stubchen, und hinter einer Tapete befindet sich ein kleines schwarzes Loch, durch das man sehen kann, und auch horen, genau so gut, wie wenn man mit in der Stube ist. Spionieren und horchen ist ja sonst meine Sache nicht; manchmal aber gehe ich doch hin, weil es mich prickelt, ein bi?chen Elend mal in natura zu sehen, nicht blo?, wie man es sonst im Theater blo? sieht. Komme ich dann wieder in meine eigene Stube, so komme ich mir vor wie in einem Palaste.« – Pipelet stieg die Leiter hinauf, die zu der Dachwohnung fuhrte, und sagte zu Rudolf, er mochte inzwischen hinuntergehen, er wurde gleich wieder bei ihm sein.

Rudolf warf einen letzten Blick nach der Tur, hinter der die Jungfer Lachtaube weilte, und wollte eben hinuntergehen, als er im untenliegenden Stockwerk jemand durch die Tur treten horte. Er erkannte den leichten Tritt eines weiblichen Wesens, unterschied auch das Rauschen eines Seidenkleides. Da er nicht neugierig erscheinen mochte, blieb er einen Augenblick stehen, ging jedoch, sobald er nichts mehr horte, ebenfalls hinunter. Als er ins zweite Stockwerk gelangte, sah er ein Taschentuch auf den Steinfliesen liegen; er buckte sich danach: es gehorte sicher der Dame, die eben aus der Wohnung des Scharlatans getreten war; als er es naher ansah, bemerkte er in dem einen Zipfel ein L. und N. mit einer Herzogskrone daruber. Das Tuch war na?, doch sicher von Tranen. Ohne es zu wollen, war er also auf die Spur eines jedenfalls hochst traurigen Erlebnisses gekommen. Unten angelangt, fragte er die Pfortnersfrau, ob eben eine Dame vorbeigegangen sei?« – »Jawohl,« antwortete die Frau, »gro? und schlank, und schwarzverschleiert. Sie kam von Herrn Bradamanti herunter. Der kleine lahme Strick mu?te ihr einen Fiaker holen. Sie stieg ein. Mich hat es blo? gewundert, da? der Junge sich hintenaufschwang. Doch gewi?, um zu sehen, wohin die Fahrt ging, denn der Kerl ist neugierig wie eine Elster und flink wie ein Wiesel, trotz seinem lahmen Beine.«

Rudolf dachte bei sich, auf diese Weise kame sicher der Scharlatan erst hinter den Namen der Dame, und machte sich nun selbst auf den Weg, zufrieden mit den Resultaten dieses Ausflugs.

Viertes Kapitel.

Tom und Sarah.

Sarah Seyton, verwitwete Grafin Mac Gregor und etwa 37 bis 38 Jahre alt, war die Tochter eines vornehmen schottischen Landedelmannes, von vollendeter Schonheit, aber stolz und ehrgeizig fast bis zum Wahnsinn, seitdem ihr durch eine alte Frau aus dem Hochlande, die sie eine Zeitlang bedient hatte, der Besitz eines Thrones verhei?en worden war. Ihr Bruder Tom war nicht minder aberglaubisch wie sie, bestarkte sie in ihren Hoffnungen und lebte fast nur noch der Verwirklichung dieses Phantoms, war jedoch keineswegs so verblendet, nur auf einen Thron ersten Ranges zu spekulieren, sondern in seinem Sinne auch zufrieden mit dem eines Reiches von sekundarer Bedeutung, wenn es nicht anders ging, auch eines Furstentums, moglichst freilich eines von souveranem Range. Nun hatte Deutschland damals eine recht gro?e Menge von jungen prasumptiven Thronerben. Sarah war protestantischen Glaubens, und Tom war es recht gut bekannt, da? es deutschen Fursten keine gro?e Schererei machte, eine Ehe zur linken Hand einzugehen. Der Entschlu?, nach Deutschland zu gehen, war mithin schnell gefa?t, und da Sarah mit Schonheit und Eleganz die mannigfachsten Talente vereinte, uber einen gewandten, lebhaften Geist und eine gro?e Gabe, sich zu verstellen, verfugte, so fiel es dem Geschwisterpaare nicht schwer, nach einem etwa sechsmonatigen Aufenthalt in Paris, wo sie manches von ihrer britischen Zugeknupftheit verlernten, die Bekanntschaft des alten Marquis von Harville machten, der in England mit ihrem Vater bekannt geworden war, und sich des Wohlwollens der Gemahlin des englischen Gesandten versichern konnten, in Deutschland Fu? zu fassen. Das erste Landchen, das im Reiseplane des Geschwisterpaares vermerkt worden war, war das Gro?herzogtum Gerolstein, wohin es sehr gute Empfehlungsschreiben besah, und dessen mutma?licher Thronfolger Gustav Rudolf kaum achtzehn Jahre zahlte. Die Ankunft der jungen schottischen Edeldame an dem stillen, ernsten, streng patriarchalischen Hofe war halb und halb ein Ereignis. Der Gro?herzog war seinem Landchen ein weiser Regent, und man hatte sich ein glucklicheres Leben, als dort herrschte, kaum denken konnen. Gegen den alten Marquis von Harville fuhlte er Liebe und Dankbarkeit im Herzen, seit ihm dieser im Jahre 1815 bedeutende Dienste geleistet hatte, und da Tom und Sarah von ihm ein warmes Empfehlungsschreiben mitbrachten, wurden sie begreiflicherweise am Gerolsteiner Hofe mit offenen Armen aufgenommen. Schnell hatte Sarah den festen, loyalen Sinn des Herrschers erkannt, und ehe sie sich um den Sohn bemuhte, der ihr sicher zu sein schien, hielt sie es fur richtiger, sich das Wohlwollen des Herrn Papa zu erwerben. Sehr bald aber sollte sie sich uberzeugen, da? dieser, mit so gro?er Liebe er auch an dem Sohne hing, von gewissen Grundsatzen uber Furstenpflicht und Dynastie-Gesetzen unter keinen Umstanden abweichen werde. Schon trug sie sich mit der Absicht, von ihren Planen Abstand zu nehmen, da machte ihr Bruder geltend, da? Rudolf ja noch sehr jung sei, da? ihm allgemein Sanftmut und Herzensgute nachgeruhmt werde, da? er fur schuchtern, traumerisch und unentschlossen gelte, und dadurch lie? sie sich bestimmen, noch in Gerolstein zu bleiben und den Dingen Zeit zur Entwickelung zu lassen. Sie wu?te jedermann fur sich zu gewinnen, und wurde bald der Abgott des greisen Gro?herzogs, wie auch von dessen noch lebender Mutter, der verwitweten Gro?herzogin Judith, die zwar schon 96 Jahre zahlte, aber noch immer Sinn und Geschmack fur alles Junge und Schone hatte.

So oft das Geschwisterpaar von Abreise sprach, immer wu?te die alte Gro?herzogin ihrem Sohne vorzustellen, da? er alles tun musse, es an seinen Hof zu fesseln, da sie Sarah nicht mehr entbehren konne. Dadurch kam es, da? Baronet Tom Seyton of Halesbury zum ersten Stallmeister am gro?herzoglichen Hofe, zum argen Verdru? aller einheimischen, wahrlich nicht eben geringen Reflektanten, erhoben wurde. Daruber war das erste Vierteljahr verstrichen, und noch immer war kein Wort uber Rudolf gefallen, der kurz nach der Ankunft des Geschwisterpaares mit einem Adjutanten und seinem Getreuen, dem Baronet Murph, zu einer Truppen-Inspektion hatte abreisen mussen. Das war fur Sarah ein gunstiger Zufall, denn sie gewann dadurch Zeit, die Faden zu ihrem Gewebe zu ordnen, ohne die Aufmerksamkeit des Gro?herzogs unmittelbar auf sich zu lenken, was durch etwaige Aufmerksamkeiten des jungen Prinzen gegen sie leicht hatte der Fall sein konnen.

Funftes Kapitel.

Sie Walter Murph und Abbe Polidori.

Rudolf war von Kindheit an schwachlich, und diese Eigenschaft hatte seinen Vater auf den Gedanken gebracht, seine Erziehung englischen Lehrern anzuvertrauen, die im Sport bewandert sind und in dessen Uebung ein gesundheitsforderliches Element erblicken, von dem man in Deutschland zur damaligen Zeit noch so gut wie keine Vorstellung hatte. Seine Wahl fiel auf einen Hunen von Landsassen aus Yorkshire, Sir Walter Murph, dessen Grundsatze und Anschauungen seinen vollen Beifall fanden. Jahrelang residierte nun der Erbgro?herzog in Murphs Gesellschaft auf einem mitten zwischen Waldern gelegenen kleinen Jagdschlosse, ein paar Stunden von Gerolstein entfernt, und widmete sich allerhand Leibesubungen und landwirtschaftlichen Arbeiten. In der reinen, frischen Landluft schien der Prinz sich formlich umzuwandeln, die fahle Blasse wich aus seinem Gesicht und machte einer frischen Rote Platz. Er lernte Strapazen ertragen, gewohnte sich Mut und Energie an und konnte es im Faust und Ringkampfe bald mit Junglingen aufnehmen, die ihm im Alter weit voraus waren. Nachdem Sir Walter Murph sich seiner Aufgabe zur vollkommensten Zufriedenheit des Gro?herzogs erledigt hatte, mu?te er auf einige Zeit, um Erbschafts- und andere Angelegenheiten zu ordnen, nach England zuruckreisen, und nun meinte der Gro?herzog, seinem Sohne auch eine gediegene wissenschaftliche Bildung geben zu sollen. Hierzu berief er einen gelehrten Mann aus Italien, der den Rang eines Abbe bekleidete und im Rufe eines tuchtigen Philologen, klugen Arztes und

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