Position der Staatsanwaltschaft vor Gericht.

Zu den nicht bekanntgegebenen Tatsachen gehorten die Auffindung der vier toten Katzen und die verbrannten Augen Homer Frosts.

Als immer mehr Zeit verstrich - eine Woche, zwei Wochen, drei -, schien eine Losung dieses Falls immer unwahrscheinlicher zu werden. Bei Ermittlungen wegen Mordes sind die ersten zwolf Stunden entscheidend. Ist bis dahin keine eindeutige Spur oder ein Verdachtiger gefunden, werden die Erfolgsaussichten von Tag zu Tag geringer.

Fur die Aufklarung eines Mordes gibt es drei essentielle Voraussetzungen: Zeugen, Beweismaterial und ein Gestandnis. Ohne die beiden ersten ist die dritte unwahrscheinlich. Aber im Mordfall Frost fehlten alle drei.

Weil sich standig neue Morde ereigneten, verlor der Fall Frost unvermeidlich an Bedeutung.

Monate verstrichen, wahrend die Verbrechensflut in Florida weiter anstieg. Alle Polizeibehorden des Staates, auch die Mordkommissionen, waren mit Arbeit uberlastet und ihre Beamten bis zur Erschopfung beansprucht. Weiter verstarkt wurde dieser Druck noch durch eine nie endende Papierflut: Briefe, interner Schriftverkehr, Fernschreiben, Faxmitteilungen, Meldungen ortlicher Polizeidienststellen, Anzeigen, Vernehmungsprotokolle, Ergebnisse von Laboruntersuchungen, Anfragen und Berichte auswartiger Dienststellen, Fahndungsmeldungen... die Liste schien endlos zu sein.

Rein aus Notwendigkeit ergaben sich Prioritaten. Dringende eigene Falle wurden vorgezogen, sonstige Anfragen und Meldungen je nach Wichtigkeit bearbeitet. Oft genug blieben sie jedoch liegen. Manche Schriftstucke wurden nur uberflogen und beiseite gelegt, so da? der Stapel unerledigter Akten standig anwuchs. Es konnte drei, sechs oder sogar neun Monate dauern, bis bestimmte Unterlagen bearbeitet wurden - falls uberhaupt.

Bernard Quinn hatte diese Akten einmal als Morgen-Stapel bezeichnet, und der Name war ihnen geblieben. Charakteristischerweise hatte er aus Macbeth zitiert:

»Morgen, und morgen, und dann wieder morgen,

Kriecht so mit kleinen Schritten von Tag zu Tag...«

Deshalb wurde ein Fernschreiben, das die Polizei in Clearwater, Florida, am 15. Marz an alle Polizeidienststellen Floridas geschickt hatte, bei der Mordkommission in Miami nur fluchtig zur Kenntnis genommen und schlummerte dann im Morgen-Stapel... volle funf Monate lang.

Das Fernschreiben kam von Detective Nelson Abreu, der wegen eines besonders brutalen Doppelmords ermittelte und anfragte, ob irgendwo eine ahnliche Tat verubt worden sei. Mitgeteilt wurde auch, am Tatort im Haus der Opfer seien »ungewohnliche Gegenstande« zuruckgelassen worden. Sie wurden jedoch nicht beschrieben, weil die Mordkommission in Clearwater aus demselben Grund Informationen zuruckhielt, aus dem die Mordkommission in Miami Informationen uber den Fall Frost zuruckgehalten hatte.

In Clearwater lebten viele Senioren, und die Ermordeten waren Hal und Mabel Larsen, ein Ehepaar in den Siebzigern. Sie waren geknebelt und gefesselt, einander gegenubergesetzt und gefoltert worden, bis sie schlie?lich verblutet waren. Der oder die Tater hatten sie mit Schlagen und Messerstichen traktiert.

Obwohl die Larsens erst vor einigen Tagen tausend Dollar von ihrem Bankkonto abgehoben hatten, wurde am Tatort kein Geld gefunden. Es gab keine Zeugen, keine fremden Fingerabdrucke, keine Tatwaffe, keine Verdachtigen.

Obwohl Detective Abreu auf sein Fernschreiben mehrere Zuschriften erhielt, half ihm keine weiter, und der Fall Larsen blieb ungelost.

Zweieinhalb Monate spater ein weiterer Tatort.

Fort Lauderdale, 23. Mai.

Wieder ein Ehepaar - Irving und Suzanne Hennenfeld, beide Mitte Sechzig -, das am Ocean Boulevard in der Nahe der Twentyfirst Street wohnte. Wieder wurden die Ermordeten gefesselt, geknebelt und einander gegenubersitzend aufgefunden. Beide waren durch Schlage und Messerstiche getotet worden, aber die Leichen wurden erst schatzungsweise vier Tage nach der Tat entdeckt.

An diesem Tag rief ein Nachbar, dem der aus ihrer Wohnung dringende Gestank auffiel, die Polizei, die die Wohnungstur aufbrach. Sheriff-Detective Benito Montes, der dort als erster eindrang, uberkam beim Anblick der Leichen und wegen des Gestanks Ubelkeit.

