verzeichnet waren. Auch die Namen aller Tatverdachtigen standen dort. Verhaftungen waren rot gekennzeichnet.

Im Vorjahr hatten dort Mitte Juli siebzig Morde gestanden, von denen funfundzwanzig nicht aufgeklart waren. Im laufenden Jahr waren es Mitte Juli sechsundneunzig Morde, und die Zahl der nicht aufgeklarten Falle lag mit funfundsiebzig unbefriedigend hoch.

Diese ansteigende Tendenz wies auf eine Zunahme an Morden bei so alltaglichen Straftaten wie Einbruch, Autodiebstahl und Raububerfallen hin. Immer haufiger schienen Verbrecher ihre Opfer ohne erkennbaren Grund zu toten.

Weil der Anstieg dieser Delikte die Offentlichkeit zunehmend beunruhigte, hatte Major Manolo Yanes, der als Leiter des Dezernats Verbrechen gegen Personen die Aufklarung von Morden und Raububerfallen koordinierte, Lieutenant Leo Newbold, den Chef der Mordkommission, schon mehrmals zu sich zitiert.

Bei der letzten Besprechung hatte Major Yanes, ein stammiger Mann mit buschigem Haarschopf und der Stimme eines Rekrutenausbilders, keine Zeit verloren, ihn zur Rede zu stellen, als seine Sekretarin Newbold hereinfuhrte.

»Lieutenant, was zum Teufel tun Sie und Ihre Leute eigentlich? Oder sollte ich nicht tun sagen?«

Normalerweise hatte der Major ihn mit dem Vornamen angesprochen und ihn gebeten, Platz zu nehmen. Aber diesmal tat er nichts dergleichen, sondern funkelte ihn nur uber seinen Schreibtisch hinweg an. Newbold, der sich denken konnte, da? Yanes seinerseits einen Anpfiff bekommen hatte, den er jetzt weitergab, lie? sich mit seiner Antwort Zeit.

Das Dienstzimmer des Majors lag wie die der Mordkommission im vierten Stock und hatte ein gro?es Fenster mit Blick auf die in strahlendem Sonnenschein liegende Innenstadt Miamis. Auf der wei?en Kunststoffplatte seines grauen Metallschreibtischs lagen militarisch ausgerichtet Akten, Bleistifte und Kugelschreiber. In einer Ecke des Raums stand ein Konferenztisch mit acht Stuhlen. Aufgelockert wurde die fur Polizeidienstzimmer typische Strenge nur durch einige Fotos von Yanes' Enkeln auf einem Beistelltisch.

»Sie kennen die Situation, Major«, antwortete Newbold ruhig. »Wir sind mit Arbeit uberlastet. Jeder meiner Leute arbeitet bis zu sechzehn Stunden taglich, um jede Spur zu verfolgen. Die Jungs sind vollig ausgepowert.«

Yanes machte eine irritierte Handbewegung. »Na los, setzen Sie sich schon!«

Als Newbold Platz genommen hatte, fuhr Yanes fort: »Lange Arbeitszeiten bis zur Erschopfung gehoren zu diesem Job, das wissen Sie. Ich bestehe darauf, da? Sie Ihre Leute noch mehr antreiben. Und denken Sie daran: Mude Leute ubersehen leicht etwas, und Sie sind dafur verantwortlich, da? das nicht passiert. Ich rate Ihnen dringend, Newbold, sich jeden einzelnen Fall genau anzusehen! Sorgen Sie dafur, da? nichts unterbleibt, was hatte getan werden mussen - und achten Sie besonders auf Zusammenhange zwischen einzelnen Fallen. Sollte sich spater herausstellen, da? etwas Wichtiges ubersehen worden ist, werden Sie's bereuen, mir erzahlt zu haben, da? Ihre Leute mude sind. Mude! Gro?er Gott!«

Newbold seufzte innerlich, hielt aber den Mund.

»Das war's, Lieutenant«, sagte Yanes abschlie?end.

»Ja, Sir.« Newbold stand auf, machte zackig kehrt, verlie? den Raum und uberlegte sich dabei, da? er genau das tun wurde, was Manolo Yanes ihm dringend geraten hatte.

Kaum einen Monat nach dieser Konfrontation »fiel das ganze verdammte Dach ein«, wie Leo Newbold es spater ausdrucken sollte.

Die Ereignisse begannen am 14. August kurz nach elf Uhr, als die Temperatur in Miami sechsunddrei?ig Grad Celsius bei funfundachtzig Prozent Luftfeuchtigkeit betrug. Detective-Sergeant Pablo Greene, dessen Team an diesem Tag Bereitschaft hatte, erhielt uber Funk die Meldung eines Streifenpolizisten namens Frankel, der einen Doppelmord in den Pine Terrace Condominiums am Biscayne Boulevard auf Hohe der Sixtyninth Street meldete.

Die Mordopfer waren Hispanics: das Ehepaar Lazaro und Luisa Urbina, beide Anfang Sechzig. Ein Nachbar, der zu ihnen wollte und auf sein Klopfen keine Antwort bekam, hatte durch ein Fenster zwei gefesselte Gestalten entdeckt. Er hatte die Wohnungstur aufgebrochen und Sekunden spater das Telefon der Urbinas benutzt, um 911 anzurufen.

