nur angelehnt war. Aus dem Zimmer drang laute Musik, als sei das Radio oder der Fernseher eingeschaltet. Er klopfte an die Tur, und als niemand antwortete, stie? er sie weit genug auf, um den Kopf ins Zimmer strecken zu konnen, und wurgte angewidert, weil ihm grausiger Gestank entgegenschlug. Cobo bedeckte seinen Mund mit einer Hand, betrat Zimmer 805 und bekam bei dem Anblick, der sich ihm dort bot, ganz weiche Knie. Unmittelbar vor sich sah er in einer gro?en Blutlache die Leichen eines Mannes und einer Frau - beide von abgetrennten Gliedma?en umgeben.

Cobo schlo? hastig die Tur, atmete mehrmals tief durch und griff dann nach dem Telefon in der Halterung an seinem Gurtel. Er tippte die 911 ein.

In der Notrufzentrale der Miami Police horte eine Sachbearbeiterin zu, wie Orlando Cobo einen mutma?lichen Doppelmord im Hotel Royal Colonial meldete.

»Sie sind dort Wachmann, sagen Sie?«

»Ja, Ma'am.«

»Wo sind Sie jetzt?«

»Drau?en vor dem Zimmer. Nummer achtnullfunf.« Wahrend die Beamtin zuhorte, gab sie alle Informationen ihrem Computer ein, so da? sie im nachsten Augenblick von einem Dispatcher in einer anderen Abteilung gelesen werden konnten.

»Bleiben Sie dort«, wies sie den Anrufer an. »Bewachen Sie das Zimmer. Lassen Sie keinen hinein, bis unsere Beamten eintreffen.«

Eineinhalb Meilen vom Hotel entfernt war Tomas Ceballos, ein junger Streifenpolizist, mit Wagen 164 auf dem South Dixie Highway unterwegs, als er den dringenden Anruf eines Dispatchers empfing. Er wendete sofort mit quietschenden Reifen und raste mit Blinklicht und Sirene zum Royal Colonial.

Wenige Minuten spater traf Officer Ceballos vor Zimmer 805 mit dem Wachmann zusammen.

»Ich hab' eben bei der Rezeption nachgefragt«, sagte Cobo und sah auf einen Notizzettel. »Als Gaste haben sich Mr. und Mrs. Homer Frost aus Indiana eingetragen; die Lady hei?t mit Vornamen Blanche.« Er ubergab dem Beamten den Zettel und eine Magnetkarte fur die Zimmertur.

Ceballos steckte die Karte ins Schlo? und betrat vorsichtig Zimmer 805. Er schrak instinktiv zuruck, zwang sich dann jedoch, den Tatort genau zu inspizieren, weil er wu?te, da? er ihn spater wurde beschreiben mussen.

Der junge Beamte sah die Leichen eines alteren Mannes und einer Frau, die sich gefesselt und geknebelt gegenubersa?en, als seien beide Zeugen des Todes des jeweils anderen gewesen. Die Gesichter beider Toten waren entstellt; Augen und Gesicht des Mannes waren verbrannt. Die Leichen wiesen unzahlige Messerstiche auf. Im Hintergrund spielte ein Radio harten Rock.

Tomas Ceballos hatte genug gesehen. Er trat auf den Korridor hinaus und schaltete sein Handfunkgerat ein, um die Zentrale zu rufen; seine Dienstnummer wurde automatisch auf dem Bildschirm des Dispatchers erscheinen. Seine Stimme schwankte. »Ich brauche ein Ermittlungsteam auf Tac One.«

Tactical One war ein fur die Mordkommission reservierter Funkkanal. Detective-Sergeant Malcolm Ainslie, Dienstnummer 1910, war mit einem neutralen Dienstwagen ins Buro unterwegs und hatte sich schon bei dem Dispatcher gemeldet. Heute hatten Ainslie und sein Team Bereitschaftsdienst.

Der Dispatcher alarmierte Ainslie, der sofort auf Tac One umschaltete. »Einssechsvier hier neunzehnzehn. QSK?«

»Zwei Leichen im Hotel Royal Colonial«, meldete Ceballos. »Zimmer achtnullfunf. Vermute einunddrei?ig.« Er schluckte und sprach dann ruhiger weiter. »Nein, bestimmt einunddrei?ig. Eine schlimme Sache, ganz schlimm.«

Die Codeziffer 31 bezeichnete einen Mord. »Okay, bin unterwegs«, bestatigte Ainslie. »Sichern Sie den Tatort. Dort darf niemand rein - auch Sie selbst nicht.«

Ainslie wendete auf der Stra?e und gab sofort wieder Gas. Gleichzeitig rief er uber Funk Detective Bernard Quinn, der zu seinem Team gehorte, und wies ihn an, ebenfalls ins Royal Colonial zu kommen.

Seine ubrigen Beamten ermittelten wegen anderer Morde und waren im Augenblick nicht verfugbar. Da sich in den vergangenen Monaten besonders viele Morde ereignet hatten, war ein Ermittlungsstau entstanden. Auch heute schien sich diese schlimme Serie fortzusetzen.

