und erst darunter der eigentliche Inhalt.
Einige Sekunden lang starrte Crawford Sloane mit stummem, unglaubigem Entsetzen in die Schachtel. Dann schrie er - ein gequalter, markerschutternder Schrei. Am Hufeisen fuhren die Kopfe in die Hohe. FBI-Agent Ungar sprang auf und zog seine Pistole. Aber Sloane war allein, er schrie und schrie und starrte mit weit aufgerissenen, schreckensstarren Augen und aschfahlem Gesicht das Packchen an.
Andere sprangen auf und liefen zu Sloanes Buro. Eine Frau kam vom Hufeisen gelaufen und beugte sich uber Sloanes Schreibtisch. »O mein Gott!« schrie sie, hielt sich die Hand vor den Mund und sturzte hinaus.
FBI-Agent Ungar warf einen kurzen Blick in die Schachtel, sah zwei menschliche, blutverklebte Finger, schluckte seinen Ekel hinunter und war sofort wieder Herr der Lage. Der Menge, die sich im Buro und vor der Tur angesammelt hatte, rief er zu: »Bitte gehen Sie!« Gleichzeitig griff er zum Telefon, druckte den Knopf fur die Vermittlung und befahl: »Sicherheitsabteilung - aber schnell!« Als sich dort jemand meldete, rief er in den Horer: »Hier FBI-Sonderagent Ungar. Geben Sie Befehl an alle Wachen, da? ab sofort niemand mehr das Gebaude verlassen darf, und zwar ausnahmslos. Wenn jemand Widerstand leistet, wenden Sie Gewalt an. Sofort nach Ausgabe dieses Befehls alarmieren Sie die Stadtpolizei. Ich gehe jetzt in die Eingangshalle. Jemand von Ihrer Abteilung soll dort auf mich warten.«
Wahrend Ungar telefonierte, sank Sloane in seinen Sessel. Wie einer der Anwesenden spater bemerkte: »Er sah aus wie der Tod.«
Chuck Insen bahnte sich einen Weg durch die Menge vor dem Buro und fragte: »Was ist denn hier los?«
Als Ungar sah, wer es war, wies er nur kurz auf die wei?e Schachtel und sagte: »Bitte nichts anruhren. Ich wurde vorschlagen, da? Sie Mr. Sloane wegbringen und die Tur verschlie?en, bis ich zuruckkomme.«
Insen nickte nur, er hatte inzwischen den Inhalt der Schachtel gesehen und bemerkt, wie andere auch, da? die Finger klein und zart waren und nur die eines Kindes sein konnten. Er sah Sloane an und stellte mit den Augen die unvermeidliche Frage. Sloane nickte schwach und flusterte: »Ja.«
»O Gott!« murmelte Insen.
Sloane schien kurz vor dem Zusammenbruch zu sein. Insen legte den Arm um ihn und fuhrte ihn aus dem Zimmer. Die Menge vor der Tur machte den Weg frei.
Insen brachte Sloane in sein Buro und gab auf dem Weg dorthin hastige Anweisungen. Zu einer Sekretarin sagte er: »Schlie?en Sie Mr. Sloanes Buro ab, und lassen Sie niemand hinein au?er den FBI-Mann. Dann besorgen Sie uns einen Arzt. Sagen Sie, Mr. Sloane hat einen Schock erlitten und braucht ein Beruhigungsmittel.« Zu einem Produzenten: »Sagen Sie Don Kettering, was passiert ist, und holen Sie ihn her. Wir brauchen etwas fur die Nachrichten heute abend.« Und zu den anderen: »Der Rest geht wieder an seine Arbeit.«
Das gro?e Glasfenster zum Hufeisen in Insens Buro hatte eine Jalousie, die er herunterlassen konnte, wenn er ungestort sein wollte. Nachdem er Sloane zu einem Sessel gefuhrt hatte, lie? er sie herab. Langsam bekam Sloane sich wieder in die Gewalt, doch er sa? vorgebeugt und vergrub den Kopf in den Handen. Halb zu sich selbst, halb zu Insen gewandt, murmelte er verzweifelt: »Diese Leute wu?ten von Nicky und seinem Klavierspiel. Und woher?
Leise entgegnete Insen: »Ich wei?, Crawf. Aber du hast doch nur eine Frage beantwortet, du hast es nicht selbst zur Sprache gebracht. Wer hatte denn so etwas voraussehen...« Er brach ab, weil er wu?te, da? vernunftige Argumente in diesem Augenblick wenig Sinn hatten.
Spater sollte Insen vor anderen erklaren: »Eins mu? ich Crawf wirklich zugestehen. Er hat Mut. Nach dieser Erfahrung hatten die meisten Leute uns angefleht, die Bedingungen der Entfuhrer zu erfullen. Aber Crawf wu?te von Anfang an, da? wir das nicht durfen und konnen, und er hat keinen Augenblick geschwankt.«
Jetzt horte man ein leises Klopfen, und die Sekretarin betrat das Buro. »Der Arzt ist unterwegs«, sagte sie.
