Solche Falle, die nur Ratsel aufgaben, weil nicht der geringste Hinweis auf die Identitat des Taters - manchmal auch des Opfers - existierte, waren bei den Teams der Mordkommission am unbeliebtesten. Im Gegensatz dazu gab es problemlose Mordfalle, in denen bald ein Verdachtiger gefa?t und uberzeugendes Belastungsmaterial sichergestellt wurde. Und am einfachsten waren die Falle, in denen der Morder sich mit noch rauchender Pistole in der Hand am Tatort aufhielt, wenn die Polizei eintraf.

Lange nach dem grausamen Tod von Homer und Blanche Frost wurde schlie?lich ein Mord, bei dem der Morder auf frischer Tat geschnappt wurde, scheinbar auch diesen Fall losen, so da? die Akte Frost geschlossen werden konnte.

2

Am Freitagmorgen, drei Tage nach dem Doppelmord im Hotel Royal Colonial, ging Bernard Quinn kurz vor acht Uhr von der Mordkommission in die Identifizierungsstelle, die ebenfalls im vierten Stock des Polizeiprasidiums lag. Dort arbeitete ein halbes Dutzend ID-Techniker an Computern, neben denen sich Ausdrucke turmten. Quinn ging zu Sylvia Waiden, der jungen Fingerabdrucksspezialistin, die Zimmer 805 nach verborgenen Abdrucken abgesucht hatte. Sie sa? vor einem gro?en Computermonitor und hob den Kopf, als er naher kam. Er sah, da? ihre langen Haare feucht waren - vermutlich von dem Platzregen, der auch Quinn auf dem Weg zur Arbeit uberrascht hatte.

»Guten Morgen, Bernard«, sagte sie lachelnd.

»Bisher ist er nicht allzugut«, antwortete er murrisch. »Aber vielleicht konnen Sie ihn verbessern.«

»Wenig Hinweise auf den Fall vom Dienstag?« Waldens Stimme klang mitfuhlend.

»Eher gar keine. Deshalb bin ich hier, um zu fragen, warum zum Teufel eine Fingerabdrucksanalyse so lange dauert.«

»Drei Tage ist nicht lang«, widersprach sie scharf. »Vor allem nicht, wenn ich mehrere Fingerabdrucke uberprufen und identifizieren mu?. Das sollten Sie eigentlich wissen.«

»Entschuldigung, Sylvia«, sagte er geknickt. »Dieser Fall macht mich ganz fertig. Da bleiben die guten Manieren leicht auf der Strecke.«

»Schon gut«, beruhigte sie ihn. »Uns geht's auch nicht viel besser.«

»Was haben Sie bisher?«

»Heute morgen sind ein paar Abdrucke aus New York gekommen. Sie stammen von dem Mann, der das Hotelzimmer unmittelbar vor den Frosts bewohnt hat.«

»Sind sie dort gespeichert gewesen?«

»Nein, nein. Er hat sich vom NYPD die Fingerabdrucke abnehmen lassen, um uns die Fahndung zu erleichtern. Ich vergleiche sie gerade mit denen, die wir gefunden haben.«

Der Computer, an dem Waiden sa?, war das neueste AFIS-Modell - die Abkurzung fur Automated Fingerprint Identification System. Wurde dem Gerat ein Fingerabdruck vom Tatort eingegeben, schaffte es in weniger als zwei Stunden, wozu ein Mensch ungefahr hundertsechzig Jahre gebraucht hatte: Es verglich ihn mit Hunderttausenden von Abdrucken, die in den Vereinigten Staaten gespeichert waren, und identifizierte ihn, falls er bereits existierte. Das AFIS konnte viele Straftaten fast augenblicklich aufklaren; seit seiner Einfuhrung waren auch zahlreiche Falle wiederaufgerollt, alte Fingerabdrucke identifiziert und Straftater angeklagt und verurteilt worden. Heute war Waldens Aufgabe jedoch einfacher: Sie verglich die aus New York ubermittelten Fingerabdrucke mit den im Hotel Royal Colonial in Zimmer 805 gefundenen.

Der Computer brauchte nicht lange, um zu melden, die New Yorker Abdrucke seien mit denen aus Zimmer 805 identisch.

Sylvia Waiden seufzte. »Keine guten Nachrichten, furchte ich, Bernie.« Sie erklarte ihm, die einzigen am Tatort gefundenen Fingerabdrucke stammten von den Toten, einem Zimmermadchen und nun von dem Gast, der das Zimmer vor den Frosts bewohnt hatte.

Quinn fuhr sich mit einer Hand durch sein zerzaustes Haar und machte ein ungluckliches Gesicht. Es gab Tage, an denen er das Gefuhl hatte, nicht fruh genug in den Ruhestand treten zu konnen.

»Das mit den Abdrucken wundert mich nicht sehr«, fuhr Waiden fort. »An einigen Stellen, wo ich Fingerabdrucke erwartet hatte, sind mir verwischte Flecken aufgefallen - wie von Latexhandschuhen. Ich bin mir ziemlich sicher, da? der Morder welche getragen hat. Aber ich habe immerhin etwas gefunden.«

Quinn zog die Augenbrauen hoch. »Und das ware?«

»Einen noch nicht identifizierten Handflachenabdruck. Er ist nicht vollstandig, aber er stammt von keinem der Leute, deren Fingerabdrucke wir identifiziert haben - ich habe auch ihre Handflachenabdrucke angefordert. Auch wir haben solche Abdrucke gespeichert, aber dieser eine ist nicht dabei.« Waiden stand auf, trat an einen anderen Schreibtisch und blatterte in einem Stapel Computerausdrucken. Sie hielt Quinn ein einzelnes Blatt mit einem schwarzwei?en Handflachenabdruck hin.

