Feiglinge! Ihr seid Tiere, keine Menschen!«
Ramon sah und horte zu, ein dunnes Lacheln umspielte seine Lippen. Dann steckte er sich die Zigarette wieder in den Mund und zog fest daran, bis die Glut wieder aufleuchtete. Schlie?lich druckte er das rote Ende ein zweites Mal auf Nickys Brust. Nicky schrie immer lauter, wahrend Ramon ein drittes Mal an der Zigarette zog und die Tortur wiederholte. Nun begleitete der Geruch von versengter Haut die Schreie und das verzweifelte Weinen des Jungen.
Miguel blieb kuhl und gelassen, als ware ihm die ganze Sache vollkommen gleichgultig.
Nach dem dritten Mal wartete er, bis sich der Larm etwas gelegt hatte, und sagte dann zu Jessica: »Du setzt dich jetzt vor die Kamera und fangst an zu reden, wenn ich es dir sage. Ich habe den Text auf Kartons geschrieben. Es ist der gleiche wie der, den du gelesen hast. Die Kartons werden hochgehalten, und du liest Wort fur Wort ab. Verstanden?«
»Ja«, erwiderte Jessica wie betaubt. »Ich habe verstanden.«
Als Miguel horte, wie bruchig und trocken ihre Stimme klang, befahl er Gustavo: »Gib ihr Wasser.«
»Ich brauche keins«, protestierte Jessica. »Um Nicky mu? man sich kummern - er braucht etwas fur die Brandwunden. Socorro wei?...«
»Halt den Mund!« fauchte Miguel. »Wenn du weiter Schwierigkeiten machst, wird der Junge wieder leiden. Er bleibt, wo er ist. Und du wirst jetzt gehorchen!« Er warf dem wimmernden Nicky einen bosen Blick zu. »Und du halt auch den Rand!« Miguel wandte sich um. »Ramon, halt den Stengel bereit!«
Ramon nickte. »Si,
Jessica schlo? die Augen. Ihre Halsstarrigkeit war schuld, da? es so weit gekommen war. Vielleicht wurde Nicky ihr das nie verzeihen. Um ihn wenigstens jetzt zu schutzen, mu?te sie sich auf das konzentrieren, was zu tun war, sie mu?te es ohne Fehler zu Ende bringen.
Zu Hause in Larchmont, an dem Abend vor der Entfuhrung, hatte Crawf ihr noch von bestimmten Signalen erzahlt, die eine Geisel heimlich bei einer Videoaufzeichnung ubermitteln konnte. Wichtig war nur, da? jemand diese Signale kannte und sie interpretieren konnte. Crawf war davon ausgegangen, da? man ihn eines Tages entfuhren und zu einer solchen Videoaufnahme zwingen konnte. Doch nun war Jessica in dieser Lage - daran hatten die beiden nicht im Traum gedacht -, und sie versuchte, sich an die Signale zu erinnern, da sie wu?te, da? Crawf die Aufzeichnung mit Sicherheit sehen wurde... Wie waren die Zeichen gleich wieder?
Sie rief sich das Gesprach in Erinnerung... Sie hatte schon immer ein gutes Gedachtnis besessen... Crawf hatte gesagt:
Gustavo offnete Jessicas Zelle und winkte sie heraus.
Sie wollte sofort zu Nicky laufen, doch Miguel warf ihr einen finsteren Blick zu, und Ramon, der sie ebenfalls beobachtete, hatte sich eine neue Zigarette angezundet. Jessica blieb stehen, wechselte einen Blick mit Nicky und wu?te, da? er verstand. Dann lie? sie sich von Gustavo zu dem Stuhl vor der Kamera fuhren. Gehorsam trank sie das Wasser, das er ihr gab.
Die Erklarung, die sie lesen sollte, stand in gro?en Buchstaben auf zwei Kartons, die Gustavo nun hochhielt. Miguel stand hinter dem Camcorder und hatte das Auge am Sucher. »Fang' an, wenn ich die Hand sinken lasse!« befahl er.
Auf das Signal hin begann Jessica. Sie versuchte, ihre Stimme neutral klingen zu lassen. »Wir werden hier gut behandelt. Man hat uns erklart, warum wir entfuhrt wurden, und wir verstehen nun, da? es notwendig war. Wir wissen auch, da? die Bedingungen, die fur unsere sichere Ruckkehr gestellt werden, von unseren amerikanischen Freunden sehr leicht zu erfullen sind. Als Gegenleistung fur unsere Freilassung...«
»Stop!«
Miguels Gesicht war rot vor Wut.