Das Ausgangsverbot wurde wieder aufgehoben, nachdem alle Leute, die sich im Gebaude aufhielten oder es eben verlassen wollten, uberpruft und die Grunde fur ihre Anwesenheit geklart waren. Wahrscheinlich war das Paket mit den Fingern viel fruher abgegeben worden, und da Restaurantboten haufig im Gebaude ein und aus gingen, hatte niemand etwas Ungewohnliches bemerkt.
Das FBI kontrollierte alle Stra?enverkaufsrestaurants in der Nahe, doch ohne Ergebnis. Und obwohl der CBA-Sicherheitsdienst den Auftrag hatte, alle Boten und Lieferanten zu uberprufen, zeigte sich nun, da? dies nur stichprobenartig und oberflachlich geschah.
Zweifel, ob es sich wirklich um Nickys Finger handelte, waren nach einer Untersuchung von Nickys Schlafzimmer durch das FBI schnell ausgeraumt. Die Fingerabdrucke, die dort gefunden wurden, pa?ten zu denen der beiden abgetrennten Finger auf Crawford Sloanes Schreibtisch.
Mitten in die dustere Stimmung bei CBA News platzte die Nachricht von einer weiteren Lieferung, die diesmal an Stonehenge gegangen war. Am fruhen Donnerstagvormittag fand ein kleines Packchen den Weg in Margot Lloyd-Masons Burosuite. Es enthielt eine Videocassette vom Sendero Luminoso.
Da das Band erwartet wurde, leitete Margot es sofort per Boten an Les Chippingham weiter. Sobald Les von dessen Eintreffen erfuhr, rief er Don Kettering und Norman Jaeger in sein Buro, wo sie sich das Band gemeinsam ansahen.
Alle drei bemerkten die hohe Qualitat der Aufnahmen, sowohl technisch wie in der Prasentation. Der Vorspann, der mit der Zeile: »Weltrevolution: der Sendero Luminoso zeigt den Weg.« begann, war uber peruanische Landschaftsbilder von atemberaubender Schonheit kopiert - die dustere Majestat von Bergen und Gletschern der Anden, der Machu Picchu in seiner beangstigenden Pracht, die Endlosigkeit des grunen Dschungels, die trockene Kustenregion und der wogende Pazifik. Jaeger war es, der die feierliche Begleitmusik der Einleitung erkannte: Beethovens Dritte Symphonie, die
»Die hatten absolute Profis fur die Produktion«, murmelte Kettering. »Ich hatte etwas Primitiveres erwartet.«
»Ist aber eigentlich nicht uberraschend«, bemerkte Chippingham. »Peru ist auch nicht hinter dem Mond, die haben junge Talente und die beste Ausrustung.«
»Und der Sendero hat das Geld, um sich beides zu kaufen«, fugte Jaeger hinzu. »Au?erdem haben sie das ganze Land unterwandert.«
Selbst die extremistischen Phrasen, die nun folgten, waren unterlegt mit bewegenden, eindrucksvollen Bildern - von Stra?enschlachten in Lima, Zusammensto?en zwischen Polizei und Demonstranten, die entsetzlichen Folgen eines Angriffs von Regierungstruppen auf ein Andendorf. »Wir sind die Welt«, erklarte ein unsichtbarer Sprecher. »Und die Welt ist bereit fur eine revolutionare Explosion.«
Gro?en Raum nahm ein Interview ein, das angeblich mit dem Grunder und Fuhrer von Sendero Luminoso, Abimael Guzman, gefuhrt wurde. Ob das wirklich stimmte, war nicht zu erkennen, da die Kamera auf den Rucken einer sitzenden Person gerichtet war. Der Sprecher erlauterte: »Unser Fuhrer hat viele Feinde, die ihn toten wollen. Sein Gesicht zu zeigen, wurde hei?en, ihnen in die Hande zu spielen.«
Guzmans Stimme begann in Spanisch:
»Spricht Guzman eigentlich kein Englisch?« fragte Kettering.
»Es ist eigenartig«, antwortete Jaeger, »aber er ist einer der wenigen gebildeten Peruaner, die es nicht sprechen.«
Was nun folgte, war voraussehbar, denn Guzman hatte es schon oft gesagt. »Die Revolution hat ihre Berechtigung in der Ausbeutung der Armen auf der ganzen Welt... Falsche Berichte werfen dem Sendero Luminoso Unmenschlichkeit vor. Doch der Sendero ist menschlicher als die Supermachte, die bereit sind, die Menschheit mit ihren Atomwaffen zu vernichten. Unsere proletarische Revolution wird diese Waffen von unserer Erde verbannen... Die Arbeiterbewegung der Vereinigten Staaten, eine bourgeoise Elite, hat die amerikanischen Arbeiter verraten und verkauft... Die Kommunisten in der Sowjetunion sind auch nichts anderes als Imperialisten. Die Sowjets haben die Revolution Lenins verraten... Cubas Castro ist ein Clown, ein imperialistischer Lakai.«
Guzmans Erklarungen waren immer sehr allgemein. Nach konkreten Aussagen suchte man in seinen Reden und Schriften vergeblich.
»Wenn wir das an Stelle unserer Abendnachrichten bringen wurden«, bemerkte Chippingham, »hatten wir