An diesem Tatort waren keine »ungewohnlichen Gegenstande« zuruckgelassen worden. Allerdings war ein Heizlufter mit zwei Heizstaben mit Draht an Irving Hennenfelds blo?en Fu?en befestigt und eingeschaltet worden. Die Heizspiralen waren durchgebrannt, als die Ermordeten aufgefunden wurden, aber zuvor hatten sie die Fu?e des Ermordeten verkohlen lassen. Auch in diesem Fall schien ein gro?erer Geldbetrag entwendet worden zu sein.

Wieder keine Zeugen, keine Fingerabdrucke, keine Tatwaffe.

Sheriff-Detective Montes erinnerte sich jedoch an Meldungen uber den Mord an einem alteren Ehepaar in Coconut Grove, das vor ungefahr einem Vierteljahr unter ahnlichen Umstanden zu Tode gekommen war. Nach einem Telefongesprach mit der dortigen Mordkommission fuhr Montes am nachsten Tag nach Miami, wo er mit Bernard Quinn zusammentraf.

Im Gegensatz zu dem Veteranen Quinn war Montes jung, Mitte Zwanzig, und hatte eine modische Kurzhaarfrisur. Wie die meisten Kriminalbeamten kleidete er sich gut - an diesem Tag trug er einen dunkelblauen Anzug mit gestreifter Seidenkrawatte. Wahrend ihrer zweistundigen Diskussion erorterten die Beamten ihre Ermittlungsergebnisse in den Mordfallen Frost und Hennenfeld und sahen sich Fotos beider Tatorte an. Sie stimmten darin uberein, da? die Opfer auf identische Weise ermordet worden sein mu?ten. Auch weitere Faktoren wie die Position der Ermordeten und die Grausamkeit des Taters stimmten uberein.

Ein weiteres kleines Detail: Als die Leichen aufgefunden wurden, lief das offenbar von dem Morder eingeschaltete Radio noch immer in voller Lautstarke.

»Wissen Sie noch, was fur Musik es gespielt hat?« fragte Quinn.

»Naturlich. So gottverdammt laute Rockmusik, da? man sein eigenes Wort kaum verstehen konnte.«

»Bei den Frosts auch.« Quinn machte sich eine Notiz.

»Das ist der gleiche Kerl gewesen«, stellte Montes nachdrucklich fest. »Hundertprozentig.«

Quinn zog die Augenbrauen hoch. »Sie rechnen mit nur einem Mann - einem Einzeltater?«

»Genau. Und der Hundesohn ist gro?, stark wie ein Bar und clever.«

»Gebildet clever?«

»Instinktiv wurde ich nein sagen.«

Quinn nickte zustimmend. »Ich auch.«

»Der Kerl geilt sich daran auf, suhlt sich darin, sabbert dabei«, fuhr Montes fort. »Wir fahnden nach einem Sadisten.«

»Irgendwelche Ideen in bezug auf die toten Katzen an unserem Tatort?«

Montes schuttelte den Kopf. »Dieser Dreckskerl mordet einfach gern. Vielleicht hat er die Katzen als Zeitvertreib umgebracht und nur so zum Spa? hingelegt.«

»Ich glaube weiterhin, da? sie eine Botschaft ubermitteln sollen«, sagte Quinn. »In einem Code, den wir noch nicht entschlusselt haben.«

Bevor Sheriff-Detective Montes ging, entschuldigte Quinn seinen abwesenden Sergeant. Da Malcolm Ainslie an den Ermittlungen beteiligt gewesen war, hatte er gern an ihrer Besprechung teilgenommen. Aber heute war er zu einem Tagesseminar uber moderne Polizeifuhrung abbeordert, das in einem anderen Stadtteil stattfand.

»Okay, dann sehen wir uns ein andermal«, sagte Benito Montes. »Ich glaube, da? das erst der Auftakt war.«

3

Im Fruhjahr und Sommer dieses Jahres litten die Bewohner Sudfloridas unter extremer Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit, die zu taglichen Gewittern mit starken Regenfallen fuhrten. In Miami sturzten durch Uberlastung des Stromnetzes hervorgerufene wiederholte Stromausfalle die Besitzer von Klimaanlagen in die verschwitzte Welt derer, die keine besa?en. Ein weiteres Problem, das durch hitzebedingte Reizbarkeit und Unbeherrschtheit verstarkt wurde, waren Gewalttaten. Bandenkriege, Verbrechen aus Leidenschaft und hausliche Gewalt nahmen standig zu. Sogar an sich friedliche Menschen wurden ungeduldig und reizbar; auf Stra?en und Parkplatzen arteten Meinungsverschiedenheiten wegen Bagatellen in Schlagereien aus. War mehr Grund zum Streit vorhanden, verwandelte Arger sich in Wut, die bis zum Mord gehen konnte.

Bei der Mordkommission im vierten Stock des Polizeiprasidiums hing eine gro?e, wei?lackierte Wandtafel, auf der in ordentlichen Zeilen und Spalten die Namen aller Mordopfer des laufenden und des vergangenen Jahres

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