»Woruber hast du gepredigt?«

»Einmal uber Ubervolkerung und Geburtenkontrolle, ein andermal uber Homosexualitat, Kondome und AIDS.«

Russell lachte schallend. »Damit hast du allerdings einen empfindlichen Nerv getroffen.«

»Offenbar. Aber manche der bekannten Tatsachen, die unsere Kirche hartnackig ignoriert, regen mich auf. Gut, personlich kann ich mit Homosexualitat nichts anfangen, aber nach Uberzeugung bekannter Mediziner und Wissenschaftler ist Homosexualitat hauptsachlich genbedingt, und diese Leute konnten sich nicht andern, selbst wenn sie es wollten.«

Russell nickte verstandnisvoll. »Also fragst du: >Wer hat sie so erschaffen?< Und wenn Gott uns alle erschaffen hat - hat er dann nicht auch die Homosexuellen gemacht? Vielleicht sogar fur einen Zweck, den wir nicht verstehen?«

»Unser Standpunkt in bezug auf Kondome macht mich noch wutender«, sagte Malcolm. »Wie soll ich vor meine Gemeinde treten und ihr verbieten, etwas zu gebrauchen, das dazu beitragen kann, die Auswirkungen von AIDS zu verhindern? Aber die Kirche will nicht horen, was ich denke. Sie will nur, da? ich den Mund halte.«

»Hast du vor, ihn zu halten?«

Malcolm schuttelte langsam den Kopf. »Wart nur ab, woruber ich kommenden Sonntag predigen werde.«

Die Sonntagsmesse um 10.30 Uhr begann mit einer Uberraschung. Wenige Minuten zuvor trat Bischof Sanford unangemeldet ein. Der wei?haarige Kirchenfurst, der sich auf einen Stock stutzte, wurde von seinem Sekretar begleitet. Er stand in dem Ruf, strikt auf Disziplin zu achten und ein linientreuer Anhanger des Vatikans zu sein.

Vom Altar aus hie? Malcolm den Bischof offentlich willkommen. Innerlich empfand er zunehmende Beklemmung. Dieser uberfallartige Besuch erschreckte ihn, weil er wu?te, da? seine Predigt Sanford mi?fallen wurde. Malcolm hatte damit gerechnet, da? der Bischof nachtraglich davon erfahren wurde, und war auf einen Ruffel gefa?t, aber Sanford als Zuhorer zu haben, war etwas vollig anderes. Trotzdem konnte und wollte er seine kritische Predigt uber das Thema »Die Bibel als unerschutterliches Fundament unseres Glaubens: Wahn oder Wirklichkeit?« nicht mehr abandern.

Als die Geistlichen nach der Messe am Kirchenportal standen, um die Gemeindemitglieder mit einem Handedruck zu verabschieden, horte Malcolm viel Lob uber seine couragiert bibelkritische Predigt. »Hochst interessant, Pater«... »Das habe ich alles zum erstenmal gehort«... »Sie haben recht, das sollte ofter angesprochen werden.«

Bischof Sanford lachelte liebenswurdig, wahrend Gemeindemitglieder ihm die Hand schuttelten. Aber sobald alle gegangen waren, machte er eine gebieterische Bewegung mit seinem Stock und nahm Malcolm beiseite.

Die Stimme des Bischofs klang eisig und schneidend scharf, als er anordnete: »Pater Ainslie, in dieser Kirche haben Sie ab sofort Predigtverbot. Ich erteile Ihnen einen neuerlichen Verweis, und Sie erhalten demnachst Anweisungen uber Ihre Zukunft. Bis dahin rate ich Ihnen, um Demut, Klugheit und Gehorsam zu beten - Eigenschaften, die Ihnen offenbar fehlen und die Sie dringend benotigen.« Dann erteilte er Malcolm mit strenger Miene seinen Segen. »Moge der Herr deine Bu?e leiten und dich auf tugendhaftere Pfade fuhren.«

Als Malcolm abends mit Russell telefonierte, schilderte er ihm diesen Vorfall und fugte hinzu: »Wir werden von zu vielen sauerlichen alten Mannern regiert.«

»Die sexuell vollig ausgehungert sind. Was ist von denen schon anderes zu erwarten?«

Malcolm seufzte. »Sexuell ausgehungert sind wir alle. Unser Leben ist pervers.«

»Du denkst wohl schon an die nachste Predigt?«

»Diesmal nicht. Sanford hat mir einen Maulkorb verpa?t. Er halt mich fur einen Rebellen, Russell.«

»Hat er vergessen, da? auch Jesus ein Rebell gewesen ist? Er hat ahnliche Fragen wie du gestellt.«

»Erzahl das mal Eisenarsch.«

»Welche Bu?e wird er sich fur dich einfallen lassen?«

»Keine Ahnung«, sagte Malcolm. »Das ist mir ehrlich gesagt ziemlich egal.«

Aber er brauchte nicht lange zu warten.

Bischof Sanfords Entscheidung wurde Malcolm zwei Tage spater von Pater Andre Quale mitgeteilt, der ein Schreiben der Erzdiozese erhalten hatte. Malcolm sollte sich sofort in ein Trappistenkloster in den Pocono Mountains im Norden Pennsylvanias begeben. Sein Aufenthalt in dieser Einsamkeit war vorlaufig unbefristet.

