»Wende dich nicht an offizielle Stellen, das hei?t, an die peruanische Armee oder an die Polizei. Vermeide am besten jeden Kontakt mit ihnen, weil man sich nicht mehr auf sie verlassen kann, falls man das je konnte. Was Mord und Verwustungen angeht, sind die nicht besser als der Sendero und mit Sicherheit genauso skrupellos.«

»Gibt es dafur Beispiele aus der letzten Zeit?«

»Genugend. Ich kann dir einige nennen, wenn du willst.«

Partridge dachte bereits an die Berichte, die er fur die National Evening News nach New York schicken wollte. Mit Rita Abrams und dem Cutter Bob Watson hatte er vereinbart, da? sie nach ihrer Ankunft am Samstag eine Meldung fur die Montagssendung zusammenstellen wurden. Partridge hoffte nun, Sergio Hurtado und andere fur Interviews gewinnen zu konnen.

»Du hast gesagt, Demokratie gibt es bei euch nicht mehr«, fuhr er fort. »War das nur rhetorisch gemeint oder stimmt das wirklich?«

»Es stimmt. Und fur viele Menschen in unserem Land macht es in ihrem Leben auch keinen Unterschied, ob die Demokratie existiert oder nicht.«

»Ein hartes Wort, Sergio.«

»Nur aus deinem beschrankten Blickwinkel heraus, Harry. Amerikaner sehen die Demokratie als Heilmittel fur alle Krankheiten - wie eine Medizin dreimal taglich einzunehmen. Da es fur sie funktioniert, denken sie, es mu?te auch fur den Rest der Welt so sein. Was die Amerikaner aber in ihrer naiven Weltsicht vergessen, ist die wesentliche Voraussetzung fur das Funktionieren von Demokratie, namlich da? der Gro?teil der Bevolkerung personlichen Besitz haben mu?, den er erhalten will. Doch die meisten Lateinamerikaner besitzen nichts. Was naturlich sofort die Frage aufwirft, warum?«

»Soweit akzeptiert. Also warum?«

»In den Teilen der Welt, die am tiefsten in Schwierigkeiten stecken, und eben auch bei uns, gibt es im wesentlichen zwei Bevolkerungsschichten: auf der einen Seite die Gebildeten und Wohlhabenden, auf der anderen die Unwissenden und hoffnungslos Armen, die auf dem Arbeitsmarkt praktisch nicht vermittelbar sind. Die erste Gruppe pflanzt sich nur sehr ma?ig fort, die zweite dagegen vermehrt sich wie die Fliegen, sie wird zwangslaufig immer gro?er - eine menschliche Zeitbombe, die die erste Gruppe zerstoren wird.« Sergio deutete mit der Hand hinter sich. »Du brauchst blo? rauszugehen und dich umzusehen.«

»Und hast du eine Losung?«

»Amerika konnte eine haben. Nicht indem es Waffen oder Geld verteilt, sondern indem es die Welt mit Arzteteams uberschwemmt, die die Armen in Geburtenkontrolle unterrichten, so wie Kennedy seine Friedenscorps ausgeschickt hat. Naturlich wurde es Generationen dauern, aber eine Beschrankung des Bevolkerungswachstums konnte die Welt retten.«

»Aber vergi?t du da nicht etwas?« wollte Partridge wissen.

»Wenn du die katholische Kirche meinst, mochte ich dich daran erinnern, da? ich selbst Katholik bin. Ich habe auch viele katholische Freunde, bedeutende, gebildete und reiche Leute. Eigenartigerweise haben sie alle nur kleine Familien. Ich habe mich gefragt: Unterdrucken die alle ihren Sexualtrieb? Da ich die Manner und die Frauen kenne, bin ich sicher, da? sie es nicht tun. Und einige bekennen auch ganz offen, da? sie sich nicht an das kirchliche Dogma zur Geburtenkontrolle halten, ein Dogma, das ubrigens von Menschen geschaffen ist.« Nach einer kurzen Pause fugte er hinzu: »Wenn sich Amerika hier an die Spitze stellt, konnte die Opposition gegen dieses Dogma immer starker werden.«

»Weil du gerade von offenem Bekennen sprichst«, sagte Partridge. »Warst du bereit, einen Gro?teil des eben Gesagten vor einer Kamera zu wiederholen?«

Sergio warf die Hande in die Luft. »Aber warum denn nicht, mein lieber Harry? Was mir Amerika vor allem beigebracht hat, ist das leidenschaftliche Eintreten fur die freie Meinung. Ich sage im Radio offen, was ich denke, obwohl ich mich manchmal frage, wie lang sie mich das noch tun lassen. Weder die Regierung noch dem Sendero gefallt, was ich sage, und beide haben Kugeln und Gewehre. Aber man kann ja nicht ewig leben, und deshalb, Harry, werde ich das fur dich tun.«

Partridge mu?te sich eingestehen, da? hinter diesem unformigen Fleischberg ein Mensch mit Prinzipien und gro?em Mut steckte.

Schon vor seiner Ankunft in Peru war Partridge zu der Uberzeugung gekommen, da? es fur ihn nur eine Moglichkeit gab, die Entfuhrungsopfer zu finden. Er mu?te genau das tun, was ein Fernsehkorrespondent unter normalen Umstanden immer tat - sich mit bekannten Kontaktpersonen treffen, neue aufspuren, nach Informationen suchen, herumreisen, fragen und immer wieder fragen und dabei hoffen, da? irgendwann ein Informationsbruchstuck, ein Hinweis auftauchte, der ihn auf die Spur der Entfuhrten brachte.

Das gro?te Problem kam naturlich erst danach, die Frage namlich, wie man sie retten sollte. Doch damit konnte er sich erst beschaftigen, wenn es so weit war.

Falls es nicht zu einem unerwarteten, glucklichen Durchbruch kam, erwartete Partridge ein lange, muhevolle Suche.

Er durfte naturlich auch die Routinearbeit als Fernsehkorrespondent nicht vergessen. Deshalb ging er als nachstes zu Entel Peru, der nationalen Telekommunikationsgesellschaft, die ihre Zentrale in der Innenstadt von Lima hatte. Entel sollte ihm als Basis fur die Verbindung mit CBA News in New York dienen, auch Satellitenubertragungen waren von dort aus moglich. Wenn in ein oder zwei Tagen die Teams der anderen Sender eintrafen, wurden sie hochstwahrscheinlich dieselben Einrichtungen benutzen.

Victor Velasco war der vielbeschaftigte, vom Stre? gezeichnete Auslandsdirektor von Entel, den Fernandez Pabur bereits benachrichtigt hatte. Er war Mitte Vierzig, vor der Zeit ergraut und trug standig eine besorgte Miene zur Schau. So hatte er auch offensichtlich andere Probleme im Kopf, als er Partridge sagte: »Es war schwierig, Platz zu finden, aber wir haben eine Kabine fur Ihren Cutter und seine Ausrustung, und wir haben zwei Telefonleitungen hineingelegt. Sie und Ihre Leute werden Kennkarten brauchen... «

Partridge wu?te sehr gut, da? in einem Land wie Peru, wo Politiker und ranghohe Militars gro?spurig auftraten und sich bereicherten, es die unauffalligen Manager wie dieser Velasco waren, die mit ihrer gewissenhaften, aber unterbezahlten Arbeit das Land am Laufen hielten. Er hatte deshalb in seiner Hotelsuite tausend Dollar in einen Umschlag gesteckt, den er nun aus der Tasche zog und Velasco unauffallig gab.

»Als kleines Dankeschon fur Ihre Bemuhungen, Senor Velasco. Wir werden in Kontakt bleiben.«

Einen Augenblick wirkte Velasco verlegen, und Partridge fragte sich, ob er ablehnen wollte. Doch als Velasco den Umschlag offnete und das amerikanische Geld sah, nickte er und steckte ihn ein.

»Vielen Dank. Wenn sonst noch etwas ist...«

»Ich werde Sie bestimmt noch brauchen«, sagte Partridge. »Das ist das einzige, was ich sicher wei?.«

»Was hat dich denn so lange aufgehalten, Harry?« fragte Manuel Leon Seminario, als Partridge ihn nach der Ruckkehr von Entel Peru um kurz nach funf vom Hotel aus anrief. »Seit unserer kleinen Unterhaltung habe ich auf dich gewartet.«

»Ich hatte in New York noch einiges zu erledigen.« Partridge dachte an das Telefongesprach, das er vor zehn Tagen mit dem Besitzer und Herausgeber von Escena gefuhrt hatte; damals war die Spur nach Peru nur eine Moglichkeit gewesen, noch keine Gewi?heit wie jetzt. »Manuel, ich wollte nur wissen, ob du heute abend schon etwas vorhast«, sagte er.

»Aber naturlich. Ich habe um acht Uhr eine Verabredung zum Abendessen im La Pizzeria, und zwar mit einem gewissen Harry Partridge.«

Inzwischen war es 20 Uhr 15, und die beiden tranken Pisco sours, einen in Peru sehr beliebten, pikant erfrischenden Cocktail. La Pizzeria war eine Mischung aus Bistro und traditionellem Restaurant, ein Stammlokal der Leute, die in Lima das Sagen hatten.

Seminario war ein schlanker, eleganter Mann mit einem sehr gepflegten Vandyke-Bart. Er trug eine modische Brille von Cartier, einen Anzug von Brioni und hatte eine burgunderrote Ledermappe mit an den Tisch gebracht.

Partridge hatte ihm bereits erzahlt, warum er in Peru war. Nun fugte er hinzu: »Ich habe gehort, die Lage hier ist ziemlich schlecht.«

Seminario seufzte. »Das ist sie wirklich. Aber unser Leben war schon immer eine extreme Mischung. Wir konnen... wie sagte Milton gleich wieder... >einen Himmel aus der Holle, eine Holle aus dem Himmel< machen. Wir limenos sind Uberlebenskunstler, und eben das will ich auf den Titelblattern von Escena zum Ausdruck bringen.« Er griff nach seiner Aktenmappe und offnete sie.

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