topographische Karte zeigte in der Nahe des Dorfes mehrere Hugel, von denen einer als Beobachtungsposten dienen konnte. Bis Nueva Esperanza waren es noch etwa neun Meilen von ihrem augenblicklichen Standort - unter diesen Bedingungen eine gewaltige Entfernung.
Partridge dachte an den versiegelten Brief, den Rita ihm von Crawford Sloane mitgebracht hatte. Crawf berichtete darin von den Signalen, die Jessica bei der Videoaufnahme hatte ubermitteln konnen. Vor allem das zweite war ihm im Gedachtnis geblieben. Jessica hatte sich am linken Ohr gekratzt, und das bedeutete:
Doch vorerst kampften sie sich weiter durch den Dschungel.
Es war schon spater Nachmittag, und alle vier waren der Erschopfung nahe, als Fernandez sie darauf aufmerksam machte, da? sie sich Nueva Esperanza naherten. »Ich glaube, wir haben jetzt ungefahr sieben Meilen zuruckgelegt«, sagte er und warnte sie dann: »Man darf uns nicht sehen. Sobald wir horen, da? sich jemand nahert, mussen wir uns im Dschungel verstecken.«
Minh Van Canh warf einen skeptischen Blick auf das dichte Dornengestrupp zu beiden Seiten und meinte: »Klingt zwar einleuchtend, aber ich hoffe, da? es nicht notig wird.«
Bald nach Fernandez' Warnung wurde der Weg breiter, andere Pfade kreuzten ihn. Fernandez erklarte, da? es hier uberall Kokafelder gebe, auf denen zu anderen Jahreszeiten hektische Aktivitat herrsche. Doch wahrend der vier- bis sechsmonatigen Wachstumsperiode brauchten die Pflanzen sehr wenig Pflege, weshalb die meisten Bauern in der Zeit anderswo lebten und nur wahrend der Erntezeit in ihre Hutten auf den Hugeln zuruckkehrten.
Mit Hilfe von Karte und Kompa? fuhrte Fernandez die anderen weiter. An der zusatzlichen Kraft, die jeder Schritt kostete, merkten sie, da? es allmahlich aufwartsging. Nach etwa einer Stunde erreichten sie eine Lichtung, an deren Ende eine Hutte zu sehen war.
Partridge hatte inzwischen gemerkt, da? Fernandez sich in der Gegend besser auskannte, als er ursprunglich zugegeben hatte. Als Partridge ihn danach fragte, raumte der Kontaktmann ein: »Ja, ich war schon mehrmals hier.«
Innerlich seufzte Partridge. War auch Pabur nur einer der unzahligen pseudo-aufrechten Leute, die heimlich vom allgegenwartigen Kokainhandel profitierten? Lateinamerika und vor allem die Karibik waren voll von solchen Heuchlern, und viele von ihnen bekleideten hohe Amter.
Als konne er Gedanken lesen, erklarte nun Fernandez: »Ich war einmal wegen einer >Hunde-und-Pony- Show< hier, die unsere Regierung fur eine Delegation Ihres Au?enministeriums veranstaltet hat. Es war hoher Besuch - ich glaube, der Generalstaatsanwalt -, und deshalb war auch ein ganzer Tro? von Presseleuten dabei. Ich war einer von ihnen.«
Trotz seiner fruheren Reaktion mu?te Partridge uber den Begriff »Hunde-und-Pony-Show« lacheln. Journalisten bezeichneten damit verachtlich Veranstaltungen fremder Regierungen - vor allem kommunistischer und anderer
Diktaturen -, mit denen sie amerikanische Delegationen beeindrucken wollten. Partridge konnte sich gut vorstellen, wie das hier abgelaufen war: Eine »Invasion« von Helikoptereinheiten, die ein paar Morgen Kokafelder verbrannten und einige Laborhutten in die Luft sprengten. Die Besucher lobten dann die effektive Drogenbekampfung des Gastgeberlandes, weil sie entweder nicht wu?ten oder einfach ignorierten, da? riesige Pflanzungen und unzahlige Labors gleich in der Nahe unberuhrt blieben. Tags darauf erschienen die Fotos der Besucher in den amerikanischen Zeitungen, begleitet von ihren lobenden Worten, und naturlich nahm auch das Fernsehen die Geschichte auf. Journalisten, die wu?ten, da? sie Teil einer Farce waren, sie aber nicht ignorieren konnten, weil auch andere daruber berichteten, schluckten hart und schamten sich insgeheim.
