dessen kam sie zu Jessicas Zelle und offnete das Vorhangeschlo?. Wieder legte sie den Finger an den Mund. Dann winkte sie Jessica heraus und deutete auf Nickys offene Zellentur.

Jessicas Herz machte einen Satz.

»Aber vor Tagesanbruch mussen Sie zuruck sein«, flusterte Socorro. Sie deutete mit dem Kopf auf Vincente. »Er wird Ihnen sagen, wann.«

Jessica wollte schon auf Nicky zugehen, blieb aber dann plotzlich stehen und drehte sich um. Aus einem unerklarlichen Gefuhl heraus ging sie zu Socorro und ku?te sie auf die Wange.

Sekunden spater hielt sie Nicky bereits im Arm, vorsichtig und behutsam, um seine bandagierte Hand nicht zu beruhren.

»O Mom!« flusterte er.

Sie druckten sich aneinander, so gut es eben ging. Augenblicke spater war Nicky eingeschlafen.

7

Bei CBA hatte man beschlossen, die Uberprufung der Immobilienanzeigen in den Lokalzeitungen einzustellen.

Als man die Aktion vor knapp zwei Wochen begonnen hatte, schien es noch wichtig, den Unterschlupf der Entfuhrer in den Vereinigten Staaten aufzuspuren. Damals hoffte man, zumindest Spuren zu finden, die darauf hindeuteten, wohin die Entfuhrer mit ihren Geiseln verschwunden waren.

Inzwischen aber wu?te man, da? die Sloanes vom Sendero Luminoso an einem noch nicht bekannten Ort in Peru gefangengehalten wurden.

So war die Suche nach der Operationsbasis lediglich aus journalistischer Sicht nach wie vor interessant und nicht, weil man hoffte, noch wesentliche Erkenntnisse zu gewinnen.

Trotzdem konnte man die Aktion nicht als Fehlschlag bezeichnen. Schlie?lich hatte Jonathan Mony dabei die spanische Wochenzeitung Semana entdeckt, die direkt zu dem Leichenbestatter Alberto Godoy gefuhrt hatte. Von Godoy hatte man von dem Verkauf der Sarge erfahren, er hatte au?erdem den Terroristen Ulises Rodriguez eindeutig identifiziert. Godoys Geldscheine lieferten dann auch den Hinweis auf die American-Amazonas Bank und die Morde an Jose Antonio Salaverry und Helga Efferen sowie deren Verbindungen nach Peru.

So war man allgemein der Ansicht, da? allein diese Erfolge die Aktion rechtfertigten.

Aber wurde eine Fortsetzung der Suche noch neue Ergebnisse liefern?

Don Kettering, der jetzt die Spezialeinheit leitete, glaubte es nicht. Der Chefproduzent der Truppe, Norman Jaeger, ebenfalls nicht. Und sogar Teddy Cooper, der die Aktion initiiert und uberwacht hatte, bekam Schwierigkeiten, Grunde fur eine Fortsetzung zu finden.

Bei der Sitzung der Spezialeinheit am Dienstagmorgen kam das Thema zur Sprache.

Vier Tage waren seit dem ausfuhrlichen Bericht uber die Ermittlungserfolge und der Sondersendung mit den Forderungen der Entfuhrer und Jessicas Erklarung vergangen.

In der Zwischenzeit war es zu der Enthullung von Theodore Elliotts Indiskretion gekommen, die zur Folge hatte, da? die Welt bereits von jener Entscheidung wu?te, die CBA fruhestens am folgenden Donnerstag hatte veroffentlichen wollen. Es war bemerkenswert, da? niemand bei CBA den Baltimore Star kritisierte. Schlie?lich wu?ten alle, da? Reporter und Redakteure des Star nur getan hatten, was jedes Nachrichtenunternehmen, und sicherlich auch CBA, unter diesen Umstanden getan hatte.

Theodore Elliott hatte das Vorgefallene weder erklart noch sich dafur entschuldigt.

In Peru waren Rita Abrams und der Cutter Bob Watson am Samstag zu Harry Partridge, Minh Van Canh und Ken O'Hara gesto?en. Am Montag ubermittelten sie via Satellit ihren ersten Bericht aus Lima, der zum Aufmacher der National Evening News von diesem Abend wurde.

Partridge hatte sich die in okonomischer und rechtsstaatlicher Hinsicht immer katastrophaler werdende Lage in Peru zum Thema genommen. Tonzitate des peruanischen Radioreporters Sergio Hurtado und des Escena- Besitzers Manuel Leon Seminario und Bilder von einem wutendem Mob aus den barridas bei der Plunderung eines Lebensmittelgeschafts bekraftigten seine Aussagen.

