»Schon«, sagte ich. Ich warf Mae einen Blick zu. »Bis spater dann. Sag mir, wenn du Hilfe brauchst.«
Ich folgte Julia aus dem Raum. Wir gingen den Korridor hinunter in Richtung Wohntrakt.
»Ich wei? nicht, warum«, sagte Julia, »aber die Frau ist fur mich ein rotes Tuch.« »Ich wei? auch nicht, warum. Sie ist sehr gut. Sehr umsichtig, sehr gewissenhaft.«
»Und sehr hubsch.«
»Julia .«
»Willst du mich deshalb nicht kussen? Weil du was mit ihr hast?«
»Julia, jetzt reicht's aber.«
Sie blickte mich abwartend an.
»Hor zu«, sagte ich. »Die letzten Wochen waren fur alle ziemlich hart. Ehrlich gesagt, war es nicht leicht mit dir.«
»Das glaube ich.«
»Und ehrlich gesagt, ich war ganz schon sauer auf dich.«
»Und du hattest auch allen Grund dazu. Tut mir Leid, was ich dir alles zugemutet habe.« Sie beugte sich zu mir, kusste mich auf die Wange. »Aber wir sind so distanziert. Ich mag diese Spannung zwischen uns nicht. Komm, wir kussen uns und vertragen uns wieder.«
»Vielleicht spater«, sagte ich. »Wir haben noch viel zu tun.«
Sie gab sich verspielt, machte einen Kussmund, kusste in die Luft. »Oooch, komm schon, Schatz, nur ein kleines Kusschen ... bitte, bitte, davon stirbst du schon nicht ...«
»Spater«, sagte ich.
Sie seufzte und gab auf. Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Dann sagte sie mit ernster Stimme: »Du weichst mir aus, Jack. Und ich will wissen, warum.«
Ich antwortete nicht, stie? nur einen geduldigen Seufzer aus und ging weiter, tat so, als hatte sie darauf keine Antwort verdient. In Wirklichkeit war ich zutiefst verstort.
Ich konnte mich nicht auf Dauer weigern, sie zu kussen. Fruher oder spater wurde sie sich denken konnen, was ich wusste. Vielleicht jetzt schon. Denn auch wenn Julia sich kleinmadchenhaft gab, kam sie mir aufmerksamer und wachsamer vor denn je. Ich hatte das Gefuhl, dass ihr nichts entging.
Und ich hatte das gleiche Gefuhl bei Ricky. Sie kamen mir beide wie auf Hochtouren vor, hyperwach.
Und was ich auf Maes Monitor gesehen hatte, war verstorend. Die schwarze Wolke, die offenbar aus Julias Mund gekommen war. War sie wirklich da gewesen, auf dem Video? Denn soweit ich wusste, toteten die Schwarme ihre Beute auf der Stelle. Sie waren gnadenlos. Und jetzt schien Julia einen Schwarm in sich zu haben. Wie war das moglich? War sie irgendwie immun? Oder tolerierte der Schwarm sie und brachte sie aus irgendeinem Grund nicht um? Und was war mit Ricky und Vince? Waren sie auch immun?
Eines stand fest: Julia und Ricky wollten nicht, dass wir ir-gendwen anriefen. Sie hatten uns absichtlich in der Wuste von der Au?enwelt abgeschnitten, und sie wussten, dass nur noch wenige Stunden blieben, bis der Hubschrauber kam. Also genugte ihnen dieser Zeitraum offenbar. Um was zu tun? Uns umzubringen? Oder blo?, um uns zu infizieren? Was?
Wahrend ich so mit meiner Frau den Korridor hinunterging, hatte ich das Gefuhl, neben einer Fremden herzugehen. Neben jemandem, den ich nicht mehr kannte. Jemand, der ungeheuer gefahrlich war.
Ich sah auf die Uhr. Keine zwei Stunden mehr, bis der Hubschrauber kam.
Julia lachelte. »Hast du einen Termin?«
»Nein. Ich hab nur gedacht, es ist Zeit furs Fruhstuck.«
»Jack«, sagte sie. »Warum bist du nicht ehrlich zu mir?«
»Ich bin ehrlich ...«
»Nein. Du hast dich gefragt, wie lange es noch dauert, bis der Hubschrauber kommt.«
Ich zuckte die Achseln.
»Zwei Stunden«, sagte sie. Und sie fugte hinzu: »Ich wette, du kannst es kaum erwarten, hier wegzukommen, was?«
»Ja«, sagte ich. »Aber ich gehe erst, wenn alles erledigt ist.«
»Wieso? Was gibt's denn noch zu erledigen?«
Inzwischen waren wir im Wohntrakt. Es roch nach brutzelndem Schinken mit Eiern. Ricky kam um die Ecke. Er lachelte herzlich, als er mich sah. »He, Jack. Wie hast du geschlafen?«
»Ganz gut.«
»Ehrlich? Du siehst aber ein bisschen mude aus.«
»Ich hab schlecht getraumt«, sagte ich.
»Ach ja? Schlecht getraumt? Schade.«
»Kommt vor«, sagte ich.
Wir gingen alle in die Kuche. Bobby machte das Fruhstuck. »Zum Schinken wird Ruhrei mit Schnittlauch und Kase gereicht«, sagte er frohlich. »Was fur Brot wollt ihr?«
Julia wollte Weizentoast, Ricky Muffins. Ich sagte, ich wolle gar nichts. Ich blickte Ricky an, registrierte erneut, wie kraftig er aussah. Unter seinem T-Shirt zeichneten sich die Muskeln deutlich ab. Er merkte, dass ich ihn anstarrte. »Stimmt was nicht?«
»Nein. Ich bewundere nur deinen Traumkorper.« Ich versuchte, mich locker zu geben, aber in Wahrheit fuhlte ich mich in der Kuche mit all den anderen um mich herum unglaublich unwohl. Ich musste dauernd an Charley denken und daran, wie schnell sie ihn angegriffen hatten. Ich war nicht hungrig, ich wollte nur raus hier. Aber ich wusste nicht, wie ich das anstellen sollte, ohne Verdacht zu erregen.
Julia ging zum Kuhlschrank, offnete ihn. Der Champagner stand noch drin. »Habt ihr jetzt Lust auf ein Glaschen?«
»Klar«, sagte Bobby. »Klingt toll, ein kleiner Muntermacher am Morgen .«
»Kommt nicht infrage«, sagte ich. »Julia, ich erwarte, dass du unsere Lage ernst nimmst. Wir sind noch lange nicht aus dem Schneider. Wir mussen die Armee verstandigen, und wir konnen nicht telefonieren. Wei? Gott nicht der richtige Zeitpunkt fur Champagner.«
Sie machte einen Schmollmund. »Ach, du bist ein alter Spielverderber .«
»Spielverderber, Quatsch. Du bist albern.«
»Oooch, Schatz, sei nicht bose, komm, kuss mich, kuss mich.« Sie spitzte wieder die Lippen und beugte sich uber den Tisch.
Ich sah meine einzige Chance in einem Wutanfall. »Verdammt noch mal, Julia«, sagte ich mit lauter Stimme, »wir stecken doch nur deshalb in diesem Schlamassel, weil ihr die Sache von Anfang an nicht ernst genommen habt. Ihr hattet da drau?en in der Wuste einen entwischten Schwarm, und das wie lange - zwei Wochen? Und statt ihn zu vernichten, habt ihr mit ihm rumgespielt. So lange, bis er au?er Kontrolle geraten ist, mit dem Ergebnis, dass jetzt drei Menschen tot sind. Das ist wei? Gott kein Anlass zum Feiern, Julia. Es ist eine Katastrophe. Und ich trinke, solange ich hier bin, keinen Schei?champagner, und auch sonst keiner.« Ich ging mit der Flasche zur Spule und zerschlug sie. »Kapiert?«
Mit versteinertem Gesicht sagte sie: »Das war absolut uberflussig.«
Ich sah, dass Ricky mich nachdenklich anblickte. Als ware er damit beschaftigt, eine Entscheidung zu treffen. Bobby drehte uns am Herd den Rucken zu, als ob ihm der Ehekrach peinlich ware. Hatten sie Bobby auch schon? Ich meinte, eine dunne, schwarze Linie in seinem Nacken zu sehen, aber vielleicht tauschte ich mich, und ich traute mich auch nicht, darauf zu starren.
»Uberflussig?«, sagte ich voller Emporung. »Das waren meine Freunde. Und es waren deine Freunde, Ricky. Und deine, Bobby. Und ich mochte kein Wort mehr von dieser beschissenen Feierei horen!« Ich drehte mich um und sturmte aus der Kuche. Als ich ging, kam Vince herein.
»Immer mit der Ruhe, Kumpel«, sagte Vince. »Sonst kriegen Sie noch 'nen Schlaganfall.«
»Leck mich doch«, sagte ich.
Vince hob die Augenbrauen. Ich fegte an ihm vorbei.
»Du machst hier keinem was vor, Jack!«, rief Julia mir nach. »Ich Wei?, worum es dir wirklich geht!« Mir drehte sich der Magen um. Aber ich ging weiter. »Ich hab dich durchschaut, Jack. Ich wei?, dass du zu
Dachte Julia das wirklich? Ich kaufte ihr das nicht ab. Sie wollte mich blo? tauschen, mich in Sicherheit wiegen, bis . was? Was hatten sie vor?