»Nein, Sir. Ich glaube nicht«, antwortete Detective Bowe. Ihre Stimme klang nervos, aber beherrscht. Vor sich hatte sie ein Blatt Papier liegen.

»Na, hoffentlich haben Sie was Vernunftiges.« Newbolds Gereiztheit war unuberhorbar.

»Sie haben von drei Doppelmorden gesprochen, Sir.«

»Und? Zweifeln Sie an meinen Rechenkunsten?«

»Nicht direkt, Sir.« Ruby nahm das Blatt in die Hand, sah sich am Tisch um. »Das wird niemandem gefallen, aber tatsachlich sind's wohl vier.«

»Vier! Was soll das hei?en?«

Malcolm Ainslie, der ihr gegenubersa?, fragte ruhig: »Was haben Sie gefunden, Ruby?«

Sie warf ihm einen dankbaren Blick zu, bevor sie sich erneut an Newbold wandte. »Vor ein paar Tagen, Sir, haben Sie sich Sorgen wegen der Gro?e des Morgen-Stapels gemacht. Sie haben mir den Auftrag gegeben, ihn wenigstens teilweise aufzuarbeiten.«

Am Tisch wurde gelachelt, als Ruby den Morgen-Stapel erwahnte: Quinns spa?ige Bezeichnung fur unbearbeitet liegengebliebenen Papierkram.

Der Lieutenant nickte. »Ja, das stimmt. Und Sie haben offenbar etwas entdeckt.«

»Erst heute morgen, Sir. Ein Fahndungsersuchen aus Clearwater.«

»Lesen Sie's vor.«

Alle schwiegen gespannt, als Ruby Bowe den Text vorlas.

»An alle Polizeidienststellen Floridas: Doppelmord an alterem Ehepaar in Clearwater am 12. Marz. Ungewohnlich brutales Vorgehen. Opfer gefesselt und geknebelt. Schwere Stichwunden und Gewalteinwirkung an Kopf und Oberkorper. Teilweise verstummelt. Vermutlich Geldraub, Hohe unbekannt. Keine Fingerabdrucke oder sonstige Spuren. Ungewohnliche Gegenstande von dem oder den Tatern zuruckgelassen. Sollten ahnliche Straftaten bekannt sein, erbittet dringend ausfuhrliche Nachricht: Detective N. Abreu, Clearwater Police Department, Mordkommission.«

Major Yanes rausperte sich. »Wie war das Datum gleich wieder, Detective?«

Bowe sah auf das Blatt in ihrer Hand. »Der Doppelmord hat sich am zwolften Marz ereignet, Sir. Dieser Fahndungsaufruf tragt den Stempel: >Eingegangen 15. Marze.«

Ein kollektives Stohnen ging durch den Raum. »Jesus!« sagte Hank Brewmaster. »Vor funf Monaten!«

Alle wu?ten, da? so etwas passieren konnte - da? es nicht vorkommen durfte, aber trotzdem passierte. Manchmal rutschten Schriftstucke im Morgen-Stapel immer tiefer und blieben langere Zeit unbemerkt. Aber das hier war die gro?te denkbare Katastrophe.

Auch ohne polizeiliche Hinweise wurden die Medien in Florida oft auf Ubereinstimmungen zwischen an verschiedenen Orten verubten Straftaten aufmerksam und berichteten daruber. Meldungen uber solche Gemeinsamkeiten hatten den Ermittlern gelegentlich weitergeholfen. Aber da uberall so viele Verbrechen verubt wurden, gingen manche Ubereinstimmungen im allgemeinen Chaos unter.

Leo Newbold, der sichtbar litt, schlug die Hande vors Gesicht. Alle wu?ten, da? der Lieutenant die Verantwortung fur diese Schlamperei, die verhindert hatte, da? die Mordkommission prompt auf das Fahndungsersuchen aus Clearwater reagierte, wurde tragen mussen.

»Ich schlage vor«, sagte Yanes finster, »da? wir zunachst weitermachen, Lieutenant.« Sein Tonfall verriet, da? die Sache spater eingehend besprochen werden wurde - vermutlich unter vier Augen.

»Ich habe noch etwas mehr, Sir«, warf Bowe ein.

Newbold nickte ihr zu. »Bitte weiter.«

»Ich habe vorhin mit Detective Abreu in Clearwater telefoniert. Ich habe erwahnt, da? wir wegen ahnlicher Falle ermitteln. Sein Sergeant und er wollen morgen herfliegen und alles mitbringen, was sie haben.«

»Einverstanden.« Newbold hatte seine Fassung wiedergewonnen. »Lassen Sie sich die Ankunftszeit sagen, und schicken Sie einen Wagen hin, der sie abholt.«

»Lieutenant«, warf Ainslie ein, »ich mochte Ruby eine Frage stellen.«

»Bitte.«

Ainslie sah zu ihr hinuber. »Hat Abreu irgend etwas uber die in Clearwater am Tatort zuruckgelassenen Gegenstande gesagt?«

