Zimmer 805 selbst, befand sich in wilder Unordnung: Sessel waren umgesturzt, die Betten zerwuhlt und Kleidungsstucke der Ermordeten im ganzen Raum verstreut. Aus dem Radio auf einem der Nachttische drang weiter laute Rockmusik.

Quinn wandte sich an Ceballos. »Ist das Radio eingeschaltet gewesen, als Sie reingekommen sind?«

»Ja - und als der Wachmann im Zimmer gewesen ist. Der Sender klingt nach >HOT 105<.«

»Danke.« Quinn machte sich eine Notiz. »Den hort mein Sohn auch. Ich kann den Larm nicht ausstehen.«

Ainslie benutzte die Kombination aus Handfunkgerat und Mobiltelefon, um mehrere Telefongesprache zu fuhren. Das Telefon in Zimmer 805 durfte erst angefa?t werden, wenn es auf Fingerabdrucke untersucht worden war.

Als erstes forderte er ein Spezialistenteam zur Spurensicherung an. Die Fachleute wurden den Tatort und alles Beweismaterial fotografieren - auch winzige Einzelheiten, die ein ungeubtes Auge leicht ubersehen konnte. Sie wurden nach Fingerabdrucken suchen, Blutproben sicherstellen und sonstige Untersuchungen vornehmen, die den Ermittlern zweckma?ig erschienen. Bis die Spurensicherung eintraf, blieb am Tatort »die Zeit eingefroren« - er blieb in genau dem Zustand, in dem er vorgefunden worden war.

Schon ein einziger Ahnungsloser, der durch den Raum ging oder Gegenstande beruhrte, konnte eine wichtige Spur vernichten und so den Ausschlag dafur geben, da? eine Straftat nicht aufgeklart wurde und ein Verbrecher straffrei ausging. Selbst Vorgesetzte, die einen Tatort aus Neugier besichtigten, konnten unwissentlich Beweismaterial zerstoren; deshalb hatte der Kriminalbeamte, der die Ermittlungen leitete, unabhangig von seinem Dienstgrad die alleinige Befehlsgewalt am Tatort.

Ainslie telefonierte weiter: Er informierte Lieutenant Newbold, den Chef der Mordkommission, der bereits unterwegs war, forderte einen Staatsanwalt an und bat im Prasidium um Entsendung eines PI-Beamten, der sich um die Reporter kummern sollte.

Sobald die Spurensicherung mit den Ermordeten fertig war, wurde Ainslie einen Gerichtsmediziner anfordern, dessen Erstuntersuchung moglichst fruh nach Eintritt des Todes stattfinden sollte. Aber Gerichtsmediziner mochten es nicht, zu fruh verstandigt zu werden und dann warten zu mussen, bis die Spurensicherung ihre Arbeit beendet hatte.

Noch spater - nach der Erstuntersuchung und der Uberfuhrung der Toten ins Leichenschauhaus von Dade County wurde eine Autopsie in Anwesenheit von Bernard Quinn stattfinden.

Wahrend Ainslie telefonierte, streifte Quinn einen Latexhandschuh uber, um den Stecker des lauten Radios herauszuziehen. Als nachstes nahm er die Leichen der Ermordeten in Augenschein: ihre Verletzungen, welche Kleidungsstucke sie noch trugen, welche Gegenstande in ihrer Nahe lagen - und machte sich dabei wieder Notizen. Auf dem anderen Nachttisch sah er einige Schmuckstucke liegen, die ziemlich teuer aussahen. Dann drehte er den Kopf zur Seite und rief verblufft: »Hey, sehen Sie sich das an!«

Ainslie trat neben ihn. Von dort aus bot sich ihm ein bizarrer, ratselhafter Anblick: hinter den Leichen, wo sie anfangs nicht zu sehen gewesen waren, lagen vier tote Katzen.

Die Kriminalbeamten betrachteten die Tierkadaver.

»Die sollen uns etwas sagen«, stellte Ainslie schlie?lich fest. »Irgendwelche Ideen?«

Quinn schuttelte den Kopf. »Nicht sofort. Daruber mu? ich erst nachdenken.«

In den kommenden Woche n und Monaten wurde die ganze Mordkommission sich Erklarungen fur die toten Katzen zurechtlegen. Obwohl zahlreiche exotische Theorien vorgebracht wurden, stand letztlich fest, da? keine sinnvoll zu sein schien. Erst viel spater wurde erkannt werden, da? am Tatort im Mordfall Frost ein weiterer wichtiger Hinweis vorhanden gewesen war - gar nicht weit von den Katzen entfernt.

Jetzt beugte Quinn sich uber die grob abgetrennten Gliedma?en, um sie genauer zu betrachten. Ainslie, der ein Wurgen horte, sah zu ihm hinuber. »Alles in Ordnung, Bernie?«

»Bin gleich wieder da«, brachte Quinn noch heraus, bevor er zur Tur sturzte.

Drau?en zeigte Cobo hilfsbereit den Flur entlang. »Gleich da vorn, Chief!«

Sekunden spater ubergab Quinn sich in die Toilettenschussel. Nachdem er sich Gesicht und Hande gewaschen und einen Schluck Wasser getrunken hatte, kehrte er an den Tatort zuruck. »So was ist mir schon lange nicht mehr passiert«, sagte er geknickt.

