sichtbar auf dem Toilettentisch lagen.

»Ja, der Schmuck gehort Mrs. Ernst«, bestatigte Maria Palacio. »Sie hat ihn abends nie weggesperrt, sondern einfach so hingeworfen und erst morgens in den Safe zuruckgelegt. Ich hab' sie oft gewarnt, da?...« Ihre Stimme brach.

»Danke, das war's schon, Mrs. Palacio«, sagte Brewmaster. »Ich wei? jetzt, was ich wissen wollte.«

Spater antwortete Dr. Sanchez auf eine weitere Frage Brewmasters: »Ja, die Spuren von Gewaltanwendung an Kopf und Oberkorper von Mr. und Mrs. Ernst entsprechen weitgehend den Fallen Frost und Urbina - und, soviel ich aus Berichten wei?, vermutlich auch denen in Clearwater und Fort Lauderdale.«

»Und die Messerstiche, Doktor?«

»Sicher wei? ich das erst nach der Autopsie. Aber auf den ersten Blick konnten sie wie in den anderen Fallen von einem Bowiemesser stammen.«

Wegen des toten Kaninchens bat Dr. Sanchez ihre Bekannte Heather Ubens, an den Tatort zu kommen. Mrs. Ubens, die sich als Besitzerin eines Tiergeschafts mit Kleintieren auskannte, bezeichnete das Tier mit seinem Handelsnamen als Schlappohrkaninchen. Die Tiere wurden massenhaft als Haustiere verkauft, sagte sie. Da das Kaninchen keine au?eren Verletzungen aufwies, vermutete Mrs. Ubens, da? es durch Ersticken getotet worden sei.

Nachdem das Kaninchen fotografiert worden war, lie? Dr. Sanchez es in ihre Dienststelle bringen, damit es in Formaldehyd aufbewahrt werden konnte.

Sergeant Brewmaster fragte Theo Palacio, ob das Kaninchen ein Haustier der Ernsts gewesen sei. »Absolut nicht. Mr. und Mrs. Ernst haben Tiere nicht gemocht«, erklarte ihm der Butler. Dann fugte er hinzu: »Ich wollte, da? sie sich wegen der vielen Verbrecher einen Wachhund anschaffen; ich habe ihnen sogar angeboten, ihn selbst zu versorgen. Aber Mr. Ernst hat gesagt, nein, er konne sich als City Commissioner darauf verlassen, da? die Polizei fur seine Sicherheit sorgen werde. Aber das hat sie nicht getan, nicht wahr?«

Darauf antwortete Brewmaster lieber nicht.

Spater fragte die Polizei in allen Tiergeschaften Miamis nach und legte Tatortfotos vor, um zu versuchen, den Kaufer des Kaninchens zu ermitteln. Aber da so viele Kaninchen verkauft wurden - manchmal ganze Wurfe mit sieben oder acht Jungen und nur wenige Geschafte die Namen der Kaufer notierten, verlief die Suche ergebnislos.

Brewmaster erzahlte Malcolm Ainslie von dem toten Kaninchen und fragte ihn: »Steht in der Offenbarung irgend etwas, das dazu pa?t - wie bei allen bisherigen Gegenstanden?«

»Weder in der Offenbarung noch sonstwo in der Bibel kommt ein Kaninchen vor, das wei? ich bestimmt«, antwortete Ainslie. »Trotzdem konnte es ein Symbol sein. Kaninchen sind eine schon sehr alte Tierart.«

»Irgendeine religiose Bedeutung?«

»Wei? ich nicht sicher.« Ainslie zogerte, weil er sich an die Vortragsreihe Ursprunge des Lebens und geologische Zeitalter erinnerte, die er einmal gehort hatte. »Kaninchen gehoren zur Ordnung Lagomorpha - mit den Unterarten Hase, Kaninchen und Pika. Sie hat sich im ausgehenden Palaozan in Nordasien entwickelt.« Er lachelte. »Also funfundfunfzig Millionen Jahre vor der Bibelversion der Schopfungsgeschichte.«

»Glaubst du, da? unser Mann, den du selbst als besessenen religiosen Fanatiker bezeichnet hast, das alles wei??« fragte Brewmaster.

»Eher nicht. Aber wer wei?, was er denkt - oder warum?«

Abends setzte Ainslie sich zu Hause an Karens PC, auf dessen Festplatte er die komplette King-James-Bibel gespeichert hatte. Am nachsten Morgen teilte er Brewmaster mit: »Ich habe die Bibel von einem Computer nach den Stichworten >Kaninchen<, >Hase< und >Pika< durchsuchen lassen. >Kaninchen< und >Pika< kommen nicht vor, aber >Hase< erscheint zweimal - einmal im Dritten Buch und einmal im Funften Buch Mose, nicht dagegen in der Offenbarung des Johannes.«

»Haltst du's fur moglich, da? unser Kaninchen als Hase und damit als biblisches Symbol gedacht war?«

»Nein, das glaube ich nicht.« Ainslie zogerte, dann fugte er hinzu: »Aber ich will dir sagen, was ich glaube, nachdem ich gestern lange daruber nachgedacht habe. Ich glaube nicht, da? unser Kaninchen uberhaupt ein Symbol aus der Offenbarung ist. Es pa?t nicht rein. Ich halte es fur einen Schwindel.«

