danach hatten andere Kriege an anderen Orten sein Bedurfnis befriedigt. Und ebendieses Gefuhl machte ihn zu einem sogenannten »Pang-pang«-Korrespondenten, eine Bezeichnung, die ihn fruher geargert hatte, aber nun nicht mehr.
Warum nicht? Weil es Zeiten gab, in denen ein »Pang-pang« wie er gebraucht wurden, so wie in jedem Krieg Soldaten gebraucht wurden, die inmitten des Schlachtgetummels tapfer ihre Pflicht erfullten. Er lachelte uber seinen pathetischen Vergleich.
Es war nicht immer so gewesen. In der Zeit mit Gemma hatte er Kriege und Gefahren ganz bewu?t gemieden, weil das Leben zu schon und zu glucklich war, um ein plotzliches Ende zu riskieren Er wu?te, da? es zu dieser Zeit im Sender eine stillschweigende Ubereinkunft gab, die ihn betraf: Gebt Harry ungefahrliche Auftrage; er hat sie verdient. Sollen sich doch die jungeren Reporter eine Zeitlang die Kugeln um die Ohren pfeifen lassen.
Spater anderte sich das naturlich wieder. Als Gemma dann nicht mehr da war, verlor er diesen Schutz; man schickte ihn wieder zu den Kriegsschauplatzen, zum Teil, weil er diese Berichterstattung so hervorragend beherrschte, zum Teil aber auch, weil er zu erkennen gab, da? es ihm gleichgultig war, welches Risiko er einging. Und letzteres war wohl mit ein Grund, so uberlegte er, warum er jetzt diese Reise machte.
Es war schon eigenartig, da? er seit Beginn dieser Geschichte seine Zeit mit Gemma im Geiste noch einmal durchlebt hatte. Auf dem Flug von Toronto direkt nach der Entfuhrung hatte er sich die Reise in der DC-10 des Papstes in Erinnerung gerufen... seine Unterhaltung mit dem Papst und wie er das Problem mit der Slawen/Sklaven-Verwechslung loste... und schlie?lich Gemma, die ihm sein Fruhstuck mit einer Rose servierte.
Einen oder zwei Tage spater dann die nachtlichen Erinnerungen in seinem Hotelzimmer... wie er sich in Gemma verliebte und ihr noch wahrend der Papstreise einen Heiratsantrag machte... der kurze Aufenthalt in Panama, ihre Taxifahrt in die Altstadt und der juez, der ihn und Gemma zu Mann und Frau erklarte.
Und schlie?lich vor knapp einer Woche, auf der Ruckfahrt von Larchmont nach dem Besuch bei Crawford Sloane, die idyllischen, glucklichen Bilder ihres gemeinsamen Lebens in Rom, wo ihre Liebe erst richtig wuchs... Gemmas glockenhelles, frohliches Lachen, ihre standigen Probleme mit der Bank, ihr halsbrecherischer Fahrstil, der ihn immer in Angst und Schrecken versetzte... bis sie ihm die Schlussel aushandigte, als sie erfuhr, da? sie schwanger war... und danach der Umzug von Rom nach London...
Nun lag er hier in diesem Flugzeug, alles war still um ihn, und die Erinnerung an Gemma kehrte zuruck. Diesmal wehrte er sich nicht dagegen, sondern gab sich ganz den Gedanken hin.
Ihr Leben in London war unglaublich schon.
Sie ubernahmen von Partridges Vorganger eine hubsche moblierte Wohnung in St. John's Wood, die Gemma schnell mit eigenen stilistischen und farblichen Akzenten versah. Frische Blumen standen in jedem Zimmer. Sie hangte Bilder auf, die sie aus Rom mitgebracht hatten, kaufte Porzellan und Tischwasche in Kensington sowie eine bemerkenswerte Bronzeskulptur von einem jungen Kunstler aus einer Galerie in der Cork Street.
Auch Partridges Arbeit fur das Londoner Buro von CEA News lief gut. Er berichtete teils aus Gro?britannien, teils vom Kontinent - aus Frankreich, den Niederlanden, Danemark und Schweden -, war aber nie allzulange von zu Hause fort. Wenn er nicht arbeitete, unternahmen Gemma und er Streifzuge durch London, sie entdeckten gemeinsam die glanzvolle Geschichte dieser Stadt mit ihren Sehenswurdigkeiten und Kuriositaten, schlenderten durch geheimnisvolle, enge Stra?en mit verwinkelten Ecken, die aussahen wie aus einem Dickensschen Roman.
Gemma fand sich nur schwer zurecht in dem unuberschaubaren Stra?engewirr und verlief sich haufig. Als Partridge meinte, da? es in Rom ahnlich schwierig sei, sich zu orientieren, schuttelte Gemma den Kopf und widersprach. »Man nennt Rom nicht umsonst >die Ewige Stadt<, Harry caro. In Rom bewegt man sich bestandig vorwarts, man hat einfach ein Gefuhl fur die Stadt. London spielt mit dir Katz und Maus; links, rechts, vorwarts, ruckwarts - man wei? nie, in welche Richtung man lauft. Aber ich finde es wunderbar; es ist wirklich wie ein Spiel.
