Ruby?«
»Wo immer Sie sie brauchen«, antwortete Detective Bowe aus einer Gruppe heraus.
»Ich brauche Ihre flinken Finger.« Ainslie zeigte auf den Computer, an dem sie vorhin gesessen hatte. »Wir wollen ein paar Informationen einholen.«
Ruby setzte sich an den Computer, schaltete das Gerat ein und tippte LOGON.
Auf dem Bildschirm erschien: BENUTZERNUMMER EINGEBEN. Ruby fragte Ainslie: »Ihre oder meine?«
Er diktierte ihr: »Achtvierdreineun.«
Nun erschien die Aufforderung: PASSWORT EINGEBEN.
Ainslie streckte die rechte Hand aus und tippte mit einem Finger CUPCAKE - ein Kosename, mit dem er Karen manchmal ansprach. Das Pa?wort erschien nicht auf dem Bildschirm, aber dafur stand dort jetzt CIC, die Abkurzung fur Criminal Investigation Center.
Wahrend die anderen Kriminalbeamten und Knowles stumm zusahen, sagte Ruby: »Schon, jetzt sind wir im Wunderland.
»Was zum Teufel hei?t das?« murmelte jemand.
»>Herr, wohin gehst du?<« ubersetzte Bernard Quinn.
»Latein hab' ich schon im Kindergarten gehabt«, behauptete Ruby. »Wir Gettokinder sind schlauer, als viele denken.«
»Das konnen Sie gleich beweisen«, sagte Ainslie. »Suchen Sie >Vorstrafen<. Danach die Kategorie >Auffalligkeiten<.«
Ruby tippte einige Befehle ein, bis der Dateiname AUFFALLIGKEITEN auf dem Bildschirm erschien. »Da gibt's jede Menge Unterdateien«, kundigte sie an. »Irgendwelche Ideen?«
»Suchen Sie >Religion< oder >religios<.«
Ihre Finger flogen uber die Tasten. »Hey, da gibt's eine, die >Religiose Fanatiker< hei?t.«
Ainslie zog die Augenbrauen hoch. »Schon, die mu?te passen.«
Falls jemand eine ellenlange Namenliste erwartet hatte, war das Ergebnis enttauschend. Nur sieben Namen erschienen - jeder mit einer Kurzbiographie und Angaben zu Verfahren und Verurteilungen. Ainslie und Ruby lasen die Eintragungen; die anderen sahen ihnen dabei uber die Schultern.
»Virgil konnt ihr streichen, weil er sitzt«, sagte Quinn. »Ich hab' ihn selbst hinter Gitter gebracht.« Die Eintragung zeigte, da? Francis Virgil erst knapp drei Jahre einer achtjahrigen Haftstrafe verbu?t hatte. Auch zwei weitere Manner befanden sich derzeit in Haft, so da? nur vier ubrigblieben.
»Orneus konnen wir auch streichen«, stellte Ainslie fest. »Hier steht, da? er tot ist.« Wie die Kriminalbeamten wu?ten, wurden Vorstrafen erst zwei Jahre nach dem Tod des Betreffenden geloscht.
»Hector Longo ebenfalls«, schlug Ruby vor. Die Eintragung zeigte, da? Longo zweiundachtzig, fast blind und halbseitig gelahmt war.
»Erstaunlich, was Behinderte heutzutage alles fertigbringen«, meinte Ainslie. »Okay, loschen.«
Damit waren zwei potentielle Tater ubriggeblieben, aber die Suche hatte viel weniger Namen zutage gefordert als erhofft.
»Wie war's mit dem Stichwort >Arbeitsweise<?« schlug Knowles vor.
»Damit haben wir's bereits bei den jeweiligen Fallen versucht«, antwortete Ainslie. »Beide Male erfolglos.« Er fugte nachdenklich hinzu: »Je langer wir ermitteln, desto starker wird mein Verdacht, da? wir hinter einem Mann her sind, der nicht vorbestraft ist.«
»Soll ich's mal mit FIVOs versuchen?« fragte Ruby.
Ainslie war wenig begeistert, aber er antwortete: »Warum nicht? Wir haben schlie?lich nichts zu verlieren.«
FIVOs - die Abkurzung fur Field Intelligence and Vehicle Occurrence - waren Meldungen von Polizeibeamten, die in der Offentlichkeit ungewohnliches, provozierendes oder exzentrisches Verhalten beobachteten, das jedoch nicht strafbar war. Meldung wurde auch erstattet, wenn jemand - vor allem spat nachts - unter verdachtigen Umstanden beobachtet wurde, ohne sich jedoch strafbar gemacht zu haben.
Jede FIVO-Meldung war am Ort des Geschehens auf eine vorgedruckte Karte zu schreiben. Die Polizeibeamten waren angewiesen, moglichst viele Einzelheiten anzugeben: vollstandiger Name, Anschrift, Beruf und Personenbeschreibung des Beobachteten, Autotyp und -kennzeichen, falls vorhanden, und die naheren Umstande der Beobachtung. Die meisten Befragten erwiesen sich als uberraschend kooperativ, wenn sie erfuhren, da? sie nicht verhaftet werden oder einen Strafzettel bekommen sollten. Aber wer vorbestraft war, verschwieg diese Tatsache im allgemeinen.
