Plotzlich trat Charley einige Schritte zuruck. Einen Augenblick lang war er vollig regungslos, als hatte er etwas entdeckt, das ihm die Sprache verschlug. Ricky redete auf ihn ein. Charley fing an, auf die beiden zu zeigen und sie anzuschreien. Ricky wollte auf ihn zugehen.
Charley wich noch weiter zuruck, und dann drehte er sich zum Telefon um, das an der Wand befestigt war. Er hob den Horer ab. Ricky trat vor, sehr schnell, sein Korper war ganz verschwommen, und knallte den Horer wieder auf. Er stie? Charley zuruck, und zwar heftig. Ricky war verbluffend stark. Charley war ein stammiger Kerl, aber er fiel hin und rutschte ein Stuck uber den Boden. Er stand wieder auf, schrie noch etwas, drehte sich dann um und lief aus dem Raum.
Julia und Ricky wechselten einen Blick. Julia sagte etwas zu ihm.
Sofort rannte Ricky hinter Charley her.
Julia rannte hinter Ricky her.
»Wo sind sie hin?«, sagte ich.
Mae lie? den Bildlaufregler los, auf dem Bildschirm erschien »Zeitaktualisierung«, und dann sahen wir erneut Bilder von allen Kameras, der Reihe nach. Wir sahen Charley einen Korridor hinunterlaufen, und wir sahen Ricky, der ihn verfolgte. Wir warteten ungeduldig auf die nachste Runde. Aber dort war niemand zu sehen.
Eine weitere Runde. Dann sahen wir Charley im Wartungsraum, wo er am Telefon eine Nummer wahlte. Er warf einen Blick uber die Schulter. Ricky kam herein, und Charley legte auf. Sie stritten sich, umkreisten einander.
Charley nahm eine Schaufel und schlug damit nach Ricky. Das erste Mal konnte Ricky ausweichen. Dann erwischte es ihn an der Schulter, und er fiel zu Boden. Charley hob die Schaufel hoch uber den Kopf und lie? sie herabsausen, er wollte Rickys Kopf treffen. Der Schlag war brutal und in eindeutig morderischer Absicht. Ricky konnte sich gerade noch nach hinten werfen, da krachte die Schaufel auch schon auf den Beton.
»Mein Gott ...«, sagte Mae.
Ricky kam wieder auf die Beine, als Charley sich nach Julia umdrehte, die in den Raum trat. Julia streckte eine Hand aus, flehte Charley an (die Schaufel wegzulegen?), Charley blickte von Ricky zu Julia. Und dann kam auch noch Vince herein. Jetzt, da alle im Raum waren, verlor Charley anscheinend die Kampfeslust. Die anderen umzingelten ihn, kamen naher.
Plotzlich hastete Charley zum Technikraum, lief hinein und versuchte, die Tur zuzuschlagen. Ricky hatte ihn blitzschnell eingeholt, schob einen Fu? in den Spalt, und Charley konnte sie nicht schlie?en. Charleys Gesicht hinter der Scheibe sah wutend aus. Vince trat neben Ricky. Da beide nun an der Tur standen, konnte ich nicht sehen, was passierte. Julia schien Anweisungen zu geben. Ich meinte zu erkennen, dass sie eine Hand durch den Turspalt steckte, aber sicher war ich mir nicht.
Jedenfalls offnete sich die Tur, und Vince und Ricky betraten den Raum. Was als Nachstes geschah, lief so schnell ab, dass es auf dem Video verschwamm, aber anscheinend kampften die drei Manner; Ricky gelang es, hinter Charley zu kommen und ihn in einen Klammergriff zu nehmen, Vince drehte Charley den Arm auf den Rucken, und schlie?lich hatten die beiden Charley uberwaltigt. Er kampfte nicht mehr. Die Bilder wurden wieder klarer.
»Was passiert denn da?«, sagte Mae. »Davon haben sie uns kein Wort erzahlt.«
Ricky und Vince hielten Charley von hinten fest. Charley keuchte, seine Brust hob und senkte sich, aber er wehrte sich nicht mehr. Julia kam in den Raum. Sie blickte Charley an und unterhielt sich kurz mit ihm.
Und dann trat Julia dicht an Charley heran und kusste ihn voll und lange auf den Mund.
Charley straubte sich, wollte sich losrei?en. Vince packte mit der Faust in Charleys Haare und versuchte, seinen Kopf ruhig zu halten. Julia kusste ihn weiter. Dann trat sie zuruck, und ich sah einen schwarzen Fluss zwischen ihrem Mund und dem von Charley. Nur ganz kurz, dann war er wieder verblasst.
»Oh mein Gott«, sagte Mae.
Julia wischte sich uber die Lippen und lachelte.
Charley sackte zusammen, fiel zu Boden. Er wirkte benommen. Eine schwarze Wolke kam aus seinem Mund und schwirrte um seinen Kopf herum. Vince tatschelte ihm den Kopf und verlie? den Raum.
Ricky ging zu den Schalttafeln - und zerrte ganze Leitungsstrange heraus. Er riss die Schalttafeln buchstablich in Stucke. Dann drehte er sich wieder zu Charley um, sagte etwas und ging aus dem Technikraum.
Sofort sprang Charley auf, schloss die Tur und verriegelte sie. Aber Ricky und Julia lachten blo?, als ware Charleys Anstrengung vollig sinnlos. Charley sank erneut zu Boden, und von da an war er nicht mehr zu sehen.
Ricky legte einen Arm um Julias Schultern, und gemeinsam gingen sie aus dem Raum.
»Na, ihr zwei seid ja richtige Fruhaufsteher!«
Ich drehte mich um.
Julia stand in der Tur.
7.
Sie kam lachelnd naher. »Wei?t du, Jack«, sagte sie, »wenn ich nicht volliges Vertrauen zu dir hatte, wurde ich denken, ihr beide fuhrt irgendwas im Schilde.«
»Ach ja?«, sagte ich. Ich trat ein Stuck von Mae weg, die rasch tippte. Mir war au?erst mulmig zu Mute. »Wie kommst du denn darauf?«
»Na ja, ihr hattet verschworerisch die Kopfe zusammengesteckt«, sagte sie, wahrend sie auf uns zukam. »Richtig gebannt habt ihr auf den Bildschirm gestarrt. Was habt ihr euch denn da angeguckt?«
»Ach nichts, was Technisches.«
»Darf ich mal sehen? Ich interessiere mich ja auch fur die technischen Details. Hat Ricky dir nicht erzahlt, dass ich mich neuerdings auch fur die technische Seite interessiere? Im Ernst. Diese ganze Technologie hier fasziniert mich. Es ist eine neue Welt, oder nicht? Das einundzwanzigste Jahrhundert ist da. Bleib ruhig sitzen, Mae. Ich guck dir uber die Schulter.«
Inzwischen stand sie hinter Mae und schaute auf den Bildschirm. Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie das Bild, das Bakterienkulturen auf einem roten Nahrboden zeigte. Wei?e Kreise innerhalb von roten Kreisen. »Was ist das?«
Mae sagte: »Bakterienkolonien. Unser Coli-Material ist zum Teil kontaminiert. Ich musste einen Tank aus der Produktion nehmen. Wir suchen noch nach der Ursache.«
»Wahrscheinlich Phagen, meinst du nicht?«, sagte Julia. »Ein Virus - das ist doch meistens das Problem bei Bakterienstammen?« Sie seufzte. »Die molekulare Herstellung ist so
.«
»Doch«, sagte ich.
»Was? Bilder von Schimmel?«
»Bakterien.«
»Ja, Bakterien. Das hast du dir die ganze Zeit angesehen, Mae?«
Sie zuckte die Achseln, nickte. »Ja, Julia. Das ist mein Job.«
»Und ich zweifle keine Sekunde an deinem beruflichen Engagement«, sagte Julia. »Aber darf ich mal kurz?« Ihre Hand schoss vor und druckte die Zuruck-Taste am Rand der Tastatur.
Die Bilder davor erschienen, ebenfalls Aufnahmen von Bakteriennahrboden.
Das nachste Bild zeigte eine Elektronenmikroskopaufnahme von einem Virus.
Und dann kam eine Tabelle mit den Wachstumsdaten der letzten zwolf Stunden.
Julia druckte die Taste noch ein paarmal, doch sie sah nichts als Bakterien und Viren und Datentabellen. Sie nahm die Hand von der Tastatur. »Du scheinst ja ziemlich viel Zeit dafur aufzuwenden. Ist das wirklich so wichtig?«
»Na ja, es ist ein Kontaminant«, sagte Mae. »Wenn wir das Problem nicht in den Griff kriegen, mussen wir die gesamte Anlage abstellen.«
»Dann mach blo? weiter.« Sie wandte sich mir zu. »Mochtest du fruhstucken? Du musst doch vollig ausgehungert sein.«
»Klingt gut«, sagte ich.
»Komm mit«, sagte Julia. »Wir machen zusammen Fruhstuck.«