Als Brewmaster zweifelnd die Augenbrauen hochzog, fuhr er fort: »Fur alle bisher an den Tatorten zuruckgelassenen Symbole hat es ziemlich genaue Entsprechungen gegeben. Naturlich konnte dieses Kaninchen irgendein Tier sein - die Offenbarung ist voller Tiere.« Ainslie schuttelte den Kopf. »Aber irgendwie glaube ich das nicht.«

»Was willst du damit sagen?«

»Was ich nur instinktiv vermute, kann ich nicht beweisen, Hank. Trotzdem sollten wir unvoreingenommen an die Frage herangehen, ob das Ehepaar Ernst wirklich unserem Serienmorder zum Opfer gefallen ist oder ob ein Nachahmungstater versucht hat, seine Tat als zu dieser Serie gehorend zu tarnen.«

»Hast du vergessen, da? wir in den ersten Fallen keine naheren Einzelheiten bekanntgegeben haben?«

»Trotzdem sind einige veroffentlicht worden. Reporter haben ihre Quellen; das la?t sich nicht verhindern.«

»Nun, das klingt recht verbluffend, Malcolm, und ich werde versuchen, es zu berucksichtigen. Aber da ich den Tatort im Fall Ernst kenne, halte ich deine Theorie fur ziemlich abwegig.«

So verblieben sie vorerst.

Wenig spater gab Dr. Sandra Sanchez das Ergebnis der Autopsie der beiden Leichen bekannt. Wie sie schon bei der ersten Untersuchung vermutet hatte, war die Tatwaffe ein Bowiemesser gewesen. Doch die Wundmerkmale unterschieden sich von denen der fruheren Mordopfer - folglich war ein anderes Messer benutzt worden. Aber das bewies nichts, denn Bowiemesser gab es uberall zu kaufen, und ein Serienmorder konnte ohne weiteres mehrere besitzen.

Nach ein paar Tagen schien trotz Malcolm Ainslies Zweifeln immer sicherer festzustehen, da? die Ernsts vom selben Tater wie die ersten acht Opfer ermordet worden waren. Nicht nur die grundlegenden Umstande, sondern auch die erganzenden waren identisch: das tote Kaninchen, das moglicherweise doch ein Symbol aus der Offenbarung war; der Bargeldraub; der unberuhrt liegengebliebene Schmuck; das laut aufgedrehte Radio. Und wie in allen fruheren Fallen waren keine Fingerabdrucke gefunden worden.

Sorgen machte den Ermittlern jedoch die kurze Zeitspanne -nur drei Tage - zwischen der Ermordung der Urbinas in Pine Terrace und dem Mord an dem Ehepaar Ernst. Bis dahin hatten jeweils zwei bis drei Monate zwischen den Doppelmorden gelegen. Medien und Offentlichkeit beschaftigten sich mit dieser Tatsache und stellten bohrende Fragen: Hatte der Killer seine todliche Mission, was immer sie sein mochte, etwa beschleunigt? Hatte er das Gefuhl, unbesiegbar zu sein, auf einer Erfolgswoge zu schwimmen? Lag eine besondere Bedeutung in der Tatsache, da? diesmal ein Miami City Commissioner ermordet worden war? Waren auch andere Commissioners oder Personen aus der Fuhrungsspitze der Stadt gefahrdet? Und was unternahm die Polizei, um dem Killer beim nachstenmal zuvorzukommen? Tat sie uberhaupt etwas?

Die letzte Frage konnte nicht offentlich beantwortet werden, aber die Sonderkommission unter Sergeant Ainslies Leitung hatte inzwischen mit der Uberwachung der sechs Verdachtigen begonnen.

Auch der Mordfall Ernst wurde rasch der Sonderkommission ubergeben. Sergeant Brewmaster, der in dieser Sache weiterermittelte, wurde Mitglied der Sonderkommission und unterstand Malcolm Ainslie ebenso wie die Detectives aus Brewmasters Team - Dion Jacobo und Seth Wightman.

Aber noch bevor der Dienstplan der Sonderkommission sich richtig eingespielt hatte, fand eine Besprechung statt, die Ainslie als unvermeidlich vorausgesehen hatte.

7

Zwei Tage nach der Auffindung der verstummelten Leichen von Gustav und Eleanor Ernst erschien Malcolm um 8.15 Uhr zum Dienst, nachdem er sich zuvor mit Sergeant Brewmaster am Tatort getroffen hatte, um sich uber den Stand der Ermittlungen informieren zu lassen. Zu seiner Enttauschung waren seit dem Vortag keine neuen Hinweise aufgetaucht. Das Ergebnis einer Befragung aller Nachbarn, ob sich in letzter Zeit in Bay Point unbekannte Personen herumgetrieben hatten, fa?te Brewmaster mit einem einzigen Wort zusammen: »Nada.«

Im vierten Stock stand Lieutenant Newbold neben Ainslies Schreibtisch. Er nickte zu seinem Dienstzimmer hinuber. »Dort drinnen wartet jemand auf Sie, Malcolm. Beeilen Sie sich!«

Sekunden spater stand Ainslie an der Tur des Dienstzimmers seines Chefs und sah Cynthia Ernst an Newbolds Schreibtisch sitzen.

Вы читаете Der Ermittler
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату