Gleiche.«

»Ein Gluck fur uns«, erwiderte ich. Ich wartete ab, ob der Schwarm sein Verhalten veranderte. Bisher war das nicht geschehen. Und wenn er sehr wenig Speicher hatte, dann war er vielleicht wie ein Alzheimerpatient unfahig, sich zu erinnern, dass er das alles schon einmal gemacht hatte.

Jetzt flog er um das Kaninchen herum, bewegte sich in Halbkreisen.

»Steckt eindeutig in einer Endlosschleife«, sagte Charley.

Ich wartete.

Ich hatte nicht alle Veranderungen uberprufen konnen, die sie an predprey vorgenommen hatten, weil das zentrale Modul fehlte. Aber im ursprunglichen Programm war ein randomisie-rendes Element eingebaut gewesen, um mit Situationen wie dieser fertig zu werden. Immer wenn predprey sein Ziel verfehlte und es keinen spezifischen Input durch die Au?enwelt gab, der neue Aktionen auslosen konnte, dann wurde sein Verhalten willkurlich modifiziert. Diese Losung war weithin bekannt. So waren beispielsweise Psychologen zu der Uberzeugung gelangt, dass ein gewisses Ma? an willkurlichem Verhalten fur Innovationen erforderlich sei. Kreativitat war nicht moglich, wenn man sich nicht in neue Richtungen vorwagte, und diese Richtungen wurden meistenteils willkurlich gewahlt .

»Oh-oh«, sagte Mae.

Das Verhalten hatte sich verandert.

Der Schwarm bewegte sich in immer gro?eren Kreisen unablassig um das Kaninchen herum. Und gleich darauf stie? er auf eine andere Spur. Er hielt einen Moment inne, stieg dann plotzlich in die Hohe und kam direkt auf uns zu. Er folgte genau dem Weg, den wir zum Depot gegangen waren.

»Schei?e«, sagte Charley. »Jetzt konnen wir einpacken.«

Mae und Charley sturzten durch den Raum zu einem Fenster. David und Rosie spahten aus dem Fenster uber dem Waschbecken. Und ich rief: »Nein, nein! Alle weg von den Fenstern!«

»Was?«

»Er kann sehen, wisst ihr nicht mehr? Los, weg von den Fenstern!«

Gut verstecken konnte man sich im Depot nicht, wei? Gott nicht. Rosie und David krochen unter das Waschbecken. Charley zwangte sich neben sie, ohne auf ihre Proteste zu achten. Mae schlupfte in eine dunkle Ecke des Raumes, druckte sich in die Lucke zwischen zwei Regalen, die einander nicht ganz beruhrten. Sie ware nur vom Westfenster aus zu sehen -und auch dann nicht so ohne weiteres.

Das Funkgerat knisterte. »He, Leute?« Es war Ricky. »Einer ist auf dem Weg zu euch. Und ah ... Nein ... Zwei andere folgen ihm.«

»Ricky«, sagte ich. »Kein Funkkontakt mehr.«

»Was?«

»Kein Funkkontakt mehr.«

»Wieso?«

»Schalt ab, Ricky.«

Ich lie? mich im Hauptraum hinter einem Karton mit Vorraten auf die Knie fallen. Der Karton war nicht gro? genug, um mir volle Deckung zu geben - meine Fu?e lugten hervor -, aber ebenso wie Mae war ich nicht leicht zu sehen. Von drau?en musste man schon in einem bestimmten Winkel durch das Nordfenster schauen, um mich zu entdecken. Jedenfalls besser als gar nichts.

Von meiner Kauerposition aus konnte ich die anderen unter dem Waschbecken so eben sehen. Mae gar nicht, dafur musste ich schon den Kopf um die Ecke des Kartons schieben. Als ich nach ihr sah, wirkte sie ruhig, gefasst. Ich zog den Kopf zuruck und wartete.

Ich horte nur das Summen der Klimaanlage. Zehn oder funfzehn Sekunden verstrichen. Ich konnte das Sonnenlicht durch das Nordfenster uber dem Waschbecken fallen sehen. Es warf links von mir ein wei?es Rechteck auf den Boden.

Mein Headset knisterte. »Wieso keinen Kontakt?«

»Ich fass es nicht«, knurrte Charley.

Ich legte einen Finger an die Lippen und schuttelte den Kopf.

