Ich schlug mit dem Handballen gegen die Kassette und horte etwas Metallisches darin klimpern. Klang ganz nach einem kleinen Schlussel. Zum Beispiel ein Motorradschlussel. Jedenfalls war es irgendetwas aus Metall.
Wo waren Davids Schlussel? Ich fragte mich, ob Vince auch David bei seiner Ankunft die Schlussel abgenommen hatte, so wie mir meine. Falls ja, dann waren die Schlussel im Labor. Das wurde mir nichts nutzen.
Ich blickte zum Laborgebaude und uberlegte, ob ich zuruckgehen sollte, um die Schlussel zu holen. Doch da merkte ich, dass der Wind nicht mehr ganz so stark blies. Es wehte zwar noch immer eine Schicht Sand uber den Boden, aber weniger kraftig.
Na toll, dachte ich. Ausgerechnet jetzt.
Da die Zeit drangte, beschloss ich, von der Idee mit dem Motorrad Abstand zu nehmen. Vielleicht fand ich ja im Depot irgendetwas, womit ich Charley zum Labor transportieren konnte. Ich konnte mich zwar an nichts erinnern, aber ich ging trotzdem nachsehen. Als ich vorsichtig eintrat, horte ich ein schlagendes Gerausch. Es war die hintere Tur, die im Wind auf- und zuflog. Rosies Leiche lag direkt an der Schwelle und wurde jedes Mal, wenn die Tur aufschwang, hell beschienen. Ihre Haut war mit der gleichen milchigen Schicht bedeckt, wie ich es bei dem Kaninchen gesehen hatte. Aber ich ging nicht hin, um es mir aus der Nahe anzuschauen. Rasch durchstoberte ich die Regale, offnete die Gerateschranke, warf einen Blick hinter gestapelte Kisten. Ich fand ein aus Latten zusammengezimmertes Brett auf kleinen Rollen, wahrscheinlich zum Mobeltransport. Aber im Sand war es nicht zu gebrauchen.
Ich ging wieder nach drau?en unter den Wellblechunterstand und eilte zu dem Toyota. Mir blieb nichts anderes ubrig, als Charley irgendwie zum Laborgebaude zu schleppen. Vielleicht schaffte ich es ja, wenn er einen Teil seines Gewichts abstutzen konnte. Vielleicht fuhlte er sich inzwischen ja besser, dachte ich. Vielleicht war er wieder etwas starker.
Doch ein Blick in sein Gesicht verriet mir, dass dem nicht so war. Wenn uberhaupt, war er noch schwacher.
»Verdammt, Charley, was soll ich blo? mit dir machen?«
Er gab keine Antwort.
»Ich kann dich nicht tragen. Und David hat seine Schlussel nicht im Wagen gelassen, wir sehen also ziemlich alt aus .«
Ich hielt inne.
Und wenn David sich mal aus seinem Wagen ausgeschlossen hatte? Er als Ingenieur hatte bestimmt fur solche Eventualitaten vorgesorgt. Auch wenn der Fall wahrscheinlich nie eingetreten war, David ware das Risiko niemals eingegangen. Er hatte nie ein Auto angehalten, um nach einem Drahtbugel zu fragen. Nein, David doch nicht.
David hatte einen Ersatzschlussel versteckt. Wahrscheinlich in einem von diesen magnetischen Schlusselkastchen. Ich wollte mich schon auf den Rucken legen, um unter den Wagen zu schauen, als mir einfiel, dass David sich nie die Sachen schmutzig gemacht hatte, nur um einen Schlussel hervorzuholen. Er hatte sich ein cleveres Versteck gesucht, an das er trotzdem bequem herankam.
Also fuhr ich mit den Fingern an der Innenseite der vorderen Sto?stange entlang. Nichts. Ich ging zur hinteren Sto?stange, tat das Gleiche. Nichts. Ich tastete auf beiden Seiten des Wagens unter den Trittbrettern. Nichts. Kein Magnetkastchen, kein Schlussel. Ich konnte es nicht fassen, also legte ich mich hin und sah unter dem Wagen nach, ob ich vielleicht irgendeine Strebe oder so mit den Fingern verpasst hatte.
Nein, nichts. Kein Schlussel.
Ich schuttelte verwundert den Kopf. Das Versteck musste aus Stahl sein, damit das Magnetkastchen haften blieb. Und es musste vor der Witterung geschutzt sein. Aus diesem Grund versteckte fast jeder seinen Ersatzschlussel in der Sto?stange.
David hatte das nicht getan.
Wo konnte man sonst noch einen Schlussel hintun?
Ich ging wieder um den Wagen herum, betrachtete das glatte Blech. Ich fuhr mit den Fingern um die Offnung des Kuhlergrills herum und tastete unter der Einbuchtung fur das hintere Nummernschild.
Kein Schlussel.
Ich fing an zu schwitzen. Nicht nur vor Anspannung: Inzwischen spurte ich deutlich, dass der Wind schwacher wurde. Ich ging zuruck zu Charley, der noch immer auf dem Trittbrett sa?.
»Wie geht's dir, Charley?« «
Er antwortete nicht, zuckte nur mit den Schultern. Ich nahm sein Headset ab und setzte es auf. Ich horte Rauschen und leise Stimmen. Es horte sich nach Ricky und Bobby an, und es horte sich nach einem Streit an. Ich zog das Mikro naher an die Lippen und sagte: »Leute? Sprecht mit mir.«
Pause. Bobby, uberrascht: »Jack?«
»Genau .«
»Jack, du kannst nicht da drau?en bleiben. Der Wind hat in den letzten Minuten zunehmend nachgelassen. Es sind jetzt nur noch zehn Knoten.«
»Okay .«
»Jack, du musst zuruckkommen.«
»Geht noch nicht.«
»Unter sieben Knoten konnen sich die Schwarme bewegen.«
»Okay .«
Ricky: »Was soll das hei?en, okay? Verdammt, Jack, kommst du nun oder nicht?«
»Ich kann Charley nicht tragen.«
»Das hast du doch vorher gewusst.«
»Klar.«
»Jack. Was zum Teufel machst du da?«
Ich horte das Surren der Videokamera in der Ecke des Unterstandes. Ich schaute uber das Dach des Wagens und sah, wie sich das Objektiv drehte, als es sich auf mich scharf stellte. Der Toyota war ein ziemlich gro?es Auto, er versperrte mir fast den Blick auf die Kamera. Und die Skihalterung machte ihn noch gro?er. Ich fragte mich diffus, warum David eine Skihalterung hatte, wo er doch nie Ski gefahren war; er hatte Skifahren wegen der Kalte nicht leiden konnen. Die Halterung musste zur Grundausstattung des Wagens gehoren und .
Ich fluchte. Es war so nahe liegend.
Es war die einzige Stelle, wo ich nicht nachgesehen hatte. Ich sprang auf das Trittbrett und schaute auf das Wagendach. Ich fuhr mit den Fingern an der Skihalterung und an den parallelen Schienen entlang, die an das Dach geschraubt waren. Meine Finger stie?en auf Isolierband an der schwarzen Halterung. Ich zog das Band ab und sah einen silbernen Schlussel.
»Jack? Neun Knoten.«
»Okay.«
Ich sprang vom Trittbrett und kletterte auf den Fahrersitz. Ich steckte den Schlussel in die Kassette und drehte ihn. Sie offnete sich. Drinnen lag ein kleiner, gelber Schlussel.
»Jack? Was machst du da?«
Ich eilte zum Heck des Wagens. Ich steckte den gelben Schlussel in die Zundung des Motorrads. Ich setzte mich auf die Maschine und lie? sie an. Der Motor drohnte laut unter dem Wellblechdach.
»Jack?«
Ich manovrierte das Motorrad im Sitzen auf die Seite des Wagens, wo Charley war. Jetzt wurde es knifflig. Das Motorrad hatte keinen Kippstander; ich schob es, so nah es ging, an Charley heran und versuchte, ihn dann so weit abzustutzen, dass er hinter mir aufsteigen konnte, wahrend ich auf der Maschine blieb und sie aufrecht hielt. Zum Gluck verstand er, was ich wollte. Schlie?lich hatte er es geschafft, und ich sagte, er solle sich an mir festhalten.
Bobby Lembeck: »Jack? Sie sind da.«
»Wo?«
»Sudseite. Kommen auf dich zu.«
»Alles klar.«
Ich lie? den Motor aufheulen und stie? die Beifahrertur zu. Und ich blieb genau da, wo ich war.
»Jack?«