schon jetzt das Publikum verloren, und unsere Quoten waren im Keller.«
Die halbstundige Aufnahme endete wieder mit Beethoven, hinrei?enden Landschaften und einem enthusiastischen Ausruf des Sprechers: »Lang lebe unsere Lehre, der MarxismusLeninismus-Maoismus!«
»Also gut«, sagte Chippingham am Ende, »ich werde die Cassette, wie vereinbart, in den Safe legen. Nur wir drei kennen den Inhalt. Ich wurde vorschlagen, da? wir mit keinem daruber sprechen.«
»Willst du dich noch immer an Carl Owens Vorschlag halten?« fragte Jaeger, »und behaupten, die Cassette sei beschadigt worden?«
»Aber naturlich! Haben wir denn eine Alternative? Auf jeden Fall werden wir das Band am Montagabend nicht senden.«
»Wahrscheinlich haben wir wirklich keine Alternative«, gab Jaeger zu.
»Wir mussen uns nur uber eins im klaren sein«, sagte Kettering, »die Chancen, da? man uns jetzt noch glaubt, stehen nach Theo Elliotts Bock mit dem
»Verdammt, das wei? ich auch.« Chippinghams Stimme waren der Stre? und die Belastung der vergangenen Tage anzumerken. Er sah auf die Uhr: 15 Uhr 53. »Don, um vier unterbrichst du das Programm mit einer Sondermeldung. Sag, da? wir das Band erhalten haben, da? es aber beschadigt ist und wir es nicht reparieren konnten. Dann ist es Sache vom Sendero Luminoso, uns eine Kopie zu schicken.«
»Okay!«
»In der Zwischenzeit«, fuhr Chippingham fort, »lasse ich von der PR-Abteilung eine Mitteilung an die Presseagenturen herausgeben, mit der Bitte, sie nach Peru weiterzuleiten. Und jetzt an die Arbeit.«
Die von CBA News ausgegebene Falschinformation fand schnelle und weite Verbreitung. Da es in Peru eine Stunde fruher war als in New York - das Land kannte im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten keine Sommerzeit -, erreichte die CBA-Verlautbarung Lima rechtzeitig fur die Abendnachrichten in Radio und Fernsehen und fur die Zeitungsausgaben des folgenden Tages.
Schon zuvor hatten Nachrichtensendungen uber die Entdeckung von Nicholas Sloanes abgetrennten Fingern durch seinen entsetzten Vater berichtet.
Die Fuhrer vom Sendero Luminoso in Ayacucho horten beide Berichte. Dem zweiten uber das angeblich beschadigte Band schenkten sie keinen Glauben. Was jetzt sofort notwendig war, so uberlegten sie, war eine drastische Aktion, die wirkungsvoller war als zwei abgetrennte Finger eines kleinen Jungen.
11
Spater sollte sich Jessica daran erinnern, da? sie an diesem Tag schon beim Aufwachen in der Dammerung eine dustere Vorahnung gehabt hatte. Sie hatte fast die ganze Nacht nicht geschlafen, so sehr wurde sie von Angsten gequalt, und sie verlor allmahlich jede Hoffnung auf Rettung. Wahrend der letzten drei Tage hatte sie ihre fruhere Zuversicht, irgendwann befreit zu werden, verloren, obwohl sie das vor Angus und Nicky zu verbergen suchte. Konnte man uberhaupt darauf hoffen, so uberlegte sie, in dieser versteckten Region eines fremden, weit entfernten Landes von Freunden gefunden und nach Hause gebracht zu werden? Je mehr Tage vergingen, um so zweifelhafter schien es.
Was Jessicas Zuversicht den gro?ten Sto? versetzt hatte, war die brutale Verstummelung von Nickys rechter Hand. Auch wenn sie je von hier wieder wegkamen, wurde das Leben fur Nicky nicht mehr dasselbe sein. Der kostbarste Traum seiner Jugend, der Traum von einer Pianistenkarriere, hatte ein so plotzliches, so unumsto?liches... und ein so unnotiges... Ende gefunden. Welche anderen Gefahren lagen nun noch vor ihnen? - Vielleicht der Tod?
Am Dienstag hatte Nicky die Finger verloren. Nun war Freitag. Am Tag zuvor hatten Nickys Schmerzen etwas nachgelassen, dank Socorro, die taglich die Verbande gewechselt hatte. Aber er war noch immer still und brutete dumpf vor sich hin; auf Jessicas Versuche, ihn aus seiner Verzweiflung zu rei?en, reagierte er nicht. Und immer noch gab es diese Trennung zwischen ihnen - diese eng beieinanderstehenden Bambusstangen und das Maschengitter. Seit der Nacht, als Socorro ihr erlaubt hatte, Nicky in seiner Zelle zu besuchen, war Jessica das, trotz ihres standigen Flehens, nicht mehr gestattet worden.
Die unmittelbare Zukunft sah deshalb duster aus, sie hatten kaum etwas zu erhoffen und alles zu furchten. Beim Aufwachen fiel Jessica ein Gedicht von Thomas Hood ein, das sie noch aus ihrer Kindheit kannte, aber erst jetzt richtig verstand. Das Gedicht endete:
Aber Jessica wu?te, da? dieser Wunsch, wenn sie ihn auf sich selbst ubertrug, nur egoistisch und defatistisch war. Sie durfte trotz allem nicht verzweifeln, sie mu?te der kraftige Stab bleiben, auf den Nicky und Angus sich stutzen konnten.
Kurz nach Sonnenaufgang kamen von drau?en Gerausche; Jessica horte, wie sich Schritte der Hutte naherten. Gustavo, der Anfuhrer der Wachen, offnete die Tur, ging sofort zu Angus' Zelle und schlo? sie auf.
Miguel folgte dicht hinter ihm. Mit verkniffenem Gesicht ging er auf Angus zu, in der Hand etwas, womit ihn Jessica noch nie gesehen hatte - ein automatisches Gewehr.
Was das zu bedeuten hatte, war nur zu unmi?verstandlich. Beim Anblick der wirkungsvollen, ha?lichen Waffe schlug Jessicas Herz schneller, ihr Atem kam sto?weise. O
Gustavo packte den alten Mann, zerrte ihn grob auf die Fu?e und fesselte ihm die Arme hinter dem Rucken.
»So horen Sie doch!« rief Jessica. »Was machen Sie denn da? Warum denn?«
Angus wandte ihr den Kopf zu. »Jessie, meine Liebe, sei nicht verzweifelt. Du kannst nichts tun. Diese Leute sind Barbaren, die haben keinen Anstand und keine Ehre... «
Jessica sah, da? Miguel seine Waffe so fest packte, da? seine Knochel wei? wurden. Ungeduldig befahl er:
Nicky war aufgesprungen. Auch er verstand, was das automatische Gewehr zu bedeuten hatte, und fragte: »Mom, was machen sie mit Gramps?«
»Ich wei? es nicht«, antwortete Jessica, doch sie glaubte ihren eigenen Worten nicht.
Angus richtete sich trotz der gefesselten Hande auf, streckte die Schultern und sah zu den beiden hinuber. »Wir haben nicht mehr viel Zeit. Ihr beide - bleibt stark und verliert die Hoffnung nicht! Und denkt daran, irgendwo da drau?en tut Crawford alles, was in seiner Macht steht. Hilfe ist unterwegs!«
Jessica liefen die Tranen uber das Gesicht. Mit erstickter Stimme rief sie ihm zu: »Angus, mein liebster Angus! Wir lieben dich sehr!«
»Ich liebe euch auch, Jessie... Nicky!« Gustavo stie? Angus aus der Zelle. Sie alle wu?ten, da? er in den Tod ging.
Stolpernd drehte sich Angus ein letztes Mal um und rief: »Nicky, wie war's mit einem Lied? La? uns eines versuchen.« Er hob die Stimme:
Jessica sah, da? Nicky den Mund offnete, doch seine Stimme war so tranenerstickt wie die ihre, und sie konnten beide nicht mit einstimmen.
Angus war nun bereits vor der Hutte, so da? sie ihn nicht mehr sahen. Nur seine Stimme horten sie noch, doch dann wurde auch sie schwacher.
Dann war die Stimme verklungen. Angstlich lauschten Jessica und Nicky in die Stille.
Sekunden vergingen, die sich auszudehnen schienen. Plotzlich zerri? Gewehrfeuer die Stille - vier Schusse knapp hintereinander. Wieder Stille und dann ein zweiter Feuersto?, die Schusse zu schnell, um sie zahlen zu konnen.
Drau?en am Dschungelrand stand Miguel uber der Leiche von Angus Sloane.
Die ersten vier Schusse hatten den alten Mann sofort getotet. Doch dann war Miguel die Beleidigung vom vergangenen Donnerstag eingefallen -
Sein Auftrag, den er in der Nacht zuvor aus Ayacucho erhalten hatte, war damit ausgefuhrt. Nur Gustavo hatte nun noch, mit der Hilfe von anderen, eine unangenehme Arbeit zu erledigen.
Unterdessen war bereits ein leichtes Flugzeug im Dienst des Sendero Luminoso auf dem Weg zu einer Landepiste im Dschungel, die von Nueva Esperanza auf dem Wasserweg erreicht werden konnte. Ein Boot wartete
