Gefangniswarter hatten ihn zwischen sich genommen, ein dritter ging hinter ihm. Die Hande Doils steckten in »Eisenkrallen« - einzelne Handschellen mit einer waagrechten Metallstange, die auf je einer Seite von einem Warter gehalten wurde, so da? jeglicher Widerstand unmoglich war.
Doil trug ein sauberes wei?es Hemd und eine schwarze Hose. Die dazugehorige Jacke wurde ihm vor der Beerdigung angezogen werden. Sein glattrasierter Schadel glanzte von dem kurz zuvor aufgetragenen elektrisch leitenden Gel.
Die kleine Prozession war durch den mit zwei Panzerstahlturen gesicherten »Totenuhrkorridor« hereingekommen, und sowie Doil aufblickte, wurde er erstmals den elektrischen Stuhl und das Publikum sehen, das sich hier versammelt hatte, um ihn sterben zu sehen.
Schlie?lich hob er den Kopf. Beim Anblick des elektrischen Stuhls weiteten sich seine Augen, sein Gesicht wurde schreckensstarr. Er blieb impulsiv stehen und wandte Kopf und Korper wie zur Flucht ab, aber es blieb bei dieser kurzen Geste.
Die Gefangniswarter rechts und links von ihm drehten sofort an den Eisenkrallen, so da? Doil vor Schmerz aufschrie. Dann schoben die drei Warter ihn gemeinsam weiter und hoben Doil, der sich vergeblich straubte, auf den elektrischen Stuhl.
In seiner Hilflosigkeit starrte Doil das rote Telefon an der Wand rechts neben dem elektrischen Stuhl an. Wie jeder zum Tode Verurteilte wu?te er, da? es die einzige Chance auf einen Hinrichtungsaufschub in letzter Minute durch den Gouverneur bot. Doils Blick fixierte das Telefon, als flehe er es an, endlich zu klingeln.
Plotzlich wandte er sich der Glastrennwand zum Zeugenraum zu und begann hysterisch zu kreischen. Wegen der schalldichten Verglasung horten Ainslie und die anderen jedoch nichts. Sie konnten nur Doils wutverzerrtes Gesicht sehen.
Bestimmt geifert er irgendwas aus der Offenbarung des Johannes, dachte Ainslie grimmig.
Fruher hatten Mikrofone und Lautsprecher jeden Ton aus der Hinrichtungskammer in den Zeugenraum ubertragen. Jetzt horten die Zeugen nur noch, wie der Gefangnisdirektor den Vollstreckungsbefehl verlas, seine Aufforderung, der Todeskandidat moge ein letztes Wort sprechen, und die kurzen Abschiedsworte, falls es welche gab.
Dann verstummte Doil fur einen Augenblick. Sein suchender Blick glitt uber die Gesichter im Zeugenraum, was einige der Anwesenden dazu brachte, unbehaglich hin und her zu rutschen. Als er Ainslie sah, nahm Doils Gesicht einen bittenden Ausdruck an, und seine Lippen formten Worter, die Ainslie ablesen konnte: »Helfen Sie mir! Helfen Sie mir!«
Malcolm Ainslie spurte, da? ihm plotzlich gro?e Schwei?perlen auf der Stirn standen.
Fur einige Augenblicke, das erkannte er jetzt, war er in dieselbe irrationale Falle wie die sentimentalen Demonstranten drau?en vor dem Gefangnis getappt: Er hatte Mitleid mit dem Morder gehabt und dabei seine toten, verstummelten Opfer vergessen. Aber wenn Grausamkeit eine Rolle spielte, uberlegte Ainslie sich, waren diese letzten Minuten vermutlich die grausamsten. Sosehr das Gefangnispersonal sich auch beeilte, dauerten die abschlie?enden Vorbereitungen doch ihre Zeit.
Als erstes druckten zwei Gefangniswarter, die rechts und links neben dem Verurteilten standen, Doil gegen die Stuhllehne und hielten ihn so fest, wahrend ein breiter Brustgurt straff angezogen und zugeschnallt wurde. Nun konnte der Verurteilte seinen Korper nicht mehr bewegen. Als nachstes wurden seine Fu?e ergriffen, in T-formige Holzhalterungen heruntergezogen und so mit Knochelriemen fixiert, da? sie unbeweglich waren. Nun wurde wieder leitfahiges Gel aufgetragen - diesmal auf sein zuvor rasiertes rechtes Bein - und danach eine mit Blei gefutterte, lederne Erdungsmanschette zehn Zentimeter uber dem rechten Knochel festgezogen. Inzwischen hatte man die ubrigen Gurte angezogen, auch den Kinnriemen, der Doils Hinterkopf unbeweglich gegen die Kopfstutze druckte. Der an einen alten Wikingerhelm erinnernde braune Lederhelm, in den die kupferne Kontaktplatte eingelegt werden wurde, hing wie ein drauendes Damoklesschwert uber dem Todeskandidaten...