»Das ist er.«

»Interessant.« Er betrachtete den Abdruck von beiden Seiten und auf dem Kopf stehend, dann gab er ihr das Blatt zuruck. »Niemand, den ich kenne«, sagte er lakonisch. »Was konnen Sie damit anfangen?«

»Ganz einfach, Bernie: Sobald Sie einen Verdachtigen aufgespurt haben und mir seine Handflachenabdrucke beschaffen, kann ich Ihnen fast hundertprozentig zuverlassig sagen, ob er am Tatort gewesen ist.«

»Sollten wir jemals so weit kommen«, versicherte Quinn ihr, »bin ich sofort wieder hier.«

Als Quinn durch die Flure des vierten Stocks zur Mordkommission zuruckging, fuhlte er sich ein wenig ermutigt. Immerhin war dieser Handflachenabdruck ein gewisser Anfang.

Im Mordfall Frost hatte es von Anfang an einen ungewohnlichen Mangel an Beweismaterial gegeben. Am Tag nach der Auffindung der Leichen war Quinn mit einer langeren Fragenliste ins Hotel Royal Colonial zuruckgefahren. Als erstes besichtigte er nochmals eingehend den Tatort; dann besprach er mit Julio Verona den Wert des sichergestellten Beweismaterials, zu dem ein zerrissener Briefumschlag der First Union Bank gehorte. Spater an diesem Tag klapperte Quinn die Filialen dieser Bank in der naheren Umgebung ab und stellte fest, da? die Frosts am Morgen vor ihrem Tod in der First Union Bank in der Southwest Twentyseventh Avenue Reiseschecks fur achthundert Dollar eingelost hatten. Der Kassierer, der ihnen den Betrag ausgezahlt hatte, konnte sich gut an das Ehepaar erinnern und war sich sicher, da? niemand die beiden begleitet hatte.

Quinn ordnete eine weitere Suche nach Fingerabdrucken mit fluoreszierendem Pulver und Laserlicht an, fur die Zimmer 805 abgedunkelt werden mu?te. Mit dieser Methode entdeckte man hin und wieder Fingerabdrucke, die das Standardverfahren nicht zum Vorschein bringen konnte. Aber diesmal hatte man damit keinen Erfolg.

Der Hoteldirektor stellte ihm zwei Listen zur Verfugung: eine mit den Gasten, die zur Tatzeit im Royal Colonial gewohnt hatten, und eine mit allen Hotelgasten des Vormonats. Jeder Gast wurde personlich oder telefonisch von der Polizei befragt werden. Wirkte jemand verdachtig oder auffallig abweisend, wurde ein Polizeibeamter oder vielleicht sogar Quinn selbst nachhaken.

Die Aussage des Wachmanns Cobo wurde protokolliert. Quinn bedrangte ihn mit Fragen, weil er hoffte, Orlando Cobo werde sich unter Druck an irgendeine wichtige Kleinigkeit erinnern, die bisher ubersehen worden war. Auch Angehorige des Hotelpersonals, die mit dem Ehepaar Frost in Beruhrung gekommen waren, gaben Aussagen zu Protokoll, ohne da? sich etwas Neues ergeben hatte.

Die Polizei uberprufte alle Telefongesprache, die wahrend des Aufenthalts der Opfer aus und mit Zimmer 805 gefuhrt worden waren. Das Hotel hatte eine Computerliste der von Gasten gefuhrten Gesprache; die Telefongesellschaft wurde durch eine richterliche Anordnung dazu verpflichtet, eine Liste der eingegangenen Gesprache zur Verfugung zu stellen. Auch diese Uberprufung blieb ergebnislos.

Quinn sprach mehrere ihm bekannte Polizeispitzel an, weil er hoffte, auf der Stra?e gebe es Geruchte uber den Doppelmord. Obwohl er Geld fur sachdienliche Hinweise bot, gingen keine ein.

Er flog nach South Bend, Indiana, und fragte im dortigen Polizeiprasidium nach, ob die Frosts in irgendeiner Weise polizeibekannt seien; das war nicht der Fall. Quinn sprach den Angehorigen der Opfer sein Beileid aus und stellte ihnen gezielte Fragen nach Homer und Blanche Frost. Vor allem interessierte ihn, ob die Frosts Feinde gehabt hatten, die ihnen vielleicht hatten schaden wollen. Aber das war offenbar nicht der Fall.

Nach seiner Ruckkehr nach Miami wunderte Quinn sich ebenso wie Ainslie daruber, da? trotz der ausfuhrlichen Medienberichterstattung uber den Doppelmord keinerlei telefonische Hinweise eingegangen waren. Die wesentlichen Tatsachen waren durch die Pressestelle verbreitet worden, aber wie in allen Mordfallen waren bestimmte Einzelheiten zuruckgehalten worden, um sicherzustellen, da? sie nur den Ermittlern und dem Tater bekannt waren. Erwahnte ein Verdachtiger sie dann unabsichtlich oder in einem Gestandnis, starkte das die

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