Polizei hat kein weiteres gefunden.
Wir mu?ten also damit rechnen, da? jeder Strafverteidiger sich auf diese Schwachstellen konzentrieren wurde. Und sobald es der Verteidigung gelingt, Zweifel an Doils Taterschaft in den fruheren Fallen zu wecken, fangen die Geschworenen logischerweise an, sich zu fragen, ob unser angeblich unwiderlegbarer Fall Tempone nicht vielleicht auch zweifelhaft ist.
Also konzentrieren wir uns auf einen Schuldspruch im Fall Tempone, der Doil auf den elektrischen Stuhl bringt. Schlie?lich konnen wir den Mann nur einmal hinrichten, oder?«
Trotz aller Proteste war die Staatsanwaltin nicht bereit, ihre Taktik zu andern. Was Montesino dabei nicht voraussah, war die Tatsache, da? dieser Verzicht auf eine Anklageerhebung in mindestens einem weiteren Fall vor allem bei Gegnern der Todesstrafe den Eindruck erwecken mu?te, die sechs Doil angelasteten Doppelmorde seien alle zweifelhaft - selbst der eine, fur den er zum Tod verurteilt worden war.
Der Proze? gegen Doil wegen Mordes an dem Ehepaar Tempone hatte zu Auseinandersetzungen, heftiger Polemik und sogar Gewalttatigkeiten gefuhrt.
Da der Angeklagte mittellos war, bestellte Richter Rudy Olivadotti den erfahrenen Strafverteidiger Willard Steltzer zu seinem Pflichtverteidiger.
Steltzer war einer der bekanntesten Anwalte Miamis, teils wegen seiner Brillanz vor Gericht, teils wegen seines exzentrischen Auftretens. Auch mit vierzig dachte er nicht daran, sich konservativ wie seine Kollegen zu kleiden, sondern bevorzugte Anzuge und Krawatten aus den funfziger Jahren, die er in darauf spezialisierten Laden kaufte. Au?erdem trug er sein langes pechschwarzes Haar zu einem Zopf geflochten.
In typischer Manier verargerte Steltzer schon mit dem ersten Antrag als Doils Verteidiger die Staatsanwaltschaft und Richter Olivadotti. Er unterstellte, wegen der umfangreichen Medienberichterstattung sei es im Dade County nicht moglich, die Geschworenenbank unparteiisch zu besetzen, und beantragte daher, den Verhandlungsort zu verlegen.
Trotz seiner Irritation entschied sich der Richter fur diesen Antrag, und der Mordproze? fand in Jacksonville statt - fast vierhundert Meilen nordlich von Miami.
Als nachstes versuchte Steltzer seinen Mandanten fur unzurechnungsfahig erklaren zu lassen. Dafur nannte er mehrere Grunde: Doils Wutanfalle, die Tatsache, da? er als Kind mi?braucht worden war, seine rohe Gewalttatigkeit Mithaftlingen gegenuber und seinen krankhaften Drang zum Lugen, der sich darin au?erte, da? Doil abstritt, jemals in der Nahe des Hauses der Tempones gewesen zu sein, obwohl selbst sein Verteidiger zugeben mu?te, da? das au?er Zweifel stand.
Steltzer fand, dieses Verhalten lasse auf Unzurechnungsfahigkeit schlie?en, und Richter Olivadotti mu?te ihm widerstrebend zustimmen. Er ordnete an, Doil von drei Psychiatern untersuchen zu lassen. Die Untersuchung dauerte vier Monate.
In ihrem Gutachten stellten die Psychiater fest, der Verteidiger habe Elroy Doils Charakter und Gewohnheiten richtig dargestellt, aber trotzdem sei Doil nicht unzurechnungsfahig. Entscheidend sei, da? er den Unterschied zwischen Recht und Unrecht erkenne. Daraufhin erklarte der Richter Do il fur zurechnungsfahig und eroffnete das Verfahren gegen ihn.
Doils Auftritte im Gerichtssaal mu?ten jedem im Gedachtnis bleiben, der sie miterlebt hatte. Er war eine Riesengestalt: uber einsneunzig gro? und hundertdrei?ig Kilo schwer. Sein Gesicht war gro?flachig, seine Brust breit und muskulos, seine Hande riesig. Alles an Elroy Doil war uberdimensioniert - auch sein Ego. Er betrat den Gerichtssaal jedesmal in uberlegener, bedrohlicher Haltung und einem Grinsen. Seine Auftritte waren so provozierend, da? ein Reporter zusammenfassend schrieb:
»Elroy Doil hatte ebensogut seine eigene Verurteilung beantragen konnen.«
Was ihm wie schon fruher hatte nutzen konnen, ware die Anwesenheit seiner Mutter gewesen, die alle juristischen Tricks gekannt hatte. Aber Beulah Doil war schon vor einigen Jahren an AIDS gestorben.
Ohne sie war Doil feindselig und verletzend. Sogar bei der Auswahl der Geschworenen gab er seine bissigen Kommentare ab. »Nicht diesen dreckigen Schrauber!« verlangte er und meinte damit einen Automechaniker, den Steltzer gerade als Geschworenen hatte akzeptieren wollen. Da der Wunsch seines Mandanten vorging, mu?te Steltzer seine Entscheidung ruckgangig und von seinem kostbaren Einspruchsrecht Gebrauch machen, um den Mann als Geschworenen auszuschlie?en.