Ainslie fragte sich, ob die Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl wirklich so grausam und barbarisch war, wie viele behaupteten. Was er jetzt hier sah, schien diese Auffassung zu bestatigen, und es gab andere Falle, die sie ebenfalls untermauerten.
Manche Leute argumentierten, daruber war er sich im klaren, als Suhne fur verubte Verbrechen
Ob Florida sich irgendwann fur eine andere Hinrichtungsmethode, vielleicht fur die Giftspritze entscheidet? fragte Ainslie sich. Angesichts der allgemeinen Stimmung in bezug auf Verbrechen und des weitverbreiteten Zorns daruber, da? die hohe Kriminalitat den Sunshine State International in Verruf brachte und so die fur Floridas Wohlstand lebenswichtigen Touristen abschreckte, erschien ihm das eher unwahrscheinlich.
Was seine personliche Einstellung zur Todesstrafe betraf, hatte er sie als Geistlicher abgelehnt und war auch jetzt gegen sie - allerdings aus unterschiedlichen Grunden.
Fruher war er davon uberzeugt, alles menschliche Leben sei von Gott inspiriert. Aber das glaubte er nicht mehr. Heute fand er, Totungen von Staats wegen setzten alle daran Beteiligten moralisch herab, auch das Volk, in dessen Namen die Hinrichtungen stattfanden. Au?erdem war der Tod, unabhangig von der Hinrichtungsmethode, eine Erlosung; lebenslangliche Haft ohne die Chance, auf Bewahrung entlassen zu werden, war eine viel schlimmere Strafe...
Die Stimme des Gefangnisdirektors, die jetzt in den Zeugenraum ubertragen wurde, als er den vom Gouverneur unterzeichneten, schwarzumrandeten Vollstreckungsbefehl laut verlas, lie? Ainslie aus seinen Gedanken aufschrecken.
»>In Anbetracht dessen, da?... Elroy Selby Doil wegen eines Verbrechens des Mordes schuldig gesprochen worden ist, den Tod zu erleiden, indem ein elektrischer Strom durch seinen Korper geschickt wird... bis der Tod eintritt...
Sie, der besagte Direktor unseres staatlichen Hochsicherheitsgefangnisses, oder ein von Ihnen zu benennender Vertreter wohnen dieser Hinrichtung bei... in Anwesenheit eines Kollegiums aus zwolf angesehenen Burgern, die zur Teilnahme aufgefordert werden, um selbige zu bezeugen; und Sie sorgen fur die Anwesenheit eines kompetenten praktischen Arztes...
Wobei unter Strafandrohung sicherzustellen ist, da?...<«
Das mit pomposen juristischen Floskeln uberfrachtete Dokument war lang, und der Gefangnisdirektor leierte es monoton herunter.
Als er geendet hatte, hielt ein Gefangniswarter Doil ein Mikrofon hin, und der Direktor fragte: »Mochten Sie noch etwas sagen?«
Doil wollte sich bewegen, aber die Gurte lagen zu straff an. Als er sprach, klang seine heisere Stimme gepre?t. »Ich hab' nie...« Dann geriet er ins Stottern, bemuhte sich vergeblich, den Kopf zu bewegen, und brachte nur ein schwaches
Das Mikrofon wurde entfernt, und die Vorbereitungen zur Hinrichtung gingen sofort weiter. Ainslie wunschte sich wieder, er mu?te ihr nicht beiwohnen, aber dieser Vorgang war geradezu hypnotisch; keiner der Zeugen konnte sich davon abwenden.
Zwischen Doils Zahne wurde ein Knebel gezwangt, so da? er nicht mehr sprechen konnte. Neben dem Stuhl griff der Gefangniselektriker in einen gro?en Eimer mit einer starken Kochsalzlosung und holte die kupferne Kontaktplatte und einen Naturschwamm heraus. Platte und Schwamm legte er in den Lederhelm uber Doils kahlrasiertem Schadel. Die Kupferplatte war ein ausgezeichneter elektrischer Leiter; der mit Salzwasser getrankte Schwamm, ebenfalls ein guter Leiter, sollte das Versengen von Doils Kopfhaut und den widerlichen Gestank nach