Ainslie und Quinn erreichten das Hotel fast gleichzeitig und gingen miteinander zu den Aufzugen. Quinn, der grauhaarig war und ein runzliges, von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht hatte, war wie immer untadelig gekleidet: blaues Sportsakko, graue Hose, wei?es Hemd und gestreifte Krawatte. Der geburtige Englander und eingeburgerte Amerikaner, ein Veteran der Mordkommission, wurde schon bald als Sechzigjahriger pensioniert werden.

Quinn war bei den Kollegen beliebt und geachtet, was damit zusammenhing, da? er fur deren Karriere keine Gefahr darstellte; denn nachdem er Detective geworden war und sich in diesem Job bewahrt hatte, verzichtete er auf jede weitere Beforderung. Er wollte einfach nicht fur andere verantwortlich sein und hatte nie die Sergeantprufung abgelegt, die er muhelos bestanden hatte. Aber Quinn war als leitender Ermittler an jedem Tatort ein guter Mann.

»Das ist Ihr Fall, Bernie«, sagte Ainslie. »Aber ich helfe Ihnen noch, bis die Ermittlungen in Gang gekommen sind.«

Auf ihrem Weg durch die weitlaufige, uppig bepflanzte Hotelhalle entdeckte Ainslie zwei Reporterinnen, die an der Rezeption standen. Es war erstaunlich, wie schnell Leute von den Medien, die durch die Stadt fuhren und den Polizeifunk abhorten, sich am Tatort einfanden. Eine der beiden, die Ainslie erkannte, hastete auf die Kabine des Aufzugs zu, in der die Kriminalbeamten standen, aber die Tur schlo? sich vor ihr.

Quinn seufzte, wahrend sie nach oben fuhren. »Man sollte einen Tag auch besser beginnen konnen.«

»Sie werden's bald erfahren«, meinte Ainslie. »Aber vielleicht geht Ihnen die Aufregung im Ruhestand sogar ab.«

Als sie im achten Stock ausstiegen, verstellte Wachmann Cobo ihnen den Weg. »Gentlemen, hier darf niemand...« Er sprach nicht weiter, als er die Dienstausweise an Ainslies und Quinns Jacken sah.

»Leider«, sagte Quinn, »mussen wir hier durch.«

»Sorry, Leute! Bin echt froh, euch zu sehen. Ich hab' jeden aufgehalten, der hier nichts zu... «

»Weitermachen«, wies Ainslie ihn an. »Von uns kommen noch mehr Leute, aber lassen Sie niemanden durch, der sich nicht ausweisen kann. Wir wollen, da? dieser Korridor frei bleibt.«

»Ja, Sir.« Cobo dachte nicht ans Heimfahren, solange hier alles so aufregend war.

Auf dem Flur kam ihnen Officer Ceballos entgegen, der die Kriminalbeamten respektvoll behandelte. Da er wie viele andere junge Polizeibeamten den Ehrgeiz hatte, eines Tages die Uniform abzulegen und Detective zu werden, konnte es nicht schaden, einen guten Eindruck zu machen. Ceballos ubergab den Zettel mit den Namen der Gaste in Zimmer 805 und meldete, abgesehen von zwei fluchtigen Besichtigungen durch Cobo und ihn befinde der Tatort sich im ursprunglichen Zustand.

»Gut«, antwortete Ainslie. »Sie bleiben hier, und ich fordere zwei Mann Verstarkung fur Sie an. Die Presse ist schon im Hotel und wird sich bald uberall rumtreiben. Ich will hier oben keine Reporter sehen, und Sie durfen keine Auskunft geben; sagen Sie einfach, da? spater ein PI-Beamter zur Verfugung stehen wird. Ohne meine oder Detective Quinns Erlaubnis darf vorlaufig niemand auch nur in die Nahe vo n Zimmer achtnullfunf. Haben Sie das verstanden?«

»Ja, Sergeant.«

»Okay, sehen wir uns mal an, was wir hier haben.«

Als Ceballos die Tur von Zimmer 805 offnete, rumpfte Bernard Quinn angewidert die Nase. »Und Sie glauben, da? mir das fehlen wird?«

Ainslie schuttelte melancholisch den Kopf. Der Geruch des Todes war ein ekelerregender, widerwartiger Gestank, der sich nach jedem Mord, vor allem bei offenen Wunden und austretenden Korperflussigkeiten, am Tatort ausbreitete.

Die beiden Kriminalbeamten hielten in ihren Notizbuchern fest, wann sie Zimmer 805 betreten hatten. Sie wurden sich weitere Notizen machen, bis dieser Fall irgendwann einmal abgeschlossen war. Das war lastig, aber sie wurden ihre Aufzeichnungen brauchen, falls sie spater vor Gericht aussagen mu?ten.

Zunachst blieben sie stehen und betrachteten die grausige Szene vor ihnen - die beiden teilweise schon eingetrockneten Blutlachen und die verstummelten, schon leicht in Verwesung ubergegangenen Toten. Das

Вы читаете Der Ermittler
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату