»Tief durchatmen, David . « Ich holte tief Luft, zeigte es ihm. »So ist gut. Na los ... Tief durchatmen ...«

David nickte, versuchte, auf mich zu horen. Er atmete kurz durch. Dann fing er wieder an zu keuchen.

»So ist gut, David, jetzt noch einmal ...«

Noch ein Atemzug. Seine Atmung wurde etwas langsamer. Er horte auf zu zittern.

»Okay, David, so ist gut .«

Hinter mir sagte Charley: »Ich hab immer gewusst, dass der Typ total verkorkst ist. Seht euch das an, man muss mit ihm reden wie mit einem kleinen Kind.«

Ich schaute nach hinten, warf Charley einen bosen Blick zu. Er zuckte blo? mit den Schultern. »He, ich hab doch Recht.«

Mae sagte: »Das hilft uns aber nicht weiter, Charley.«

»Schei? drauf.«

Rosie sagte: »Charley, halt doch einfach mal 'ne Weile die Klappe, ja?«

Ich sah wieder David an, sprach ruhig auf ihn ein. »Sehr schon, David ... So ist gut, tief atmen ... Und jetzt lass den Turknauf los.«

David schuttelte den Kopf, weigerte sich, doch nun wirkte er verwirrt, unsicher, als wusste er nicht mehr so recht, was er da eigentlich machte. Er blinzelte rasch mit den Augen. Als wurde er aus einer Trance erwachen.

Ich sagte leise: »Lass den Turknauf los. Das bringt doch gar nichts.«

Schlie?lich lie? er los und setzte sich auf den Boden. Er fing an zu weinen, den Kopf in den Handen.

»Ach, Gott«, sagte Charley. »Das hat uns gerade noch gefehlt.«

»Halt den Mund, Charley.«

Rosie ging zum Kuhlschrank und kam mit einer Flasche Wasser zuruck. Sie gab sie David, der weinend daraus trank. Sie half ihm auf die Beine, gab mir mit einem Nicken zu verstehen, dass sie sich um ihn kummern wurde.

Ich ging zuruck in die Mitte des Raumes, wo die anderen inzwischen am Computerbildschirm standen. Der Monitor zeigte jetzt nicht mehr Codezeilen, sondern die Nordfassade des Hauptgebaudes. Vier Schwarme waren dort zu sehen, und sie bewegten sich silbern glanzend entlang des Gebaudes auf und ab.

»Was machen die da?«, fragte ich.

»Die wollen rein.«

Ich sagte: »Warum wollen sie das?«

»Wir wissen es nicht«, sagte Mae.

Einen Moment lang sahen wir schweigend zu. Wieder war ich verblufft, wie zielstrebig ihr Verhalten war. Sie erinnerten mich an Baren, die in einen Wohnwagen einbrechen wollen, um an die Lebensmittel zu kommen. Sie verharrten an jeder Tur und an jedem geschlossenen Fenster, schwebten davor, bewegten sich an den Dichtungen auf und ab und strebten schlie?lich eine Offnung weiter.

Ich sagte: »Und verhalten die sich an den Turen immer so?«

»Ja. Wieso?«

»Weil es so aussieht, als wurden sie sich nicht erinnern, dass die Turen abgedichtet sind.«

»Nein«, sagte Charley. »Sie konnen sich nicht erinnern.«

»Weil sie nicht genug Speicher haben?«

»Entweder das«, sagte er, »oder das da ist eine andere Generation.«

»Du meinst, das sind neue Schwarme seit heute Mittag?«

»Ja.«

Ich sah auf meine Uhr. »Alle drei Stunden eine neue Generation?«

Charley zuckte die Achseln. »Genau wei? ich das nicht. Wir haben bisher nicht herausgefunden, wo sie sich vermehren. Das ist blo? meine Vermutung.«

Die Moglichkeit, dass so schnell neue Generationen entstanden, bedeutete, dass auch der in den Code eingebaute Evolutionsmechanismus - wie auch immer der aussehen mochte -schnell voranschritt. Genetische Algorithmen - die die Reproduktion simulierten, um zu Losungen zu gelangen - bewegten sich fur gewohnlich zwischen funfhundert und funftausend Generationen, um eine Optimierung zu erreichen. Wenn diese Schwarme sich alle drei Stunden vermehrten, dann hatten sie in den vergangenen zwei Wochen um die hundert Generationen hervorgebracht. Und deshalb musste das Verhalten nun schon um einiges praziser sein.