»Ich bin zum Schweigen in der Au?eren Mongolei verurteilt worden«, berichtete Malcolm Russell. »Du wei?t uber die Trappisten Bescheid?«

»Sie leben enthaltsam und reden niemals.« Russell erinnerte sich an einen Artikel, den er gelesen hatte. Die Lebensweise des »Katholischen Ordens der Zisterzienser strikter Observanz«, so die offizielle Bezeichnung der Trappisten, war asketisch genugsam: wenig Essen, kein Fleisch, harte korperliche Arbeit und striktes Schweigen. Weltweit hatte dieser 1664 in Frankreich gegrundete Orden siebzig Kloster.

»Der alte Sanford hat mir Bu?e versprochen«, fuhr Malcolm fort, »und er halt Wort. Ich soll dort ausharren und beten naturlich schweigend -, bis ich bereit bin, mich an die Linie des Vatikans zu halten.«

»Gehst du hin?«

»Ich mu?. Tu' ich's nicht, werde ich meines Priesteramts enthoben.«

»Was fur uns beide vielleicht nicht das Schlechteste ware«, sagte Russell zu seiner eigenen Verbluffung impulsiv. »Vielleicht nicht«, stimmte Malcolm zu.

Malcolm begab sich ins Kloster und fand dort zu seiner Uberraschung inneren Frieden. Die Entbehrungen ertrug er gelassen. Die Schweigepflicht war keineswegs so belastend, wie er geglaubt hatte, und als er spater in die Welt zuruckkehrte, fand er sie voll sinnlosem Geschwatz. Gegen eine Regel in seiner Verbannung verstie? er jedoch: Er betete nicht. Wahrend die Monche um ihn herum vermutlich schweigend beteten, nutzte Malcolm diese Zeit, um uber seine Vergangenheit und Zukunft nachzudenken.

Nachdem er einen Monat in sich gegangen war, gelangte er zu drei Schlu?folgerungen: Er glaubte nicht mehr an irgendeinen Gott, die Gottlichkeit Jesu oder die Sendung der katholischen Kirche. Dafur gab es verschiedene Grunde, von denen der wichtigste die Tatsache war, da? selbst die altesten Religione n hochstens funftausend Jahre alt waren. Im Vergleich zu den unzahligen Aonen seit der Entstehung des Universums, in dem die Erde kaum ein Stecknadelkopf war, entsprach die Dauer der Existenz menschlicher Religionen vielleicht einem einzelnen Sandkorn der Sahara.

Deshalb waren die vielen Gotter und Religionen lediglich Erfindungen der Neuzeit.

Sollten die Menschen deshalb von jeglicher Religionsausubung abgehalten werden? Keineswegs! Wer in ihr Trost fand, sollte in Ruhe gelassen und notfalls geschutzt werden. Malcolm schwor sich, immer die Glaubensgrundsatze anderer zu achten.

Aber was kam fur ihn als nachstes? Naturlich wurde er das Priesteramt aufgeben. Nachtraglich erkannte er seine Berufswahl als von Anfang an falsch - eine Realitat, die er sich um so leichter eingestehen konnte, als seine Mutter im Jahr zuvor gestorben war. Auf dem Totenbett hatte Victoria Ainslie seine Hand gehalten und geflustert: »Du bist Priester geworden, weil ich's wollte. Ich wei? nicht, ob das wirklich dein Wunsch war, aber ich bin voller Stolz gewesen und habe meinen Willen durchgesetzt. Ich frage mich, ob Gott mir das als Sunde ankreiden wird.« Malcolm hatte ihr versichert, das werde Gott nicht tun, und er bereue seine Berufswahl keineswegs. Seine Mutter war friedlich gestorben. Aber ohne sie fuhlte er sich berechtigt, andere Entscheidungen zu treffen.

Die Stimme einer Stewardess aus der Bordsprechanlage unterbrach Malcolms Gedanken. Sie kundigte die baldige Landung in Atlanta an und bat die Fluggaste, sich wieder anzuschnallen, die Tischchen hochzuklappen und die Ruckenlehnen gerade zu stellen.

Malcolm blendete diese bekannten Anweisungen aus und kehrte in Gedanken in die Vergangenheit zuruck.

Er blieb noch einen weiteren Monat im Kloster, um Zeit zu haben, seinen Entschlu? zu revidieren. Aber seine Uberzeugung verfestigte sich, und am Ende dieses zweiten Monats schrieb er einen Brief, in dem er auf die Priesterwurde verzichtete, und ging einfach.

Nach mehreren Meilen Fu?marsch, auf dem er alles, was er aus seiner Vergangenheit mitnehmen wollte, in einem Handkoffer bei sich trug, nahm ihn ein Lastwagenfahrer nach Philadelphia mit. Dort fuhr er mit einem Bus zum Flughafen, und da er nicht wu?te, wohin er sollte, kaufte er sich spontan ein Ticket fur den nachsten Flug - einen Nonstopflug nach Miami. Dort begann sein neues Leben.

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