Kurz nach seiner Ankunft lernte er Karen Grundy kennen -eine Kanadierin, die in Miami Urlaub machte.
Sie stand in einer Reinigungsannahme hinter ihm. Malcolm, der ein paar Hemden waschen lassen wollte, war von der Angestellten gefragt worden, ob er sie zusammengelegt oder auf Bugeln haben wolle. Als er zogerte, sagte eine Stimme hinter ihm: »Wenn Sie viel reisen - zusammengelegt. Sonst sind Bugel praktischer.«
»Mit meiner Herumreiserei ist's vorbei«, sagte er, indem er sich nach der attraktiven jungen Frau umdrehte, die gesprochen hatte. Dann nickte er der Angestellten zu. »Also bitte auf Bugeln.«
Nachdem Karen ein Kleid in der Reinigung abgegeben hatte, sah sie Malcolm am Ausgang warten. »Ich wollte mich nur fur Ihren freundlichen Rat bedanken.«
»Warum ist's mit Ihrer Herumreiserei vorbei?« fragte sie.
»Das kann ich hier schlecht erzahlen. Aber vielleicht beim Mittagessen?«
Karen uberlegte nur einen Augenblick, bevor sie lachelnd sagte: »Klar. Warum nicht?«
So begann ihre Romanze. Sie verliebten sich rasch ineinander, und Malcolm machte Karen schon nach zwei Wochen einen Heiratsantrag.
Etwa zu dieser Zeit las Ainslie im
Karen hatte nicht nur keine Einwande dagegen, statt in Toronto in Florida zu leben, sondern war von dieser Idee sogar begeistert. Und da sie inzwischen seine Vergangenheit kannte, urteilte sie ganz richtig uber Malcolms neuen Beruf. »In gewisser Weise tust du nichts anderes als fruher - du sorgst dafur, da? die Menschheit auf dem Pfad der Tugend bleibt.«
Er hatte gelacht. »Das wird viel muhsamer, aber verdammt viel praktischer.«
Letzten Endes war es dann beides.
Einige Monate spater erfuhr Malcolm, da? Russell Sheldon der katholischen Amtskirche ebenfalls den Rucken gekehrt hatte. Russells Hauptmotiv war einfach, da? er heiraten und Kinder haben wollte. In einem Brief an Malcolm schrieb er:
Russell Sheldon hatte jedoch weder seinen Glauben verloren noch die Religion aufgegeben, sondern schlo? sich einer freien katholischen Gemeinde in Chicago an, die ihn auch als aus dem Kirchendienst entlassenen Geistlichen akzeptierte. Malcolm horte noch immer gelegentlich von ihm. Er amtierte weiter als unabhangiger Geistlicher und war glucklich mit einer ehemaligen katholischen Nonne verheiratet; nach letzten Berichten hatten die beiden zwei Kinder.
Die Maschine der Delta Airlines setzte weich in Atlanta auf und rollte zum Flugsteig. Nun hatte er nur noch den zweistundigen Flug nach Toronto vor sich.
Malcolm wandte sich von seinen Erinnerungen an die Vergangenheit ab und dachte mit Freude an die bevorstehenden angenehmen Urlaubstage.
Als Malcolm die Pa?- und Zollkontrolle auf dem Flughafen Toronto passierte, sah er sich mit einem Schild mit dem Namen AINSLIE konfrontiert, das ein livrierter Chauffeur hochhielt.
»Mr. Ainslie aus Miami?« fragte der junge Mann freundlich, als Malcolm vor ihm stehenblieb.
»Ja, aber ich habe nicht damit gerechnet, da?... «
»Ich bin in General Grundys Auftrag hier. Der Wagen steht gleich drau?en. Darf ich Ihren Koffer nehmen, Sir?«
George und Violet Grundy, Karens Eltern, wohnten in Scarborough Township am Ostrand von Gro?-Toronto. Die Fahrt dorthin dauerte eineinviertel Stunden - etwas langer als sonst, weil letzte Nacht viel Schnee gefallen war, der den Verkehr auf dem Highway 401 noch immer behinderte. Der Himmel war bleigrau, die Temperatur lag um null Grad. Wie viele Einwohner Floridas, die im Winter nach Norden kamen, war Malcolm viel zu leicht angezogen. Falls Karen ihm nicht ein paar warme Sachen eingepackt hatte, wurde er sich Winterkleidung kaufen oder leihen mussen.
Der Empfang im bescheidenen Vorstadthaus der Grundys war dagegen au?erst warm und herzlich. Sobald die Limousine vor dem Haus hielt, flog die Haustur auf, und die Familie stromte ins Freie, um ihn zu begru?en - Karen voraus, Jason dicht hinter ihr. Karen ku?te ihn, umarmte ihn und flusterte ihm dabei zu: »Wie schon, da? du da bist«, was unerwartet und beruhigend war. Jason zupfte an seinem Armel und rief: »Daddy! Daddy!« Malcolm zog ihn mit einem Arm an sich und gratulierte ihm herzlich zum Geburtstag.