Die Ermordeten waren im Wohnzimmer ihrer VierzimmerEigentumswohnung durch Schlage mi?handelt und mit einem Messer grausam verstummelt aufgefunden worden. Unter ihnen auf dem Fu?boden breiteten sich gro?e Blutlachen aus.

Sergeant Greene, ein Veteran mit zwanzig Dienstjahren bei der Miami Police - gro?, hager, mit buschigem Schnauzbart -, wies Officer Frankel an, den Tatort zu sichern, und suchte dann dringend jemanden, den er hinschicken konnte.

Als Greene aufstand, um das Gro?raumburo der Mordkommission uberblicken zu konnen, mu?te er feststellen, da? samtliche Schreibtische unbesetzt waren. Au?er ihm hielten sich nur noch zwei uberlastete Sekretarinnen im Buro auf, die einen Anruf nach dem anderen entgegennahmen. Wie jeden Tag, waren die Anrufer Kollegen von anderen Dienststellen, hartnackige Reporter, Angehorige von Ermordeten, die nach dem Stand der Ermittlungen fragten, Politiker, die eine Erklarung fur die plotzlich angestiegene Zahl von Gewaltverbrechen suchten, und unzahlige andere Personen, nicht selten auch Spinner.

Im Augenblick waren alle verfugbaren Kriminalbeamten unterwegs, und im Gro?raumburo der Mordkommission hatte es in diesem Sommer meist so ausgesehen wie jetzt. Greenes eigenes Viererteam ermittelte in acht Mordfallen, und die anderen Teams standen unter ahnlichem Druck.

Also wurde Greene selbst nach Pine Terrace fahren mussen. Allein und moglichst sofort.

Er betrachtete den Aktenstapel auf seinem Schreibtisch -Ermittlungs- und andere Berichte von zwei Wochen, die Lieutenant Newbold immer dringender einforderte - und wu?te, da? er die Arbeit wieder liegenlassen mu?te. Er schlupfte in seine Jacke, kontrollierte Schulterhalfter, Pistole und Munition und hastete zum Aufzug. Unterwegs wurde er von seinem neutralen Dienstwagen aus uber Funk seine Leute verstandigen, damit jemand zu ihm an den Tatort kam, aber da er wu?te, wie beschaftigt alle waren, wurde das einige Zeit dauern.

Was den lastigen, niemals endenden Papierkram betraf, war Greene sich daruber im klaren, da? er heute abend zuruckkommen mu?te, um noch etwas davon aufzuarbeiten.

Ungefahr eine Viertelstunde spater erreichte Detective-Sergeant Greene die Wohnanlage Pine Terrace, wo die Nummer 18 und ihre nahere Umgebung mit gelbem Markierband mit dem Aufdruck POLICE LINE - DO NOT CROSS abgeriegelt war. Greene ging auf den Streifenpolizisten zu, der zwischen der Wohnungstur und einer kleinen Ansammlung Neugieriger Wache hielt.

»Officer Frankel? Ich bin Sergeant Greene. Was haben Sie fur mich?«

»Mein Partner und ich sind zuerst hiergewesen, Sergeant«, berichtete Frankel. »Wir haben nichts angefa?t.« Er nickte zu einem dicken vollbartigen Mann hinuber, der in seiner Nahe stand. »Das ist Mr. Xavier. Er ist der Nachbar, der neuneinseins angerufen hat.«

Der Bartige war herangekommen. »Als ich die beiden durchs Fenster gesehen hab', hab' ich einfach die Tur aufgebrochen. Vielleicht hatt' ich das nicht tun sollen.«

»Nein, das ist in Ordnung. Schlie?lich hatte noch jemand leben konnen.«

»Die Urbinas jedenfalls nicht. Ich hab' sie nicht besonders gut gekannt, aber ich werd' nie vergessen, wie sie... «

Frankel unterbrach ihn. »Mr. Xavier hat zwei Dinge getan - er hat aus dieser Wohnung telefoniert und das Radio abgestellt.«

»Es ist so laut gewesen«, sagte Xavier. »Ich hab' am Telefon nichts verstanden.«

»Haben Sie sonst noch was gemacht - vielleicht den Sender verstellt?« fragte Greene. »Oder irgendwas angefa?t?«

»Nein, Sir«, sagte Xavier bedruckt. »Glauben Sie, da? ich Fingerabdrucke verwischt hab'?«

Heutzutage ist jeder ein Kriminalist, dachte Greene. »Das mu? sich erst zeigen, aber wir waren Ihnen dankbar, wenn Sie sich zu Vergleichszwecken die Fingerabdrucke abnehmen lie?en. Die Unterlagen mit Ihren Abdrucken erhalten Sie anschlie?end zuruck.« Zu Frankel gewandt sagte er: »Halten Sie Verbindung zu Mr. Xavier. Wir brauchen ihn heute nachmittag bestimmt noch mal.«

Als Sergeant Greene die Eigentumswohnung der Urbinas betrat, wu?te er gleich, da? dies kein gewohnlicher Mord, sondern eine weitere grausige Tat des bisher nicht gefa?ten Serienmorders war. Wie die meisten

Вы читаете Der Ermittler
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату