»Zum Teufel mit denen! Die sind mir schei?egal! Die haben mir Spa? gemacht, wenn Sie's genau wissen wollen. Sie sollen mir die anderen vergeben, an denen ich nicht schuldig bin!«

Diese Forderung war so unsinnig, da? Ainslie sich fragte, ob es nicht richtiger gewesen ware, Doil vor dem Proze? gegen ihn fur unzurechnungsfahig zu erklaren.

Ainslie versuchte weiter, ihm mit logischen Argumenten beizukommen, indem er sagte: »Haben Sie Mr. und Mrs. Ernst nicht ermordet - wie Sie behaupten -, brauchen Sie keine Vergebung. Au?erdem konnte ein Geistlicher Ihnen keine Absolution erteilen, bevor Sie alles bereuen, was Sie getan haben, und Ihre Bu?e auf sich nehmen - und ich bin kein Priester.«

Noch bevor Ainslie ausgesprochen hatte, starrte Doil ihn flehend an. »Ich mu? sterben!« sagte er mit vor Angst fast erstickter Stimme. »Tun Sie was fur mich! Geben Sie mir irgendwas!«

Lieutenant Hambrick reagierte zuerst. Der junge schwarze Vollzugsbeamte funkelte Ainslie an. »In weniger als funf Minuten wird er abgefuhrt. Was Sie gewesen sind oder nicht, was Sie jetzt sind, spielt keine Rolle. Sie wissen noch immer genug, um etwas fur ihn zu tun. Stecken Sie Ihren gottverdammten Stolz weg und tun Sie's!«

Ein guter Mann, dieser Hambrick, fand Ainslie. Und er kam zu dem Schlu?, da? Doil sich zu diesem Zeitpunkt durch nichts mehr von seiner Geschichte wurde abbringen lassen.

Er konzentrierte sich, um die Erinnerung heraufzubeschworen, und sagte dann: »Sprich mir nach: >Vater, ich gebe mich in deine Hande; tue mit mir, was dir gefallt.««

Doil streckte seine Hande aus, soweit es die an dem Ledergurt befestigten Handschellen zulie?en. Ainslie trat vor ihn hin, und Doil legte seine Hande auf Ainslies. Doil erwiderte Ainslies Blick, wahrend er seine Worte mit klarer Stimme wiederholte.

Ainslie sprach weiter: »>Was du auch tun magst, ich danke dir dafur: Ich bin zu allem bereit, ich nehme alles an.<«

Das war Foucaulds Gebet der Hingabe - ein Geschenk an alle Sunder als Hinterlassenschaft des Vicomte Charles Eugene de Foucauld, eines franzosischen Adligen, der erst Offizier, dann ein bescheidener Geistlicher gewesen war, den sein mit Studium und Gebet in der Sahara verbrachtes Leben unverge?lich gemacht hatte.

Ainslie konnte nur hoffen, da? sein Gedachtnis ihn nicht im Stich lassen wurde. Er sprach langsam Zeile fur Zeile:

»Nur dein Wille soll an mir geschehen und an allen deinen Geschopfen - Nichts anderes begehre ich, o Herr, in deine Hande befehle ich meine Seele.«

Dann herrschte eine Sekunde lang Schweigen, bevor Hambrick verkundete: »Es ist soweit.« Zu Ainslie gewandt sagte er: »Mr. Bethel wartet drau?en. Er bringt Sie zu Ihrem Zeugensitz. Wir mussen uns beeilen.«

Die beiden Gefangniswarter hatten Elroy Doil bereits hochgezogen. Im Gegensatz zu seiner anfanglichen Erregung wirkte er eigenartig gefa?t, als er sich, durch seine Fu?kette in der Bewegung eingeschrankt, willenlos zur Tur fuhren lie?.

Ainslie ging vor ihm hinaus. Ein Gefangniswarter mit dem Namensschild BETHEL auf der linken Brustseite wandte sich an ihn: »Kommen Sie bitte mit, Sir.« Sie gingen rasch den Weg zuruck, auf dem Ainslie gekommen war, hasteten durch kahle Betonkorridore, umgingen den Hinrichtungsraum und erreichten eine schmucklose Stahltur. Dort stand ein uniformierter Sergeant mit einem Schreibbrett in der Hand.

»Ihr Name, bitte?«

»Ainslie, Malcolm.«

Der Sergeant hakte den Namen auf einer Liste ab. »Sie sind der letzte Zeuge. Wir haben einen hei?en Sitz fur Sie reserviert.«

Hinter ihm sagte Bethel: »Sie machen den Mann nervos, Sarge. Das ist nicht der hei?e Sitz, Mr. Ainslie.«

»Nein, der naturlich nicht«, bestatigte der Sergeant. »Der bleibt fur Doil reserviert, aber er wollte, da? Sie alles genau sehen konnen.« Er musterte Ainslie neugierig. »Und er hat Sie als Gottes rachenden Engel bezeichnet. Sind Sie das wirklich?«

»Vielleicht glaubt er das, weil ich mitgeholfen habe, ihn vor Gericht zu bringen.« Ainslie mi?fiel diese Unterhaltung, aber er vermutete, da? man eine so bedruckende Umgebung nur ertragen konnte, wenn man manches auf die leichte Schulter nahm.