Aber die drei blieben nicht lange allein. Karens jungere Schwester Sofia, gro?, schlank und sexy, drangte sich zwischen sie, um Malcolm mit einem herzlichen Ku? zu begru?en. Ihr Mann Gary Moxie, ein Borsenmakler aus Winnipeg, schuttelte Malcolm die Hand und versicherte ihm: »Die ganze Familie ist stolz auf dich und deine Arbeit. Du mu?t uns viel davon erzahlen, solange du hier bist.« Die beiden Tochter der Moxies, die zwolfjahrige Myra und die zehnjahrige Susan, beteiligten sich ebenfalls an dieser lautstark freundschaftlichen Begru?ung.
Violet Grundy, eine elegante, mutterliche Erscheinung, umarmte ihren Schwiegersohn als nachste. »Wir sind alle glucklich, da? du kommen konntest«, versicherte sie ihm lachelnd. »Das bi?chen Verspatung spielt keine Rolle; wichtig ist nur, da? du da bist.«
Als die anderen sich abwandten, um ins Haus zuruckzugehen, legte George Grundy, wei?haarig, aufrecht und mit funfundsiebzig kein Gramm ubergewichtig, Malcolm einen Arm um die Schultern. »Gary hat recht, wir sind stolz auf dich. Manchmal vergessen die Leute, wie wichtig es ist, als erstes seine Pflicht zu tun; daran denken heutzutage so wenige.« George senkte seine Stimme. »Ich habe allen - besonders Karen - einen kleinen Vortrag uber dieses Thema gehalten.«
Ainslie lachelte, denn diese vertrauliche Mitteilung erklarte vieles. Karen bewunderte ihren Vater, und seine Worte hatten offenbar nachhaltig gewirkt. »Nett von dir«, sagte er dankbar. »Und alles Gute zum Geburtstag!«
Brigadegeneral George Grundy hatte im Zweiten Weltkrieg als Berufssoldat mit der kanadischen Armee in Europa gekampft, war Tapferkeitsoffizier geworden, hatte schwere Kampfe uberlebt und war mit dem Military Cross ausgezeichnet worden. Spater hatte er am Koreakrieg teilgenommen. Seit er mit funfundfunfzig in den Ruhestand getreten war, hielt er in Colleges Vortrage uber internationale Beziehungen.
»Komm, wir gehen rein, bevor du hier drau?en zum Eiszapfen wirst«, sagte George Grundy. »Fur uns beide ist ein volles Programm geplant.«
Georges und Jasons doppelter Geburtstag wurde den ganzen Tag lang gefeiert. Zum Abendessen erschienen weitere elf Gaste, so da? das bescheidene Heim der Grundys mit zwanzig Personen uberfullt war. Zu den Neuankommlingen gehorte Karens alterer Bruder Lindsay aus Montreal, der sich nicht eher hatte freimachen konnen. Mit ihm kamen seine Frau Isabel, sein erwachsener Sohn Owen und Owens Frau Yvonne. Die ubrigen sieben Gaste waren alte Freunde des Ehepaars Grundy.
Bei dieser Geburtstagsfeier stand Malcolm ganz unerwartet im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. »Als ob man einen richtigen Fernsehdetektiv ausfragen konnte«, sagte die zwolfjahrige Myra, nachdem sie ihn mit Fragen bombardiert hatte.
Jason setzte sich plotzlich hellwach auf. »Mein Dad arbeitet viel besser als diese Kerle im Fernsehen.«
Andere fragten nach der Hinrichtung, der Malcolm an diesem Morgen beigewohnt hatte, nach den Morden, die der Tater verubt hatte, und wie sie aufgeklart worden waren. Malcolm beantwortete alle Fragen so aufrichtig wie moglich, lie? aber sein letztes Gesprach mit Elroy Doil unerwahnt.
»Ein Grund fur unser Interesse«, sagte George Grundy erklarend, »ist die erschreckende Zunahme von Gewalttaten bei uns in Kanada. Fruher hat man aus dem Haus gehen und sich sicher fuhlen konnen, aber das ist langst vorbei. Jetzt sind wir fast so schie?wutig wie ihr in den Staaten.« Die anderen murmelten zustimmende Worte.
Als sich eine Diskussion uber Mordfalle entwickelte, erlauterte Malcolm, da? die meisten Morder gefa?t wurden, weil sie Fehler machten oder sich nicht bewu?t waren, welche Fahndungsmoglichkeiten die Polizei hatte.
»Eigentlich«, sagte Sofia Moxie, »mu?ten sie durch die Flut an Informationen - in Zeitungen, in der Literatur und im Fernsehen - uber Verbrechen und ihre Bestrafung wissen, wie schlecht ihre Chancen stehen.«