Tranen liefen ihr uber die Wangen. Sie sagte: »Los.«

Rosie rief noch immer Davids Namen, wahrend sie ihn umarmte, seinen Korper an ihre Brust zog. Aber er schien sich schon nicht mehr aus eigener Kraft zu bewegen.

Charley beugte sich nah zu mir und sagte: »Es ist nicht deine Schuld.«

Ich nickte langsam. Ich wusste, dass er Recht hatte.

»Mann, das ist dein erster Arbeitstag.« Charley griff nach unten an meinen Gurtel, schaltete mein Headset an. »Gehen wir.«

Ich drehte mich zu der Tur hinter mir um.

Und wir gingen nach drau?en.

6.Tag, 16.12 Uhr

Unter dem Wellblechdach war die Luft hei? und druckend. Vor uns erstreckte sich die Reihe Autos. Ich horte das Surren einer Videokamera auf dem Dach. Ricky hatte uns wohl auf den Monitoren herauskommen sehen. In meinem Headset rauschte es. Ricky sagte: »Um Himmels willen, was ist denn da los bei euch?«

»Nichts Gutes«, sagte ich. Hinter der Schattenlinie war die Nachmittagssonne noch immer grell.

»Wo sind die anderen?«, fragte Ricky. »Sind alle wohlauf?«

»Nein. Nicht alle.«

»Nun sag schon ...«

»Jetzt nicht.« Im Ruckblick waren wir alle durch die Ereignisse wie betaubt. Wir reagierten kaum mehr auf etwas, wollten uns nur noch irgendwie in Sicherheit bringen.

Das Laborgebaude lag gut hundert Meter entfernt, rechts von uns. Die Tur zur Energiestation konnten wir in drei?ig oder vierzig Sekunden erreichen. In forschem Laufschritt machten wir uns auf den Weg. Ricky sprach noch immer, aber wir antworteten nicht. Wir hatten alle nur einen Gedanken: In einer halben Minute wurden wir an der Tur sein, in Sicherheit.

Doch wir hatten den vierten Schwarm vergessen.

»Ach du Schei?e«, sagte Charley.

Der vierte Schwarm kam um die Ecke des Laborgebaudes gewirbelt und steuerte direkt auf uns zu. Wir blieben stehen, ratlos. »Was sollen wir machen?«, fragte Mae. »Schwarmen?«

»Nein.« Ich schuttelte den Kopf. »Wir sind nur zu dritt.«

Unsere Gruppe war zu klein, um einen Rauber zu verwirren. Aber mir fiel auch keine andere Strategie ein, die wir ausprobieren konnten. Samtliche Rauber-Beute-Studien, die ich je gelesen hatte, schossen mir durch den Kopf. In einem Punkt stimmten sie alle uberein. Ob es sich um Simulationen von Wanderameisen oder Serengeti- Lowen handelte, sie alle bestatigten eine entscheidende Dynamik: Wenn sie nicht gehindert wurden, toteten die Rauber samtliche Beutetiere, ohne Ausnahme - es sei denn, sie fanden irgendwo Zuflucht. Im richtigen Leben fluchteten sie sich in ein Nest auf einem Baum oder in einen unterirdischen Bau oder eine tiefe Stelle im Fluss. Wenn sie Zuflucht fanden, uberlebten sie. Ohne Zuflucht wurden sie alle getotet.

»Ich glaub, wir sind geliefert«, sagte Charley.

Wir brauchten eine Zuflucht. Der Schwarm war schon bedrohlich nahe. Ich konnte fast schon die Nadelstiche auf der Haut spuren und den trockenen Aschegeschmack im Mund schmecken. Wir mussten irgendwo Deckung finden, bevor der Schwarm bei uns war. Ich machte eine volle Drehung, blickte in alle Richtungen, aber ich konnte nichts entdecken, au?er .

»Sind die Autos abgeschlossen?«

Mein Headset knisterte. »Nein, normalerweise nicht.«

Wir drehten uns um und rannten.

Der erste Wagen war ein blauer Ford. Ich offnete die Fahrertur und Mae die des Beifahrers. Der Schwarm war direkt hinter uns. Ich konnte das trommelnde Gerausch horen, als ich die Tur zuknallte, als Mae ihre zuknallte. Charley, die Spruhflasche mit dem Reiniger noch immer in der Hand, versuchte, die hintere Tur auf der Beifahrerseite zu offnen, aber sie war verriegelt. Mae drehte sich im Sitz um und wollte die Tur offnen, aber Charley war schon beim nachsten Wagen, einem Toyota Land Cruiser, sprang hinein. Und schlug die Tur zu.