Der Sergeant offnete die Stahltur; Ainslie folgte ihm in den Raum. Die Szene vor ihm unterschied sich nur unwesentlich von der, an die Ainslie sich von seinem letzten Besuch vor drei Jahren erinnerte. Sie befanden sich im Hintergrund des Zeugenraums und sahen vor sich funf Reihen Metallklappstuhle, von denen die meisten besetzt waren. Wie Ainslie wu?te, kamen zu den zwolf amtlichen Zeugen, die er heute kurz nach seiner Ankunft gesehen hatte, ungefahr ein Dutzend Journalisten und daruber hinaus, mit Genehmigung des Gouverneurs, einige wenige spezielle Gaste.

Drei der Wande des Zeugenraums bestanden aus schalldichtem Panzerglas, das ungehinderten Durchblick gewahrte. Genau vor den Stuhlreihen lag die Hinrichtungskammer, deren Mittelpunkt der elektrische Stuhl bildete - ein nur dreibeiniger Stuhl aus massiver Eiche, der »sich aufbaumt wie ein bockendes Pferd«, wie ein Hinrichtungszeuge ihn einmal beschrieben hatte. Der Eichenstuhl, den Haftlinge gebaut hatten, nachdem Florida im Jahr 1924 den Galgen durch den elektrischen Stuhl ersetzt hatte, war am Fu?boden festgeschraubt. Er hatte eine hohe Ruckenlehne und eine dick mit schwarzem Gummi uberzogene breite Sitzflache. Zwei starke senkrechte Holzstreben bildeten eine Kopfstutze. Sechs breite Lederriemen sollten den zum Tode Verurteilten so fixieren, da? er sich nicht mehr bewegen konnte.

Eineinhalb Meter vom elektrischen Stuhl entfernt und ebenfalls durch das Panzerglas sichtbar, befand sich die Scharfrichterkabine mit einem rechteckigen Sehschlitz fur den Exekutor.

Zu diesem Zeitpunkt hielt er sich bereits darin auf - in Robe und Kapuze, seine Identitat ein strenggehutetes Geheimnis. Sobald der Scharfrichter von au?en ein Zeichen bekam, betatigte er in seiner Kabine den roten Schalter, der Strom mit zweitausend Volt Spannung durch den elektrischen Stuhl und den Todeskandidaten schickte.

In der Hinrichtungskammer liefen einige Leute durcheinander. Ein Lieutenant warf einen Blick auf seine Armbanduhr und dann auf die Wanduhr mit dem gro?en Sekundenzeiger. Es war 6.53 Uhr.

Die halblauten Gesprache im Zeugenraum verstummten, weil die meisten Anwesenden neugierig beobachteten, wie der Sergeant vom Dienst Ainslie nach vorn in die erste Reihe fuhrte und auf den freien Mittelsitz zeigte. »Das ist Ihrer.«

Ainslie hatte sofort bemerkt, da? Cynthia Ernst unmittelbar links neben ihm sa?, obwohl sie seine Anwesenheit ignorierte und ihn nicht einmal ansah, sondern starr nach vorn blickte. Links neben Cynthia erkannte Ainslie zu seiner Verbluffung Patrick Jensen, der seinen Blick erwiderte und dabei sogar schwach lachelte.

2

Plotzlich horte das Durcheinanderlaufen in der Hinrichtungskammer auf. Funf der Manner, die sich darin aufhielten, bildeten eine Reihe. Angefuhrt wurde sie von dem diensthabenden Lieutenant; hinter ihm standen zwei Aufseher, ein praktischer Arzt mit einer kleinen ledernen Arzttasche und ein Staatsanwalt als Vertreter der Anklagebehorde. Der Gefangniselektriker stand mit den dicken, schweren Elektrokabeln, die er bald anschlie?en wurde, hinter dem elektrischen Stuhl.

Im Zeugenraum rief ein Aufseher: »Ruhe, bitte! Redeverbot beachten.« Die wenigen halblaut gefuhrten Gesprache verstummten schlagartig.

Sekunden spater wurde der Seiteneingang der Hinrichtungskammer geoffnet, und ein gro?er Mann mit strengem Gesichtsausdruck und kurzgeschnittenem, graumeliertem Haar trat ein. Ainslie erkannte Stuart Fox, den Gefangnisdirektor.

Unmittelbar hinter Fox erschien Elroy Doil, der hartnackig zu Boden starrte, als wolle er nicht wahrhaben, was sich vor ihm befand.

Ainslie fiel auf, da? Patrick Jensen die rechte Hand ausgestreckt hatte und Cynthias Hand in seiner hielt. Vermutlich wollte er sie mit dieser Geste uber den Verlust ihrer Eltern hinwegtrosten.

Dann beobachtete Ainslie wieder Doil und staunte erneut uber den Unterschied zwischen dem fruher so robusten, kraftstrotzenden Mann und der erbarmlichen, zitternden Gestalt, in die er sich seither verwandelt hatte.

Doil trug noch die Fu?kette, mit der er nur kleine, unbeholfene Schritte machen konnte. Zwei

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