Auch der Verkehr brachte Gemma durcheinander. Als sie mit Partridge einmal auf den Stufen der National Gallery stand und den nie abrei?enden Strom von Autos, Taxis und Doppeldeckerbussen auf dem Trafalgar Square beobachtete, sagte sie zu ihm: »Es ist so gefahrlich, Liebling. Sie fahren alle falsch herum.« Da? Gemma sich nicht einmal in ihrer Vorstellung an den Linksverkehr gewohnen konnte, war ein Gluck, denn so hatte sie nie das geringste Bedurfnis, den Wagen zu benutzen, und wenn Partridge sie nicht fahren konnte, ging sie entweder zu Fu? oder fuhr mit der U-Bahn oder dem Taxi.
Neben der National Gallery besuchten sie noch viele andere Museen. Sie lie?en weder die klassischen Touristenattraktionen wie den Wachwechsel am Buckingham Palace aus noch die obskureren Sehenswurdigkeiten wie die zugemauerten Fenster an alten Gebauden, ein Uberbleibsel aus dem beginnenden 19. Jahrhundert, als Fenster zur Finanzierung der napoleonischen Kriege besteuert wurden.
Ein Fremdenfuhrer, den sie fur einen Tag engagierten, zeigte ihnen eine Statue von Queen Anne und erzahlte ihnen, da? die Konigin neunzehn Schwangerschaften gehabt habe und in einem Sarg von einem Meter vierzig im Quadrat beerdigt worden sei. Und am New Zealand House, dem ehemaligen Hotel Carlton, erfuhren sie, da? Ho Chi Minh dort fruher als Kuchenhilfe gearbeitet hatte. Gemma liebte diese Art von Geschichten und schrieb in ihrem immer dicker werdenden Notizbuch eifrig mit.
An Sonntagen gingen sie am liebsten zur Speakers' Corner beim Marble Arch, wo, wie Partridge erklarte, »Propheten, Gro?mauler und Spinner gleiche Redezeit haben«.
»Was ist eigentlich daran so anders, Harry?« fragte Gemma einmal, nachdem sie eine Rede gehort hatte. »Einige der Reden, die euer serioses Fernsehen bringt, sind keineswegs besser. Du solltest fur eure Nachrichten einen Bericht uber die Speakers' Corner machen.«
Bald darauf unterbreitete Harry den Vorschlag der Zentrale in New York, und nachdem er vom Hufeisen grunes Licht bekommen hatte, machte er seinen Bericht, der wenig spater, an einem Freitag, als humoristisches »Schlu?stuck« der Abendnachrichten gesendet und mit viel Beifall bedacht wurde.
Ein weiterer Hohepunkt war ein Besuch des von Lord Byrons Butler gegrundeten Brown's Hotel zum Tee - diesem hochsten Ausdruck englischer Lebensart, mit exzellentem Service, kostlichen Sandwiches, feinem Teegeback, Erdbeermarmelade und dicker Sahne aus Devonshire. »Es ist ein geheiligtes Ritual, mio amore«, erklarte Gemma. »Wie die Kommunion, nur schmackhafter.«
Fur sie beide gab es nichts Schoneres als diese gemeinsamen Unternehmungen. Und gleichzeitig schritt Gemmas Schwangerschaft voran und versprach zusatzliches Gluck.
Sie war im siebten Monat, als Partridge fur einen Tag zur Berichterstattung nach Paris mu?te. Die unter Personalmangel leidende Pariser Redaktion von CBA News brauchte jemanden, um uber Vorwurfe gegen einen amerikanischen Film zu berichten, der sich kritisch - zu unrecht, wie man behauptete -mit der Rolle der franzosischen Resistance im Zweiten Weltkrieg auseinandersetzte. Partridge machte seinen Bericht, der uber Satellit via London nach New York uberspielt wurde, obwohl er Zweifel hatte, da? er fur die National Evening News wichtig genug sein wurde - Zweifel, die sich letztlich bestatigten.
Dann, im Pariser Buro und kurz vor seinem Ruckflug nach London, rief man ihn ans Telefon. »Es ist Zeke aus London.
Zeke war Ezekiel Thomson, der Leiter des Londoner Buros -riesig, hartgesotten, eigensinnig und schwarz; fur die, die mit ihm arbeiteten, schien er ein Mann ohne Gefuhle. Das erste, was Partridge auffiel, war, da? Zekes Stimme gebrochen, fast erstickt klang.
»Harry, es ist das erste Mal, das ich so etwas tun mu?... Ich wei? nicht, wie... aber ich mu? dir sagen...«, stammelte er.
Irgendwie gelang es ihm, den Rest zu erzahlen.
Gemma war tot. Sie wollte an einer belebten Kreuzung in Knightsbridge eine Stra?e uberqueren, und Zeugen berichteten, da? sie nach links anstatt nach rechts geschaut hatte... Oh, Gemma! Liebste, wunderbare, naive Gemma, du hast ja immer geglaubt, da? die Autos in Gro?britannien auf der falschen Seite fahren, und du hast nie gewu?t, in welche Richtung du als Fu?ganger zuerst schauen mu?t,