»Ich habe mich danach erkundigt. Der eine war eine verbeulte alte Trompete, der andere ein Stuck Pappkarton.« Sie warf einen Blick auf ihre Notizen. »Der Karton war halbmondformig zugeschnitten und rot bemalt.«

Ainslie runzelte die Stirn, konzentrierte sich, uberlegte angestrengt und dachte an die Bronzeschale in Pine Terrace. Ohne jemanden direkt anzusprechen, fragte er in die Runde: »Sind an jedem Tatort Gegenstande zuruckgelassen worden? Ich erinnere mich an vier tote Katzen im Hotelzimmer des Ehepaars Frost.«

Er wartete keine Antwort ab, sondern wandte sich an Bernard Quinn. »Ist bei den Hennenfelds etwas am Tatort zuruckgelassen worden?«

Quinn schuttelte den Kopf. »Nicht, da? ich wu?te.« Er sah den Sheriff-Detective fragend an. »Das stimmt doch, Benito?«

Als Besucher hatte Montes bisher nur schweigend zugehort, aber jetzt antwortete er auf Quinns Frage: »Na ja, der Tater hat anscheinend nichts mitgebracht. Auffallig ist nur die Sache mit dem Heizlufter gewesen, der aber den Hennenfelds gehort hat. Das haben wir uberpruft.«

»Welcher Heizlufter?« fragte Ainslie. »Was war damit?«

»Er war mit Draht an Mr. Hennenfelds Fu?en befestigt, Sergeant, und ist dann eingeschaltet worden. Als wir ihn aufgefunden haben, waren die Heizstabe durchgebrannt, aber seine Fu?e sind vollig verkohlt gewesen.«

An Quinn gewandt sagte Ainslie scharf: »Das haben Sie mir nicht erzahlt!«

Quinn machte ein verlegenes Gesicht. »Tut mir leid, aber das mu? ich vergessen haben.«

Ainslie lie? es dabei bewenden. Er wandte sich an Newbold und fragte: »Lieutenant, darf ich weitermachen?«

»Bitte sehr, Malcolm.«

»Ruby«, fragte Ainslie, »konnen wir eine Liste samtlicher an den Tatorten gefundenen Gegenstande aufstellen?«

»Klar. Wollen Sie eine Computerliste?«

»Ja, das ware gut«, warf Newbold ein.

Ruby stand auf und setzte sich an den Bildschirmarbeitsplatz in einer Ecke des Besprechungsraums. Seit sie bei der Mordkommission arbeitete, bezeichneten ihre Kollegen sie als »unser Computergenie«, und auch andere Teams nahmen haufig ihre besonderen Fertigkeiten auf diesem Gebiet in Anspruch. Wahrend Ainslie und die anderen am Konferenztisch warteten, schaltete sie den Computer ein und lie? ihre Finger uber die Tasten fliegen. »Okay, schie?en Sie los, Sergeant.«

Mit einem Blick in die vor ihm liegenden Fahndungsakte diktierte Ainslie ihr: »Siebzehnter Januar, Coconut Grove. Homer und Blanche Frost. Vier tote Katzen.«

Rubys Finger tippten rasend schnell. Als sie nickte, fuhr Ainslie fort: »Zwolfter Marz, Clearwater.«

»Augenblick!« Das war Quinns Stimme. Die anderen sahen zu ihm hinuber. »In Coconut Grove hat's au?erdem Mr. Frosts Augen gegeben. Der Tater hat eine brennbare Flussigkeit reingekippt und sie angezundet. Wenn wir Mr. Hennenfelds verbrannte Fu?e aufnehmen... «

»Ja, Mr. Frosts Augen gehoren in die Liste«, sagte Ainslie zu Ruby. Er lachelte schwach, als er zu Quinn hinubersah. »Danke, Bernie. Die hatte ich glatt vergessen. Das kann jedem mal passieren.«

Sie erganzten die Liste mit der in Clearwater gefundenen alten Trompete und dem Halbmond aus Pappkarton, fugten Fort Lauderdale mit dem Heizlufter und den verbrannten Fu?en des Ermordeten hinzu und kamen zuletzt zur Nummer achtzehn der Wohnanlage Pine Terrace.

»Eine Bronzeschale«, diktierte Ainslie Ruby weiter.

Ihre Finger blieben auf der Tastatur. »Hat sie etwas enthalten?«

»Yeah, Pisse und Schei?e«, warf Sergeant Greene von seinem Platz aus angewidert ein.

Ruby sah sich um und fragte harmlos: »In Ordnung, wenn ich dafur >Kot und Urin< schreibe?«

Ihre Frage loste schallendes Gelachter aus. Sogar Newbold, Yanes und der Assistant Chief lachten mit. In einer Atmosphare, in der grausige Tode alltaglich waren, wirkte unerwarteter Humor wie ein reinigender Regengu?.

Und dann... als das Lachen verklang... in diesem Augenblick wurde Ainslie auf einmal alles klar.

Вы читаете Der Ermittler
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату