Gestandnis abgelegt?«

Ainslie zogerte. »Ich habe einiges zu berichten, Sir. Aber was ich zu sagen habe, soll nicht morgen in der Zeitung stehen.«

»Da haben Sie recht«, gab der Lieutenant zu. »So vorsichtig sollten wir alle sein. Okay, nicht ubers Mobiltelefon.«

»Falls mir genugend Zeit bleibt«, sagte Ainslie, »rufe ich Sie aus Jacksonville an.«

»Kann's kaum erwarten. Bis spater, Malcolm.«

Ainslie schaltete das Mobiltelefon aus.

»Sie haben reichlich Zeit, zum Flughafen sind's nur knapp hundert Kilometer«, stellte Jorge fest. »Vielleicht konnen wir sogar noch fruhstucken.«

Ainslie verzog das Gesicht. »Mir ist der Appetit grundlich vergangen.«

»Ich wei?, da? Sie mir nicht alles erzahlen durfen. Aber Doil hat mindestens einen Mord gestanden, nicht wahr?«

»Ja.«

»Hat er Sie als Geistlichen behandelt?«

»Er wollt's tun. Und ich hab's bis zu einem gewissen Grad zugelassen.«

Jorge machte eine Pause, bevor er weitersprach. »Glauben Sie, da? Doil jetzt im Himmel ist? Oder gibt's wirklich eine Holle mitsamt Fegefeuer, in der Satan regiert?«

»Dieser Gedanke macht Ihnen wohl Sorgen?« fragte Ainslie schmunzelnd.

»Nein. Mich interessiert nur Ihre Meinung - gibt es Himmel und Holle?«

Man la?t seine Vergangenheit nie ganz hinter sich, dachte Ainslie. Er erinnerte sich an ahnliche Fragen von Gemeindemitgliedern, die ihn oft in ziemliche Verlegenheit gebracht hatten. Jetzt erklarte er Jorge: »Nein, ich glaube nicht mehr ans Paradies, und ich habe nie an die Holle geglaubt.«

»Auch nicht an Satan?«

»Satan ist ebenso eine Fiktion wie Mickymaus - eine erfundene Gestalt aus dem Alten Testament. Bei Hiob ist er noch relativ harmlos, aber im zweiten Jahrhundert vor Christus haben die Essaer, eine judische Ordensgemeinschaft, ihn damonisiert. Den konnen Sie vergessen.«

Nach seinem Ausscheiden aus dem Kirchendienst war Malcolm Ainslie jahrelang jeder Diskussion uber Glaubensfragen ausgewichen, obwohl er wegen seines Buchs uber vergleichende Religionswissenschaft manchmal als Experte um Rat gebeten wurde. Wie er wu?te, galt Die Evolution des menschlichen Glaubens noch immer als Standardwerk. In letzter Zeit konnte er jedoch offener und ehrlicher uber Religion sprechen, und hier sa? Jorge neben ihm, der offenbar Rat suchte.

Raiford lag langst hinter ihnen; sie fuhren ubers Land und hatten das bedruckende Gefangnis und seine Schlafstadte hinter sich gelassen. Heller Sonnenschein kundigte einen herrlichen Tag an. Unmittelbar vor ihnen begann eine vierspurige Fernstra?e, die Interstate 10, die nach Jacksonville fuhrte, wo Ainslie sein Flugzeug erreichen wurde. Er freute sich bereits auf das Wiedersehen mit Karen und Jason und die bevorstehende Familienfeier.

»Darf ich Sie noch was fragen?« fragte Jorge.

»Schie?en Sie los.«

»Ich habe mich immer gefragt, wie Sie ursprunglich Priester geworden sind.«

»Ich hatte nie damit gerechnet, einer zu werden«, antwortete Ainslie. »Mein Bruder wollte Priester werden. Dann ist er erschossen worden.«

»Oh...« Jorge war sichtlich betroffen. »Er ist ermordet worden?«

»So hat's die Justiz gesehen. Aber die todliche Kugel ist fur einen anderen bestimmt gewesen.«

»Wie ist das gekommen?«

»Das Ganze hat sich in einer Kleinstadt nicht weit nordlich von Philadelphia abgespielt. Dort sind Gregory und ich aufgewachsen... «

New Berlinville war Ende des vorigen Jahrhunderts zur Stadt erhoben worden. Au?er mehreren Stahl- und Walzwerken gab es dort Erzbergwerke. Diese Kombination verschaffte den meisten Einheimischen Arbeit - auch Idris Ainslie, Gregorys und Malcolms Vater, der Bergmann war. Aber er verungluckte todlich, als die Jungen noch sehr klein waren.

Gregory war nur ein Jahr alter als Malcolm, und die beiden waren unzertrennlich. Gregory, der fur sein Alter recht kraftig war, hatte Spa? daran, seinen kleinen Bruder zu beschutzen. Ihre Mutter Victoria heiratete nicht wieder, sondern zog ihre Sohne allein auf. Sie arbeitete als Hilfskraft, um ihre kleine Witwenrente aufzubessern, und verbrachte moglichst viel Zeit mit Gregory und Malcolm. Sie waren ihr ganzer Lebensinhalt, und ihre Sohne liebten sie.