»Ricky«, sagte ich, »konnen diese Schwarme nicht auch horen?«

»Klar, vielleicht ein bisschen, aber .«

»Sei still und melde dich nicht mehr.«

»Aber .«

Ich griff nach dem Sender an meinem Gurtel und schaltete ihn ab. Ich gab den anderen unter dem Waschbecken ein Zeichen. Sie stellten ebenfalls ihre Sender ab.

Charley formte etwas mit den Lippen. Ich meinte zu verstehen: »Der verdammte Mistkerl will, dass wir draufgehen.«

Aber sicher war ich mir nicht.

Wir warteten.

Es waren hochstens zwei oder drei Minuten, aber es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Meine Knie auf dem harten Betonboden schmerzten. Um es mir etwas bequemer zu machen, veranderte ich vorsichtig meine Position; ich war mir sicher, dass der erste Schwarm inzwischen ganz in der Nahe sein musste. Er war noch nicht an den Fenstern aufgetaucht, und ich wunderte mich, wo er blieb. Vielleicht hatte er, weil er unserer Spur folgte, an den parkenden Autos Halt gemacht. Ich fragte mich, was fur einen Reim sich Schwarmintelligenz wohl auf ein Auto machen wurde. Wie verwirrend es fur dieses hochauflosende Auge sein musste. Aber vielleicht wurde der Schwarm die Autos, da sie leblos waren, lediglich als gro?e Felsbrocken in leuchtenden Farben einstufen und sie ignorieren.

Aber trotzdem . Wo blieb er nur?

Von Sekunde zu Sekunde schmerzten mir die Knie mehr. Ich veranderte meine Position, verlagerte Gewicht auf die Hande und hob die Knie wie ein Laufer in den Startblocken. Das brachte eine vorubergehende Erleichterung. Ich war so auf den Schmerz konzentriert, dass ich zunachst nicht merkte, dass das helle, wei?e Rechteck auf dem Boden in der Mitte dunkler wurde und sich die Dunkelheit zu den Seiten hin ausbreitete. Gleich darauf wurde das ganze Rechteck mattgrau.

Der Schwarm war da.

Ich war mir nicht sicher, aber ich meinte, unter dem Gesumm der Klimaanlage ein tiefes Trommeln zu horen. Von meinem Versteck hinter dem Karton aus sah ich, dass sich das Fenster oberhalb des Waschbeckens durch die wirbelnden schwarzen Partikel zunehmend verdunkelte. Als wurde drau?en ein Sandsturm toben. Im Depot wurde es duster. Erstaunlich duster.

Unter dem Waschbecken fing David Brooks an zu stohnen. Charley hielt ihm mit der Hand den Mund zu. Sie blickten nach oben, obwohl das Waschbecken die Sicht auf das Fenster uber ihnen versperrte.

Und dann verschwand der Schwarm vom Fenster, so rasch, wie er gekommen war. Sonnenlicht stromte wieder herein.

Niemand ruhrte sich.

Wir warteten.

Augenblicke spater wurde das Fenster an der Westwand dunkel, auf die gleiche Art. Ich fragte mich, warum der Schwarm nicht hereinkam. Das Fenster war nicht luftdicht. Die Nanopartikel konnten muhelos durch die Ritzen dringen. Aber offenbar machten sie nicht einmal den Versuch.

Moglicherweise war das ein Aspekt des Netzwerklernens, der uns zugute kam. Vielleicht glaubten die Schwarme aufgrund ihrer Erfahrung am Laborgebaude, dass Turen und Fenster undurchdringbar waren. Vielleicht unternahmen sie deshalb keinen Versuch.

Der Gedanke verlieh mir etwas Hoffnung, wodurch ich die Schmerzen in den Knien besser ertragen konnte.

Das Westfenster war noch schwarz, als sich das Nordfenster uber dem Waschbecken erneut verdunkelte. Jetzt blickten zwei Schwarme gleichzeitig herein. Ricky hatte gesagt, drei waren auf dem Weg zum Depot. Den vierten hatte er nicht erwahnt. Ich fragte mich, wo der dritte Schwarm war. Gleich darauf wusste ich es.

Wie ein lautloser, schwarzer Nebel kamen Nanopartikel unter der Westtur hindurch in den Raum. Bald darauf folgten noch mehr Partikel, rundherum um die Tur. Sobald sie eingedrungen waren, wirbelten und kreisten sie scheinbar ziellos, doch ich wusste, dass sie sich in wenigen Augenblicken selbst organisieren wurden.

Dann sah ich am Nordfenster weitere Teilchen durch die Ritzen stromen. Auch durch die Schlitze der

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