»Au!«, sagte er. »Verdammt hei?.«

»Ich wei?«, sagte ich. Im Wageninnern war es hei? wie in einem Brutkasten. Mae und ich waren in Schwei? gebadet. Der Schwarm kam auf uns zugerast und wirbelte uber die Front-scheibe, pulsierte, schob sich hin und her.

Uber das Headset sagte ein in Panik geratener Ricky: »Leute? Wo seid ihr? Meldet euch.«

»Wir sind in den Autos.«

»In welchen?«

»Was spielt das fur eine Rolle?«, sagte Charley. »Wir sind in zweien von den Schei?autos, Ricky.«

Der schwarze Schwarm bewegte sich von unserem Ford hinuber zum Toyota. Wir sahen, wie er von einem Fenster zum anderen glitt und versuchte, hineinzugelangen. Charley grinste mich durch die Scheibe an. »Hier sind wir sicher. Die Autos sind luftdicht. Tja ... Pech fur die.«

»Was ist mit den Luftschlitzen?«, fragte ich.

»Ich hab meine zugemacht.«

»Aber die sind nicht luftdicht, oder?«

»Nein«, sagte er. »Aber da mussten die erst mal unter die Motorhaube, um reinzukommen. Oder durch den Kofferraum. Und ich gehe jede Wette ein, dass unsere uberzuchtete Summkugel nicht auf den Trichter kommt.«

In unserem Wagen schloss Mae nacheinander die Luftschlitze am Armaturenbrett. Sie offnete das Handschuhfach, warf einen Blick hinein, machte es wieder zu.

Ich sagte: »Irgendwelche Schlussel gesehen?«

Sie schuttelte den Kopf.

Uber das Headset sagte Ricky: »Leute? Ihr kriegt noch mehr Besuch.«

Ich drehte den Kopf und sah zwei weitere Schwarme um den Unterstand herumkommen. Sie wirbelten sofort uber unserem Auto, vorn und hinten. Ich kam mir vor wie in einem Sandsturm. Ich blickte Mae an. Sie sa? ganz still da, mit versteinertem Gesicht, schaute blo? zu.

Die beiden neuen Wolken horten auf, den Wagen zu umkreisen, und kamen nach vorn. Ein Schwarm verharrte direkt vor Maes Seitenfenster. Er pulsierte, silbern glanzend. Der andere war uber der Motorhaube, bewegte sich hin und her, von Mae zu mir. Ab und zu sturzte er sich auf die Windschutzscheibe und verteilte sich uber das Glas. Dann verband er sich wieder, wich uber die Motorhaube zuruck und startete einen neuen Angriff.

Charley lachte schadenfroh. »Der will unbedingt rein. Ich sag ja, das schaffen die nie.«

Ich war mir da nicht so sicher. Mir fiel auf, dass der Schwarm sich nach jeder Attacke ein Stuck weiter die Motorhaube hinunter zuruckzog, langeren Anlauf nahm. Bald wurde er am Kuhlergrill sein. Und wenn er den Grill naher untersuchte, konnte er die Offnung zur Luftung finden. Und dann ware es aus.

Mae kramte in der Ablage zwischen den Sitzen herum. Sie forderte eine Rolle Klebeband und eine Schachtel mit Plastiksandwichbeuteln zu Tage. Sie sagte: »Vielleicht konnen wir die Luftschlitze zukleben .«

Ich schuttelte den Kopf. »Bringt nichts«, sagte ich. »Das sind Nanopartikel. Die sind so winzig, die gehen glatt durch eine Membran.«

»Du meinst, die gehen durch den Kunststoff durch?«

»Oder drum herum, durch winzige Risse. Du kriegst das niemals so dicht, dass sie nicht durchkonnen.«

»Dann hocken wir einfach hier rum?«

»Sieht so aus, ja.«

»Und hoffen, dass sie nicht dahinter kommen, wie sie reinkonnen.«

Ich nickte. »Stimmt.«

Im Headset sagte Bobby Lembeck: »Es kommt wieder Wind auf. Sechs Knoten.«

Es klang, als wollte er uns Mut machen, aber sechs Knoten war noch langst nicht stark genug. Die Schwarme vor der Frontscheibe bewegten sich muhelos um den Wagen herum.

Charley sagte: »Jack? Ich kann meine Summkugel nicht mehr sehen. Wo ist sie?«

Ich blickte zu Charleys Wagen hinuber und sah, dass der dritte Schwarm hinunter zum Vorderrad geschwebt war, wo er sich wirbelnd im Kreis drehte und durch die Locher in der Radkappe verschwand und wieder auftauchte.

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