Ainslie nickte verstandnisvoll. Das kam in ihrem Beruf gelegentlich vor und wurde nie kritisiert. Unverzeihlich ware es gewesen, sich am Tatort zu ubergeben und damit vielleicht Spuren zu vernichten.

Stimmen auf dem Korridor kundigten das Eintreffen der Spurensicherung an. Julio Verona, der Teamchef, trat mit Sylvia Waiden, einer Technikerin, ins Zimmer 805. Verona, ein kleiner, untersetzter Mann mit Stirnglatze, blieb an der Tur stehen und suchte den Tatort methodisch mit seinen undurchdringlichen schwarzen Augen ab. Waiden, eine junge, langbeinige Blondine, die auf Fingerabdrucke spezialisiert war, trug einen schwarzen Geratekoffer von der Gro?e eines Wochenendkoffers.

Niemand sprach, wahrend die beiden den Raum inspizierten. Zuletzt schuttelte Verona seufzend den Kopf. »Ich habe zwei Enkel. Heute morgen haben wir gemeinsam gefruhstuckt und im Fernsehen einen Bericht uber zwei Teenager gesehen, die den Freund ihrer Mutter ermordet haben. Ich habe zu den Kids gesagt: >Diese Welt, die wir euch hinterlassen, ist ein grausiger Ort geworden< - und im nachsten Augenblick kommt dieser Anruf.« Er nickte zu den verstummelten Leichen hinuber. »Das wird taglich schlimmer.«

»Die Welt ist schon immer ein grausiger Ort gewesen, Julio«, meinte Ainslie nachdenklich. »Der Unterschied ist nur, da? es jetzt viel mehr Menschen gibt, die man umbringen kann, und viel mehr potentielle Tater. Und die Schreckensbotschaften werden viel schneller verbreitet; manchmal konnen wir das Entsetzliche sogar miterleben, wahrend es passiert.«

Verona zuckte mit den Schultern. »Typisch Malcolm - immer der wissenschaftliche Standpunkt. Trotzdem bleibt's deprimierend.«

Er begann die Toten zu fotografieren und machte aus jedem Blickwinkel drei Aufnahmen: eine Ubersichtsaufnahme, eine aus mittlerer Entfernung und eine Nahaufnahme. Sobald er die Leichen aufgenommen hatte, wurde er weiterfotografieren: samtliche Aspekte von Zimmer 805, den Korridor, die Feuertreppe, die Aufzuge und zuletzt das Hotel von au?en - mit allen Ein- und Ausgangen, die der oder die Tater hatten benutzen konnen. Solche Aufnahmen lieferten oft Hinweise, die zuvor ubersehen worden waren.

Au?erdem wurde Verona einen detaillierten Plan des Tatorts zeichnen, der spater in einen speziellen, ausschlie?lich dafur bestimmten Computer ubernommen werden wurde.

Sylvia Waiden war inzwischen auf der Suche nach verborgenen Fingerabdrucken, wobei sie mit Zimmertur und Rahmen begann, weil dort am ehesten Abdrucke zu finden waren. Eindringlinge waren beim Hereinkommen oft nervos oder leichtsinnig; etwaige Vorsichtsma?nahmen, um keine Fingerabdrucke zu hinterlassen, wurden im allgemeinen erst spater ergriffen.

Waiden bestrich die Holzflachen mit schwarzem Graphitpulver, dem winzige Eisenfeilspane beigemischt waren und das mit einem Magnetpinsel aufgetragen wurde; diese Mischung haftete an Feuchtigkeit, Lipoiden, Aminosauren, Salzen und weiteren chemischen Verbindungen, aus denen Fingerabdrucke bestanden.

Auf glatteren Oberflachen - Glas oder Metall - wurde ein nichtmagnetisches Pulver benutzt, das es je nach Untergrund in verschiedenen Farben gab. Bei der Arbeit verwendete Waiden abwechselnd beide Pulversorten, weil Fingerabdrucke je nach Hautstruktur, Temperatur oder Verunreinigung der Hande unterschiedlich ausfallen konnten.

Officer Ceballos war wieder hereingekommen und beobachtete Waiden interessiert. Sie sah zu ihm hinuber und sagte lachelnd: »Gute Fingerabdrucke sind schwieriger zu finden, als die meisten Leute glauben.«

Ceballos erwiderte ihr Lacheln. Waiden war ihm sofort aufgefallen, als sie aus dem Aufzug getreten war. »Im Fernsehen sieht's ganz leicht aus.«

»Ist das nicht immer so?« fragte sie. »Im richtigen Leben hangt alles vom Untergrund ab. Glatte Flachen wie Glas sind am besten - aber nur, wenn sie sauber und trocken sind; auf staubigem Untergrund verwischen die Abdrucke und sind wertlos. Turknopfe sind nahezu aussichtslos: Ihre gewolbte Oberflache ist fur brauchbare Abdrucke zu klein, und jede Drehbewegung verwischt die Spuren.« Waiden fand offenbar Gefallen an dem jungen Polizeibeamten. »Wissen Sie ubrigens, da? Fingerabdrucke durch das beeinflu?t werden konnen, was man zuletzt gegessen hat?«

»Soll das ein Witz sein?«

»Keineswegs.« Sie lachelte erneut, bevor sie weiterarbeitete. »Saurehaltige Speisen erhohen die Hautfeuchtigkeit und bewirken deutlichere Abdrucke. Sollten Sie also ein Verbrechen vorhaben, durfen Sie keine

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