Wie Hurtado es formulierte: »Fruher lebten wir in einem demokratischen Land mit vielversprechender Zukunft, aber jetzt befinden wir uns auf dem gleichen traurigen Weg der Selbstzerstorung wie Nicaragua, El Salvador, Venezuela, Kolumbien und Argentinien.«

Und Seminario stellte eine nicht zu beantwortende Frage: »Was macht uns Lateinamerikaner so chronisch unfahig, stabile Regierungen zu bilden?« Er fuhr fort: »Wir sind ein solch trauriger Kontrast zu unseren prudente Nachbarn im Norden. Wahrend Kanada und die Vereinigten Staaten Freihandelsabkommen schlie?en und ihre Nationen kraftig und stabil machen fur die kommenden Generationen, horen wir im Suden nicht auf, zu polarisieren und uns gegenseitig abzuschlachten.«

Aus Grunden der Ausgewogenheit versuchte Rita, auf Partridges Vorschlag, ein Interview mit Prasident Castaneda zu arrangieren. Es wurde verweigert, und statt dessen horte man von einem unbedeutenden Minister, Eduardo Loayza, einige beschonigende Satze. Perus Probleme seien nur vorubergehend, lie? er durch einen Dolmetscher mitteilen. In der bankrotten Wirtschaft des Landes werde es bald einen Umschwung geben. Die Macht des Sendero Luminoso wachse nicht, sondern nehme ab. Und die amerikanischen Gefangenen in der Gewalt des Sendero wurden von Perus Militar oder der Polizei in kurzester Zeit gefunden und befreit.

Loayzas Bemerkungen wurden zwar in den Bericht aufgenommen, aber der Mann und seine Botschaft waren, so Rita, »wie Fliegendreck im Wind«.

Die CBA-Truppe in Lima stand in standigem Kontakt mit der Zentrale in New York, und so erfuhren Partridge und Rita von der Videocassette mit Jessica, den Forderungen vom Sendero und von Elliotts Indiskretion. Die letzte Nachricht konnte Partridge kaum glauben, er war wutend daruber, da? sein Versuch des heimlichen Vorgehens auf so grobe Weise durchkreuzt wurde. Aber trotzdem war er entschlossen, so weiterzumachen, wie er begonnen hatte.

Da? die Initiative nun in Lima und nicht mehr bei den Leuten in New York lag, war vermutlich auch der Grund, warum man bei der Dienstagssitzung der Spezialeinheit dem vergleichsweise geringen Problem der Anzeigenaktion so gro?en Platz einraumte.

»Ich habe es zur Sprache gebracht«, sagte Norman Jaeger zu Chippingham, der erst spater zu dem Treffen gesto?en war, »weil du beunruhigt warst wegen der Kosten, die immer noch sehr hoch sind. Wir konnen die Aktion jetzt jederzeit abbrechen.«

»Touche!« gab Chippingham zu. »Aber immerhin habt ihr recht behalten, und deshalb sollten wir uns bei der Entscheidung von den positiven Ergebnissen leiten lassen.« Was er verschwieg, war die Tatsache, da? die Einschaltquoten der National Evening News inzwischen so hoch waren, da? er sich uber Budgetuberschreitungen keine Sorgen mehr machte. Falls Margot Lloyd-Mason sich deswegen aufregte, wurde er sie einfach darauf hinweisen, da? es bei CBA News unter keinem anderen Prasidenten so hohe Quoten gegeben hatte.

Chippingham fragte nun Teddy Cooper: »Was meinst du, Teddy, sollen wir die Aktion abblasen?«

Der junge englische Rechercheur am anderen Ende des Tisches grinste. »War doch 'ne super Idee, oder?«

»Ja. Darum frage ich ja dich.«

»Moglich war's schon, da? noch etwas dabei herauskommt. Das ist wie beim Poker, wenn man seine Karten umdreht und auf ein As hofft, und dann ist wirklich eins dabei. Aber sehr wahrscheinlich ist es nicht. Wenn wir die Sache fallenlassen, mu? ich euch 'ne neue brillante Idee auftischen.«

»Was mich bei ihm nicht wundern wurde«, bemerkte Jaeger -eine Meinung, die seiner ursprunglichen Einschatzung eines aufdringlichen Teddy Cooper diametral entgegenstand.

Schlie?lich beschlo? man, die Recherchen am folgenden Tag zu beenden.

Doch drei Stunden spater, so als hatte das launische Schicksal beschlossen einzugreifen, kam es zu einem weiteren Erfolg. Was man von Anfang an erhofft hatte, war nun doch eingetreten.

Um 14 Uhr nahm Teddy Cooper im Konferenzraum einen Anruf von Jonathan Mony entgegen.

Mony war inzwischen zum Koordinator der Aktion geworden und hatte wahrend der letzten Tage die Rechercheure uberwacht. Man ging inzwischen davon aus, da? Mony nach Beendigung dieses Auftrags einen festen Platz in der Nachrichtenabteilung bekommen wurde. Jetzt am Telefon klang er atemlos und aufgeregt.

»Ich glaube, wir haben es gefunden. Kannst du herkommen, und vielleicht auch Mr. Kettering?«

»Was gefunden, und wo bist du?«

»Den Unterschlupf der Entfuhrer, da bin ich fast sicher. Ich bin in Hackensack in New Jersey. Da war diese

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