Cesar Acevedo hatte nie geheiratet, war jedoch in Lima gesellschaftlich sehr angesehen.
Partridge mochte Acevedo, er war bescheiden und vollkommen ehrlich und gab nie vor, etwas zu sein, was er nicht war. Auf Partridges Frage, warum er sich nie zum Priester habe weihen lassen, hatte Acevedo bei einer fruheren Gelegenheit geantwortet: »So sehr ich Gott und Jesus Christus liebe, war ich doch nie bereit, mein intellektuelles Recht auf Skeptizismus aufzugeben, falls ich davon, was ich nicht hoffe, einmal Gebrauch machen mu?te. Als Priester mu?te ich auf dieses Recht verzichten. Schon als junger Mann konnte ich mich nicht dazu uberwinden, und heute kann ich es ebensowenig.«
Acevedo war Generalsekretar des Katholischen Sozialen Aktionskomitees, das sich um die medizinische Versorgung entlegener Landesteile, in denen es kaum Arzte oder Schwestern gab, kummerte.
»Ich glaube«, sagte Partridge zu Beginn ihres Gesprachs, »da? du dich ab und zu auch mit dem Sendero Luminoso herumschlagen mu?t.«
Acevedo lachelte. »>Herumschlagen< ist korrekt. Die Kirche billigt den Sendero naturlich nicht - weder die Ziele noch die Methoden. Aber in der praktischen Arbeit existiert eine Beziehung, wenn auch eine sehr eigenartige.«
Aus bestimmten Grunden, erklarte der Kirchenfuhrer spater, vermied es der Sendero Luminoso, sich die Kirche zum Feind zu machen, und griff sie als Institution nur hochst selten an. Doch die Rebellenorganisation traute den einzelnen Kirchenvertretern nicht, und wenn Aktionen gegen die Regierung oder Aufstande geplant wurden, vertrieben die Rebellen Priester und andere Kirchenvertreter aus dem entsprechenden Gebiet, um keine Zeugen zu haben.
»Sie sagen dann einfach zu unseren Priestern und Sozialarbeitern: >Verschwindet von hier! Wir konnen euch nicht brauchen. Ihr werdet schon erfahren, wann ihr zuruckkehren konnt.<«
»Und die Priester gehorchen?«
Acevedo seufzte. »Klingt nicht gerade bewundernswert, was? Aber normalerweise ja, weil sie keine andere Wahl haben. Wird der Befehl nicht befolgt, wurde der Sendero nicht zogern zu toten. Ein lebender Priester kann irgendwann zuruckkehren. Ein toter nicht.«
Plotzlich fiel Partridge etwas ein. »Gibt es im Augenblick Orte, von denen eure Leute vertrieben wurden, weil Sendero Luminoso dort keine Zeugen wollte?«
»Es gibt so eine Gegend, und die bereitet uns betrachtliche Probleme. Komm! Ich zeig' sie dir auf der Karte.« Sie gingen zu einer Wand, an der, unter einer Plastikhulle mit Kreidemarkierungen, eine gro?e Karte von Peru hing.
»Es ist dieses ganze Gebiet hier.« Acevedo zeigte auf einen Abschnitt der Provinz San Martin, der rot umrandet war. »Bis vor etwa drei Wochen haben wir dort, wie jedes Jahr, unser gro?angelegtes Hilfsprogramm durchgefuhrt. Es geht dabei vorwiegend um Schutzimpfungen fur Kinder. Die sind sehr wichtig, weil in diesem Teil der Selva Dschungelkrankheiten sehr haufig sind, die auch todlich verlaufen konnen. Auf jeden Fall hat der Sendero Luminoso, der die Gegend kontrolliert, darauf bestanden, da? unsere Leute sie verlassen. Wir haben protestiert, aber es war nichts zu machen. Und jetzt wollen wir unsere Arzte wieder dorthin zuruckschicken. Aber der Sendero sagt nein.«
Partridge betrachtete den eingekreisten Kartenausschnitt. Er hatte gehofft, da? es sich um ein kleines Gebiet handeln wurde. Aber er wurde enttauscht, es war riesig. Er las Ortsnamen, alle weit voneinander entfernt: Tocache, Uchiza, Sion, Nueva Esperanza, Pachiza. Ohne sich viel davon zu versprechen, notierte er sie. Falls die Geiseln wirklich an einem der Orte gefangengehalten wurden, hatte es wenig Sinn, in die Gegend einzudringen, ohne zu wissen, an welchem Ort genau. Eine Rettung ware uberall schwierig, wenn nicht sogar unmoglich. Eine winzige Chance bestand nur, wenn die Entfuhrer uberrascht werden konnten.
»Ich glaube, ich wei?, was du denkst«, sagte Acevedo. »Du uberlegst dir, ob deine entfuhrten Freunde irgendwo in diesem Gebiet sind.«
Partridge nickte schweigend.
»Ich glaube nicht, denn davon hatte ich bestimmt gehort. Aber unsere Kirche hat ein ganzes Netz von Kontakten. Ich werde mich umhoren und dir berichten, falls ich etwas erfahre.«
Mehr konnte Partridge nicht erwarten. Aber er wu?te, da? ihm die Zeit davonlief und da? er uber den Aufenthaltsort der Sloanes seit seiner Ankunft noch nichts Neues in Erfahrung gebracht hatte.
Schon im erzbischoflichen Palais hatte ihn der Gedanke niedergeschlagen gestimmt. Als er sich nun in seinem Hotelzimmer an die Ereignisse des Tages erinnerte, war er frustriert wegen seiner mangelnden Fortschritte und fuhlte sich wie ein Versager.
Plotzlich klingelte das Telefon.
»Harry, bist du das?« Partridge erkannte Don Ketterings Stimme.
Gleich nach der Begru?ung kam Kettering zur Sache. »Hier ist einiges passiert, von dem ich mir dachte, da? du es wissen solltest.«
Rita, die ebenfalls im Cesar's Hotel wohnte, hob nach dem zweiten Klingeln ab.
»Ich habe eben einen Anruf aus New York bekommen«, sagte Partridge. Er wiederholte, was Don Kettering ihm uber die Entdeckung des Hauses in Hackensack und die Funktelefone erzahlt hatte, und fugte hinzu: »Don hat mir eine Nummer in Lima gegeben, die von einem der Funktelefone angerufen wurde. Ich will wissen, wem die gehort.«
»Gib sie mir«, sagte Rita.
Partridge las vor: »28-9427.«
»Ich versuche, diesen Victor Velasco von Entel zu erreichen. Er soll sich darum kummern. Ich rufe zuruck, sobald es etwas Neues gibt.«
Funfzehn Minuten spater meldete sie sich wieder. »Ich habe Velasco zu Hause erreicht. Er sagt, da? sich seine Abteilung um so etwas normalerweise nicht kummert und da? es schwierig sei, an die Information zu kommen. Aber er hofft, da? er sie bis morgen fruh hat.«
»Danke«, sagte Partridge. Wenige Augenblicke spater war er eingeschlafen.
9
Erst am Mittwoch gegen Nachmittag konnte die Telefonnummer, die Partridge von Kettering bekommen hatte, identifiziert werden. Velasco entschuldigte sich wegen der Verspatung. »Das sind naturlich vertrauliche Daten«, erklarte er Partridge und Rita in der Schneidekabine von CBA bei Entel, wo sie zusammen mit dem Cutter an einem neuen Bericht fur New York arbeiteten.
»Es war schwierig, meine Kollegen zu uberreden, die Information herauszugeben«, fuhr Velasco fort. »Aber ich habe es geschafft.«
»Mit Geld?« fragte Rita, und als er nickte, meinte sie: »Sie bekommen es zuruck.«
Die Information war hastig auf einen Notizzettel gekritzelt:
»Wir brauchen Fernandez«, sagte Partridge.
»Ist schon unterwegs«, erwiderte Rita, und wenige Minuten spater stand der dunkelhautige Kontaktmann vor ihnen. Seit Partridges und Minh Van Canhs Ankunft hatte er fur die beiden gearbeitet und half nun auch Rita, wo er konnte.
Als er die Adresse sah und erfuhr, warum sie wichtig sein konnte, nickte Fernandez Pabur eifrig. »Ich kenne das Haus. Es ist ein alter Wohnblock in der Nahe der Kreuzung an der Avenida Tacna. Nicht gerade ein« - er suchte nach dem englischen Wort - »Palast.«
»Egal was es ist«, erwiderte Partridge. »Ich mu? sofort dorthin.« Er wandte sich an Rita: »Ich will, da? ihr mitkommt, du, Minh und Ken, aber ich gehe zuerst allein hinein und sehe, was ich herausfinden kann.«
»Nicht allein«, protestierte Fernandez. »Man konnte Sie angreifen und ausrauben, oder vielleicht noch Schlimmeres. Tomas und ich werden Sie begleiten.«
Tomas, das wu?ten sie inzwischen, war der Name des kraftigen, schweigsamen Leibwachters.
Der Kombi, den Fernandez gemietet hatte und den sie nun regelma?ig benutzten, stand vor dem Entel- Gebaude. Mit sieben Leuten wurde es ziemlich eng, aber die Fahrt dauerte nur zehn Minuten. »Dort ist es«, sagte Fernandez und zeigte aus dem Fenster.
Die Avenida Tacna war eine breite, viel befahrene Durchgangsstra?e, Huancavelica Street eine Querstra?e dazu. Die Gegend war zwar noch nicht so schlimm wie die