Die FIVO-Karten wurden ans Polizeiprasidium weitergeleitet und dort in den Computer eingespeichert; dabei sorgte der automatische Datenabgleich dafur, da? jede FIVO-Meldung durch polizeibekannte Vorstrafen erganzt wurde.
Eine Zeitlang hatten FIVO-Meldungen in Miami keinen guten Ruf gehabt. Schuld daran waren Streifenpolizisten, die massenhaft erfundene Meldungen abgegeben hatten, um Aufmerksamkeit zu erregen und vielleicht befordert zu werden. Auf manchen FIVO-Karten standen sogar von Grabsteinen abgeschriebene Namen. Nachdem einige Streifenpolizisten Disziplinarstrafen erhalten hatten, horte der Schwindel auf. Aber viele Kriminalbeamte, darunter auch Ainslie, waren FIVOs gegenuber noch immer mi?trauisch.
Das Zugangsverfahren zu FIVOs war ahnlich wie zuvor beim CIC, und Ruby ging schnell zu AUFFALLIGKEITEN und danach zu RELIGIOSE FANATIKER weiter. Plotzlich fullte sich der Bildschirm mit Namen, Daten und anderen Angaben. Ainslie beugte sich gespannt nach vorn. »Hey, seht euch das an!« sagte eine Stimme hinter ihm. Jemand anders stie? uberrascht einen langgezogenen Pfiff aus.
Auch diesmal gingen sie die Namen gemeinsam durch, schieden einige aus und nahmen die restlichen in eine neue Datei auf, die schon die beiden Verdachtigen aus dem CIC enthielt. Zuletzt druckte Ruby ein halbes Dutzend Exemplare der kombinierten Liste aus und verteilte sie.
Der Ausdruck enthielt sechs Namen:
JAMES CALHOUN, w/m, alias »Little Jesus«.
Geburtsdatum: 10.10.67, 1,81m, 90 kg. Letzte bekannte Anschrift: 271 NW 10 St., Miami. Tatowiertes Kreuz auf der linken Brustseite. Spricht vom bevorstehenden Ende der Welt und behauptet, der wiedergekehrte Heiland zu sein. Vorstrafen: Totschlag, Raububerfall und bewaffneter Einbruch.
CARLOS QUINONES, l/m, alias »Diablo Kid«.
Geburtsdatum: 17.11.69, 1,67m, 80 kg, untersetzt. Letzte bekannte Anschrift: 2640 SW 22 St., Miami. Gibt sich als der einzige Messias aus und predigt das Wort Gottes. Zahlreiche Vorstrafen: Korperverletzung, Vergewaltigung und Raububerfall mit Gewaltanwendung.
EARL ROBINSON, b/m, alias »Racher«.
Geburtsdatum: 02.08.64, 1,83m, 85 kg. Letzte bekannte Anschrift: 1310 NW 65 St., Miami. Schlank, ehemaliger Profiboxer, sehr aggressiv. Predigt an Stra?enecken, zitiert aus der Bibel, immer aus der Offenbarung des Johannes, und behauptet, der rachende Engel Gottes zu sein. Mehrfache Vorstrafen: fahrlassige Totung, bewaffneter Raububerfall und Korperverletzung (Messerstecher).
ALEC POLITE, h/m, alias »Messias«.
Geburtsdatum: 12.12.69, 1,80m, 85 kg. Letzte bekannte Anschrift: 265 NE 65 St., Miami. Redet mit jedem, der ihm zuhoren will, uber die Heilige Schrift und behauptet, mit Gott zu sprechen. Wird aggressiv, wenn er Zweifel spurt oder befragt wird. Konnte gewalttatig sein, hat aber keine Vorstrafen. Seit 1993 in den USA.
ELROY DOIL, w/m, alias »Kreuzfahrer«.
Geburtsdatum: 12.09.64, 1,94m, 120 kg. Letzte bekannte Anschrift: 189 NE 35 St., Miami. Behauptet, ein Apostel Gottes zu sein und Gottes Wunsche zu kennen. Predigt offentlich. Anscheinend nicht gewalttatig. Arbeitet zeitweise als Fernfahrer. Vorstrafen: Keine.
EDELBERTO MONTOYA, l/m, alias »Prediger«.
Geburtsdatum: 01.11.62, 1,79m, 70 kg. Letzte bekannte Anschrift: 861 NW 1 St., Miami. Tragt buschigen schwarzen Vollbart. Bezeichnet sich als wiedergeborenen Christen, zitiert aus der Bibel und betet fur ein baldiges Ende der Welt. Vorstrafen: Vergewaltigung, schwere Korperverletzung und sexuelle Belastigung.
Wahrend Ainslie, Knowles und die Kriminalbeamten die Namen und Personenbeschreibungen studierten, machte sich Erregung breit.
Sergeant Greene brachte sie zum Ausdruck. »Malcolm, da haben wir was, glaube ich!«