Als dann eine wurdevolle schwarze Matrone gewisses Mitgefuhl fur Doil erkennen lie?, brullte er: »Dieses blode Niggerweib wurd' die Wahrheit nicht erkennen, wenn sie von ihr uberfahren wurde!« Auch die Frau schied als Geschworene aus.
Daraufhin warnte der Richter, der sich bisher nicht eingemischt hatte, den Angeklagten: »Mr. Doil, ich mochte Ihnen raten, sich zu beherrschen und zu schweigen.«
In der folgenden Pause sprach Willard Steltzer, der sichtlich erregt den Arm seines Mandanten umklammerte, flusternd auf Doil ein. Danach horten die Storungen wahrend der Auswahl der Geschworenen auf, um wahrend des eigentlichen Verfahrens rasch wieder aufzuleben.
Dr. Sandra Sanchez, eine Gerichtsmedizinerin aus dem Dade County, befand sich im Zeugenstand. Sie hatte ausgesagt, das bei Elroy Doil gefundene Bowiemesser mit Blutspuren der beiden Mordopfer sei die Waffe, mit der Kingsley und Nellie Tempone erstochen worden seien.
Daraufhin sprang Doil mit wutverzerrtem Gesicht vom Verteidigertisch auf und brullte: »Warum erzahlst du hier Lugen, du gottverdammte Schlampe? Lauter Lugen! Das ist nicht mein Messer. Ich bin nicht mal dort gewesen!«
Richter Olivadotti, der Anwalten nichts durchgehen lie?, aber Angeklagten gegenuber sehr tolerant war, verwarnte ihn jetzt streng: »Mr. Doil, wenn Sie nicht still sind, mu? ich zu extremen Ma?nahmen greifen, um Sie zum Schweigen zu bringen. Ich warne Sie nachdrucklich!«
»Reden Sie keinen Schei?, Richter«, wehrte Doil ab. »Ich hab' die Schnauze voll von diesem ganzen Bockmist. Vor diesem Gericht gibt's keine Gerechtigkeit fur mich. Ihre Entscheidung steht doch langst fest, also richten Sie mich hin, verdammt noch mal! Bringen Sie's hinter sich!«
Der Richter wandte sich mit zornrotem Gesicht an Willard Steltzer: »Counsel, ich weise Sie an, mit Ihrem Mandanten zu reden und ihn zur Vernunft zu bringen. Dies ist meine letzte Warnung. Die Verhandlung ist fur eine Viertelstunde unterbrochen.«
Nach der Pause verfolgte Doil unruhig, aber schweigend die Aussagen zweier Beamter von der Spurensicherung. Aber als dann Ainslie in den Zeugenstand trat und die Festnahme des Verdachtigen vor dem Haus des Ehepaars Tempone schilderte, explodierte Doil formlich. Er sprang von seinem Platz auf, sturmte durch den Saal, griff Ainslie tatlich an und beschimpfte ihn mit wusten Ausdrucken. »Verfluchter, lugnerischer Cop... Ich bin nicht mal dort gewesen... Schei?priester, niedertrachtiger. Gott ha?t dich!... Hurensohn, Lugner...«
Wahrend Doil auf ihn einprugelte, hob Ainslie nur schutzend die Arme, ohne zuruckzuschlagen. Im nachsten Augenblick sturzten sich zwei Gerichtsdiener und ein Gefangniswarter auf den Tobenden. Sie zerrten Doil von Ainslie weg, drehten ihm gewaltsam die Arme auf den Rucken, legten ihm Handschellen an und warfen ihn auf den Bauch.
Richter Olivadotti vertagte die Verhandlung erneut.
Als sie wieder aufgenommen wurde, sa? Elroy Doil gefesselt und geknebelt in einem massiven Lehnstuhl. Der Richter sprach ihn streng an.
»Mr. Doil, Sie sind der erste Angeklagte, den ich so habe ruhigstellen lassen, und ich bedaure diese Ma?nahme sehr. Aber ihr ungebuhrliches Verhalten und Ihre verbalen Ausfalle lassen mir keine andere Wahl. Kommt Ihr Anwalt jedoch morgen fruh vor der Verhandlung zu mir und bringt mir Ihr feierliches Versprechen, da? Sie sich bis zum Ende des Verfahrens anstandig benehmen werden, uberlege ich mir, auf solche Zwangsma?nahmen zu verzichten. Aber lassen Sie sich warnen! Sie werden keine zweite Chance bekommen, falls Sie Ihr Versprechen nicht halten; dann bleiben diese Zwangsma?nahmen bis zum Abschlu? des Verfahrens bestehen.«
Am nachten Tag uberbrachte Steltzer das Versprechen seines Mandanten, und der Knebel wurde aus Doils Mund entfernt, wahrend seine Hande gefesselt blieben. Aber nach kaum einer Stunde sprang der Angeklagte erneut auf und brullte den Richter an: »Fick dich ins Knie, Arschloch!« Daraufhin wurde der Knebel wieder in Doils Mund gesteckt und blieb bis zum Ende des Verfahrens dort.
In beiden Fallen belehrte Richter Olivadotti die Geschworenen, nachdem er diese Ma?nahmen angeordnet hatte: »Die von mir veranla?ten Zwangsma?nahmen gegen den Angeklagten durfen sich nicht auf Ihren Urteilsspruch auswirken. Sie haben hier nur die vorgelegten Beweise zu wurdigen.«