»Hat Doil jemals Teile ausgefahren?« fragte sie weiter.
»Klar, wenn einer unserer Fahrer verhindert war.«
»Haben Sie Aufzeichnungen daruber?«
Suarez verzog das Gesicht. »Ich hab' schon befurchtet, da? Sie danach fragen wurden. Bestimmt haben wir welche, aber die mu?ten erst ausgegraben werden.«
Er fuhrte Bowe in den kleinen, staubigen Abstellraum hinter seinem Buro mit uberquellenden Regalen, einem halben Dutzend Aktenschranken und einem Kopiergerat. Suarez zeigte auf einen der Aktenschranke. »Sie interessieren sich fur die beiden letzten Jahre? Dort finden Sie alles. Aber Sie mussen die Unterlagen selbst durchsehen, furchte ich.«
»Das macht nichts. Darf ich den Fotokopierer benutzen?«
»Bedienen Sie sich.« Suarez grinste. »Soll ich Doil reinbringen, falls er vorbeikommt, um seinen Scheck abzuholen?«
»Bitte nicht.« Bowe wiederholte rasch, dieser Besuch musse unbedingt vertraulich bleiben.
Ihre Suche, bei der sie Kundenrechnungen, Lieferscheine, Fahrtenbucher und Lohnlisten miteinander vergleichen mu?te, dauerte bis zum Spatnachmittag. Aber als sie ging, hatte sie Elroy Doils Tatigkeit bei Suarez Motors & Equipment grundlich recherchiert.
Die Speditionen Prieto Fast Delivery und Porky's Trucking waren ahnlich kooperativ, und die vier Besuche gaben Aufschlu? uber weitere Facetten von Doils Charakter, darunter die Tatsache, da? er regelma?ige Arbeit verabscheute. Hatte er das Bedurfnis, mal wieder zu arbeiten - vermutlich aus Geldmangel -, rief er eine der funf Firmen an und wurde bei Bedarf als Aushilfsfahrer eingestellt. Er war offenbar clever genug, um dort nicht zu klauen oder zu betrugen, konnte seine Aggressivitat aber nie ganz zugeln.
Fur Ruby Bowe bestand der nachste Schritt darin, die gesammelten Informationen mit den Daten der einzelnen Morde zu vergleichen.
An ihrem Schreibtisch nahm Bowe sich als erstes die Morde au?erhalb Miamis vor. Am 12. Marz waren Hal und Mabel Larsen in Clearwater - etwa vierhundert Kilometer nordwestlich von Miami - ermordet worden. An diesem Tag hatte Elroy Doil einen Sattelschlepper der Overland Trucking mit einer Ladung Mobel von Miami nach Clearwater gefahren, wo er laut Fahrtenbuch und Spesenabrechnung am Spatnachmittag angekommen war und im Motel Home Away From Home ubernachtet hatte. Bowe, die eine hei?e Spur witterte, rief das Motel an und erfuhr, da? es vier Blocks von der Adresse der Mordopfer entfernt war. Doil war am nachsten Tag mit einer Ladung Plastikrohren nach Miami zuruckgefahren.
Au?erdem war Doil erst zwei Wochen zuvor mit einem Overland-Fahrzeug in Clearwater gewesen und hatte im selben Motel ubernachtet. Beim ersten Trip, uberlegte Bowe, konnte er seinen Opfern nachspioniert haben, um sie dann beim zweiten zu ermorden.
Der nachste Fall war der Doppelmord in Fort Lauderdale, wo Irving und Rachel Hennenfeld am 23. Mai tot aufgefunden worden waren, die man vermutlich bereits am 19. Mai ermordet hatte.
Im Mai war Doil zweimal in Fort Lauderdale gewesen, diesmal fur Porky's Trucking - erst am 2. Mai, dann nochmals am 19. Mai. Der Fahrtenbucheintrag fur die zweite Fahrt bewies, da? er um 15.30 Uhr in Miami abgefahren war, in Fort Lauderdale drei Sendungen ausgeliefert hatte und kurz vor Mitternacht zuruckgekommen war. Da die Entfernung zwischen den beiden Stadten nur vierzig Kilometer betrug, war eine achteinhalbstundige Abwesenheit nicht recht erklarlich. Fur die erste Fahrt am 2. Mai mit vier Auslieferungen in Fort Lauderdale hatte er nur funf Stunden gebraucht. Offenbar, uberlegte Bowe, dauerte die Suche nach geeigneten Opfern weniger lange als ihre grausige Ermordung.
Obwohl es bei den drei Doppelmorden in Miami keine so genauen Ubereinstimmungen gab, wies jeder mogliche Zusammenhange auf, die zu auffallig waren, um ignoriert zu werden.
Am Vormittag vor dem Mord an dem Ehepaar Homer und Blanche Frost im Hotel Royal Colonial hatte Doil in Coral Gables im Auftrag von Prieto Fast Delivery acht Sendungen ausgeliefert und vier abgeholt. Zwei Sendungen waren fur Geschafte in der Southwest 27th Avenue bestimmt gewesen, wo auch die Filiale der First Union Bank lag, in der die Frosts an diesem Vormittag Reiseschecks im Wert von achthundert Dollar eingelost hatten.