»Du Miststuck! Du liest das ab wie einen Einkaufszettel -ohne jeden Ausdruck. Du willst mich ubers Ohr hauen und es unglaubwurdig klingen lassen, so als hatte man dich dazu gezwungen... «
»Aber Sie zwingen mich doch!« Einen Augenblick spater bereute Jessica diese Trotzigkeit.
Auf ein Zeichen von Miguel hielt Ramon Nicky erneut die brennende Zigarette an die Brust. Nicky schrie wieder auf.
Jessica wurde fast wahnsinnig bei dem Schrei; sie sprang auf und flehte: »Nein! Nicht mehr! Ich mach' es besser!... So wie Sie wollen!... Ich verspreche es!«
Zu ihrer Erleichterung belie? es Ramon bei dem einen Mal. Miguel legte eine neue Cassette ein und winkte Jessica in den Stuhl zuruck. Wieder gab Gustavo ihr Wasser. Augenblicke spater begann sie von neuem.
Sie nahm sich zusammen und versuchte, die Einleitungssatze so uberzeugend wie moglich klingen zu lassen. Dann fuhr sie fort: »Als Gegenleistung fur unsere Freilassung sind die Anweisungen, die dieser Aufnahme beiliegen, schnell und Punkt fur Punkt zu befolgen...«
Gleich nach dem Wort »befolgen« befeuchtete Jessica sich die Lippen mit der Zunge. Sie wu?te, da? es ein Risiko war, nicht nur fur sie selbst, sondern auch fur Nicky, aber sie hoffte, da? es naturlich aussehen und so von keinem bemerkt wurde. Da? niemand etwas sagte, schien ihr recht zu geben, und sie hatte nun Crawf und den anderen mitgeteilt, da? sie die Botschaft gegen ihren Willen vortrug. Trotz allem, was geschehen war, spurte sie eine gewisse Befriedigung, wahrend sie weiter von den Kartons ablas, die Gustavo hochhielt.
»... aber seid euch uber eines im klaren: Wenn ihr diese Instruktionen nicht befolgt, werdet ihr keinen von uns je wiedersehen. Wir flehen euch an, la?t das nicht geschehen...«
»Wir warten, wir zahlen auf euch und hoffen verzweifelt, da? ihr die richtige Entscheidung trefft und... «
Augenblicke spater war es vorbei. Wahrend Jessica beruhigt die Augen schlo?, schaltete Miguel den Schweinwerfer aus und lachelte zufrieden.
Es dauerte eine ganze Stunde, bis Socorro endlich kam, eine Stunde des Schmerzes fur Nicky und der Angst fur Jessica, die Nicky auf seiner Pritsche leise stohnen horte, aber nicht zu ihm konnte. Mit Worten und mit Gesten hatte sie die diensthabende Wache angefleht, sie zu Nicky in die Zelle zu lassen, und es war deutlich, da? der Mann, obwohl er kein Englisch sprach, sehr wohl verstand, was sie wollte. Aber er hatte nur den Kopf geschuttelt und immer wieder gesagt:
Entsetzliche Schuldgefuhle uberfielen Jessica. Durch das Maschengitter sagte sie zu Nicky: »Ach Liebling, es tut mir so furchtbar leid. Wenn ich gewu?t hatte, was sie dir antun, hatte ich diese Aufnahme sofort gemacht. Ich hatte nie geglaubt...«
»Mach dir keine Sorgen, Mom.« Trotz seiner Schmerzen versuchte Nicky, sie zu beruhigen. »Du konntest ja nichts dafur.«
»Das hatte keiner geglaubt, da? diese Wilden zu so etwas fahig waren«, kam Angus' Stimme aus der hinteren Zelle. »Tut's noch sehr weh, alter Junge?«
»Ziemlich.«
Wieder flehte Jessica die Wache an: »Holen Sie Socorro! Die Krankenschwester! Sie verstehen? Socorro!«
Doch der Mann reagierte nicht. Er sa? auf seinem Stuhl, las ein Comic-Heft und sah nicht auf. Schlie?lich kam Socorro doch, wie es schien, aus eigener Entscheidung.
»Bitte helfen Sie Nicky«, bat Jessica. »Ihre Freunde haben ihm Brandwunden zugefugt.«
»Er hat es wahrscheinlich verdient.« Socorro lie? sich von der Wache Nickys Zelle aufschlie?en und ging