Victoria Ainslie war eine tugendhafte Frau, eine gute Mutter und eine fromme Katholikin. Im Lauf der Jahre hatte sie keinen sehnlicheren Wunsch, als einen ihrer Sohne als Geistlichen zu sehen. Gregory, der als Erstgeborener den Vortritt hatte, wurde mit seinem Einverstandnis fur den Priesterberuf bestimmt.

Mit acht Jahren war Gregory wie Russell Sheldon, sein bester Freund, Ministrant in der St. Columbkill Church. In vieler Beziehung stellten Gregory und Russell eine unwahrscheinliche, widerspruchliche Kombination dar. Als Gregory heranwuchs, war er ein gro?er, blonder, sportlicher, gutaussehender Junge, der von Natur aus warmherzig und offen war und die Kirche liebte - vor allem ihre prunkvollen Rituale. Russell war ein kleiner, stammiger Bulldozer von einem Jungen mit einer Vorliebe fur allerlei Streiche. Einmal versetzte er Gregorys Shampoo mit einem Haarfarbemittel, so da? sein Freund vorubergehend brunett war. Bei anderer Gelegenheit gab er eine Verkaufsanzeige fur Malcolms geliebtes neues Fahrrad auf. Und er brachte in Gregorys und Malcolms Zimmern Playboy-Pinups an, wo sie ihre Mutter entdecken mu?te.

Russells Mutter war Lehrerin, sein Vater Kriminalbeamter im Sheriffs Department in Berks County.

Ein Jahr nach Gregory und Russell wurde auch Malcolm Ministrant, und in den folgenden Jahren waren die drei Jungen unzertrennlich. Und so verschieden Gregory und Russell waren, so auffallig unterschied Malcolm sich von den beiden anderen. Er war ein ungewohnlich nachdenklicher Junge, der allen Dingen auf den Grund gehen wollte. »Du stellst dauernd Fragen«, sagte Gregory einmal irritiert, um dann zuzugeben: »Aber du kriegst auch Antworten darauf.« Malcolms intellektuelle Neugier und seine Entschlu?kraft lie?en ihm oft eine Fuhrungsrolle zufallen, obwohl er junger als die beiden anderen war.

Was die Kirche betraf, waren die drei glaubige Katholiken, die jede Woche ihre kleinen Sunden beichteten - vor allem unkeusche Gedanken.

Au?erdem waren sie gute Sportler und spielten im Footballteam der South Webster High-School, das Kermit Sheldon, Russells Vater, in seiner Freizeit trainierte.

Gegen Ende ihres zweiten Jahrs im Footballteam zogen jedoch dunkle Wolken am Horizont auf. Von der Schulleitung unbemerkt, verschafften einige der alteren Spieler sich Cannabis sativa L. und rauchten es. Danach dauerte es nicht mehr lange, bis weitere Spieler die durch Marihuana hervorgerufenen angenehmen Highs schatzen lernten, so da? bald das ganze Footballteam Haschisch rauchte. In gewisser Weise war das ein Vorgeschmack auf die achtziger und neunziger Jahre, in denen sich der viel schlimmere Kokainmi?brauch ausbreiten sollte.

Die Bruder Ainslie und Russell Sheldon kamen spat zu Cannabis: Sie nahmen das »Gras«, wie die Spieler es nannten, erst unter Druck ihrer Schulfreunde. Malcolm rauchte es einmal und stellte dann unzahlige Fragen - wo die Droge herkam, woraus sie bestand, welche Dauerwirkung sie hatte. Die Antworten zeigten ihm, da? Cannabis nichts fur ihn war, und er lie? die Finger davon. Aber Russell rauchte es gelegentlich, und Gregory wurde ein regelma?iger Haschischraucher, nachdem er sich eingeredet hatte, da? dies keine Sunde sei, die er beichten musse.

Malcolm stand Gregorys wachsender Sucht anfangs kritisch gegenuber, tolerierte sie dann aber doch, weil er glaubte, sein Bruder folge lediglich einer Mode, die bald wieder verschwinden werde. Das war eine Fehleinschatzung, die Malcolm sein Leben lang bereuen wurde.

Das Marihuana wurde meist in »Nickel Bags« vertrieben: in Plastikbeuteln mit einer kleinen Menge Haschisch, die auf der Stra?e, in diesem Fall in der Umgebung der South Webster High-School, fur funf Dollar zu haben waren. Aber die Gesamtmenge, die das Footballteam und dann auch andere Schuler konsumierten, nahm standig zu und lockte weitere Dealer an, die sich gegenseitig Konkurrenz machten.

Schon damals begannen sich Drogenbanden auszubreiten, von denen ursprunglich eine, die Skin Heads aus Allentown, die Schuler in New Berlinville mit Stoff versorgte. Als mit der Nachfrage auch Umsatze und Gewinne

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