Es war durchaus moglich, dachte Bowe - sogar wahrscheinlich -, da? Elroy Doil das altere Ehepaar beobachtet hatte, vielleicht sogar in der Bank, und ihm ins Hotel gefolgt war. Dann ware es kinderleicht gewesen, als angeblicher Hotelgast mit den Frosts in ihre Etage hinaufzufahren, sich ihre Zimmernummer zu merken und nachts wiederzukommen. Naturlich waren das alles Vermutungen, aber in Kombination mit den fruheren Doppelmorden und den auffalligen Ubereinstimmungen waren sie zu plausibel, um ignoriert zu werden.
Als nachstes kamen die beiden weiteren in Miami verubten Doppelmorde an Lazaro und Luisa Urbina in der Wohnanlage Pine Terrace und an Commissioner Gustav Ernst und seiner Frau Eleanor in ihrer Villa in Bay Point. In beiden Fallen zeigten die Unterlagen der Firmen Suarez Motors & Equipment und Prieto Fast Delivery, da? Doil Sendungen in der Nahe der Tatorte ausgeliefert hatte.
Die von Bowe bei Suarez Motors kopierten Unterlagen zeigten, da? Doil in den drei Wochen vor der Ermordung der Urbinas an zwei verschiedenen Tagen in der Nahe ihrer Wohnung gewesen war. Was das eingezaunte und standig bewachte Villenviertel Bay Point betraf, hatte er dort nur zweimal Sendungen ausgeliefert - nicht bei den Ernsts, sondern in anderen Hausern. Und das letzte Mal war er fast funf Wochen vor der Ermordung der Ernsts dortgewesen. Aber bei den beiden Zustellungen in Bay Point konnte Doil die Besucherkontrollen beobachtet und festgestellt haben, wie sie sich mit gefalschten Lieferpapieren uberlisten lie?en.
Bowe fiel noch etwas auf: Die Fotokopie des Lohnschecks, den Elroy Doil nicht bei Suarez Motors abgeholt hatte, zeigte, da? er einen Tag nach der Ermordung von Gustav und Eleanor Ernst plotzlich gekundigt hatte.
Hatte Doil dies getan, fragte Bowe sich, weil er furchtete, inzwischen als Serienmorder verdachtigt zu werden, und daher untertauchen wollte?
Sobald Detective Bowe die Ergebnisse ihrer Nachforschungen ausgewertet hatte, trug sie das Resultat erwartungsvoll Sergeant Ainslie vor. Er fand ihre Mitteilung so ermutigend, da? er die meisten Informationen an die Kriminalbeamten seiner Sonderkommission weitergab und hinzufugte: »Doil ist unser Mann, das steht fest. Seid also geduldig und bleibt trotz des Hundewetters dran. Irgendwann macht er einen Fehler - und dann sind wir da und schnappen ihn uns.«
Er hielt auch Staatsanwalt Curzon Knowles auf dem laufenden, aber der reagierte nicht gerade begeistert.
»Klar, Ruby hat sich als findig erwiesen, als sie dieses Zeug zusammengetragen hat. Und naturlich zeigt es, da? Doil Gelegenheit hatte, alle diese Leute zu ermorden, und es vermutlich auch getan hat. Aber das mussen wir ihm erst nachweisen, und der ganze Schmonzes enthalt keinen einzigen brauchbaren Beweis. Sie haben nicht mal genug in der Hand, um einen Haftbefehl beantragen zu konnen.«
»Das wei? ich, Counselor, aber ich wollte Sie nur auf dem laufenden halten. Einen positiven Aspekt hat die Sache allerdings. Unser Verdacht gegen Doil hat sich so verdichtet, da? wir keine Zeit mit anderen Leuten vergeuden mussen.«
»Ja, das sehe ich.«
»Deshalb bleiben wir dran«, sagte Ainslie. »Irgendwann vielleicht schon bald - geht er uns ins Netz. Das ist meine feste Uberzeugung.«
Der Staatsanwalt schmunzelte. »Wie ich sehe, Malcolm, sind Sie im Grunde noch immer in der Glaubensbranche.«
Zu dem miserablen Wetter, das die mehr als dreiwochige Uberwachung Elroy Doils behinderte, kam eine Darmgrippewelle, die ganz Miami erfa?te. Auch das Police Department blieb nicht davon verschont; allein in Ainslies Sonderkommission fielen die Detectives Jose Garcia und Seth Wightman aus. Beide Manner wurden krankgeschrieben und heimgeschickt, was die standige Uberwachung Doils weiter erschwerte.
Deshalb hatten Malcolm Ainslie und Dan Zagaki jetzt eine Doppelschicht ubernommen. Die beiden waren seit neun Stunden im Dienst, weitere funfzehn lagen vor ihnen. Es war 16.20 Uhr, und sie sa?en einen halben Stra?enblock von Elroy Doils Holzhutte entfernt in einem auf der Northeast 35 Terrace geparkten Lieferwagen mit der Aufschrift Burdines Department Store.
Auch heute hatte es wieder fast den ganzen Tag geregnet. Jetzt wurde es bei wolkenverhangenem Himmel rasch dunkel.
Ab sieben Uhr morgens war Doil mit einem Sattelschlepper der Spedition Overland Trucking von Miami aus