Mae beobachtete sie auf dem Monitor und sagte: »Wenigstens bleiben sie beim Hauptgebaude. Anscheinend wissen sie nicht, dass wir hier sind.«

»Woher sollen sie das auch wissen?«, fragte ich.

»Das konnen sie nicht«, sagte Charley. »Ihr Hauptsinn ist das Sehen. Kann sein, dass sie im Laufe der Generationen auch ein bisschen Horfahigkeit erworben haben, aber in erster Linie ist es nach wie vor das Sehen. Was sie nicht sehen, existiert fur sie nicht.«

Rosie kam mit David zu uns. Er sagte: »Tut mir schrecklich Leid, Leute.«

»Kein Problem.«

»Schon gut, David.«

»Ich wei? nicht, wie das passieren konnte. Es war wohl einfach zu viel fur mich.«

Charley sagte: »Vergiss es, David. Wir verstehen das. Du bist nun mal ein Psychopath, und du bist durchgedreht. Wir wissen das. Kein Problem.«

Rosie legte einen Arm um David, der sich laut die Nase putzte. Sie blickte auf den Monitor. »Wie sieht's denn da drau?en aus?«, fragte sie.

»Scheint so, als wussten sie nicht, dass wir hier sind.«

»Gut .«

»Wir hoffen, dass das so bleibt.«

»Klar. Und wenn nicht?«, sagte Rosie.

Ich hatte daruber nachgedacht. »Wenn nicht, bauen wir auf die Locher in den predprey-Annahmen. Wir nutzen die Schwachen in der Programmierung aus.«

»Und das bedeutet?«

»Wir schwarmen«, sagte ich.

Charley stie? ein wieherndes Lachen aus. »Ja, klar, wir schwarmen - und beten auf Teufel komm raus.«

»Das ist mein voller Ernst«, sagte ich.

In den vergangenen drei?ig Jahren hatten Wissenschaftler die Rauber-Beute-Interaktionen bei allen moglichen Saugetieren und Insekten studiert, vom Lowen uber die Hyane bis hin zur Wanderameise. Inzwischen durchschaute man sehr viel besser, wie Beutetiere sich schutzten. Zebras und Karibus zum Beispiel lebten nicht in Herden, weil sie gesellig waren, sondern weil die Herde Schutz vor Raubern bot. Bestand die Herde aus vielen Tieren, so war das gleichbedeutend mit erhohter Wachsamkeit. Und angreifende Rauber waren haufig verwirrt, wenn die Tiere in alle Richtungen flohen. Manchmal blieben sie einfach stehen. Ein Rauber, dem zu viele bewegliche Ziele geboten wurden, verfolgte oft gar keines.

Das Gleiche galt fur Vogel- und Fischschwarme - bei koordinierten Gruppenbewegungen fiel es Raubern schwerer, ein einzelnes Opfer herauszupicken. Rauber griffen vor allem Tiere an, die sich in irgendeiner Weise von der Masse abhoben. Das war ein Grund dafur, warum sie so haufig Jungtiere auswahlten - nicht blo? weil sie leichter zu erbeuten waren, sondern auch, weil sie anders aussahen. Und Rauber toteten mehr mannliche als weibliche Tiere, weil sich besonders nichtdominante Mannchen eher am Rand der Herde aufhielten, wo sie auffalliger waren.

Als Hans Kruuk vor drei?ig Jahren in der Serengeti Hyanen studierte, fand er heraus, dass ein Tier, nachdem man es mit Farbe markiert hatte, beim nachsten Angriff garantiert getotet wurde. So stark war die Macht des Unterschieds.

Die Botschaft war also ganz einfach. Zusammenbleiben. Gleich bleiben.

Das war unsere gro?te Chance.

Aber ich hoffte, dass es nicht so weit kommen wurde.

Die Schwarme verschwanden fur eine Weile. Sie waren jetzt auf der anderen Seite des Laborgebaudes. Wir warteten nervos. Schlie?lich tauchten sie wieder auf. Erneut bewegten sie sich an der Langsseite des Gebaudes

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