Und so etwas in Peru, dachte Partridge, das weder eine kommunistische noch sonst eine Diktatur war, aber bald das eine oder das andere werden konnte.
Fernandez inspizierte die Lichtung und die Hutte, konnte aber niemand entdecken. Dann fuhrte er die Truppe in ostlicher Richtung wieder in den Dschungel hinein. Doch schon nach einer kurzen Strecke hob er die Hand und forderte die anderen auf, stehenzubleiben. Er druckte ein Farnbuschel beiseite und lie? sie hindurchsehen. In etwa einer halben Meile Entfernung und gut funfzig Meter tiefer war eine Ansammlung baufalliger Gebaude zu sehen. Am Flu?ufer standen ein gutes Dutzend Hutten. Ein schlammiger Pfad fuhrte zu einem Landungssteg, an dem einige Boote festgemacht waren.
»Gut gemacht, Leute«, sagte Partridge leise und fugte erleichtert hinzu: »Ich glaube, wir haben Nueva Esperanza gefunden.«
Hatte Partridge wahrend des Marsches Fernandez die Fuhrung
uberlassen, so ubernahm er jetzt wieder das Kommando.
»Es wird bald dunkel«, sagte er. Der Marsch hatte viel langer gedauert, als sie erwartet hatten, und die Sonne naherte sich bereits dem Horizont. »Ich will vor Einbruch der Nacht noch so viel wie moglich beobachten. Minh, nimm dein Fernglas und komm mit mir nach vorne. Fernandez und Ken, ihr pa?t auf, ob von hinten jemand kommt. Wenn ihr etwas bemerkt, sagt mir sofort Bescheid.«
Partridge und Minh gingen auf den Dschungelstreifen zu, der sie vor den Blicken von unten schutzte, lie?en sich auf den Bauch fallen und robbten vorwarts, bis sie gut sehen konnten, aber noch immer vom Buschwerk verdeckt waren.
Langsam suchte Partridge mit seinem Fernglas die Szene ab.
Im Ort war kaum Aktivitat zu bemerken. Am Landungssteg arbeiteten zwei Manner am Au?enbordmotor eines Bootes. Aus einer Hutte kam eine Frau, feerte einen Kubel mit Spulwasser und ging wieder hinein. Ein Mann trat aus dem Dschungel, ging auf ein anderes Gebaude zu und verschwand darin. In einem der vielen Abfallhaufen, die uberall zwischen den Hutten verstreut lagen, wuhlten zwei durre Hunde. Nueva Esperanza sah aus wie ein Slum im Dschungel.
Partridge wandte sich nun den einzelnen Gebauden zu und beobachtete jedes mehrere Minuten lang durch sein Fernglas. Vermutlich wurden die Geiseln in einer der Hutten gefangengehalten, aber es war nicht zu erkennen, in welcher. Schon jetzt wu?te Partridge, da? sie den Ort mindestens einen ganzen Tag beobachten mu?ten und da? an eine Rettung noch in dieser Nacht und einen Ruckflug am nachsten Morgen nicht zu denken war. So richtete er sich auf eine langere Wartezeit ein und beobachtete weiter, wahrend das Licht langsam verschwand.
Wie immer in den Tropen, wurde es nach Sonnenuntergang sehr schnell dunkel. Mattes Licht kam aus den Fenstern der Hauser, der letzte Rest des Tages war verschwunden. Partridge lie? das Fernglas sinken und rieb sich die Augen, die nach mehr als einer Stunde angestrengten Beobachtens schmerzten. Er glaubte nicht, da? sie an diesem Tag noch viel Neues erfahren wurden.
In diesem Augenblick fa?te Minh ihn am Arm und deutete auf die Hutten. Partridge nahm sein Fernglas und spahte in die angegebene Richtung. In dem schwachen Restlicht war eine Bewegung zu erkennen - ein Mann, der den Weg zwischen zwei Hauserzeilen entlangging. Im Gegensatz zu den anderen Bewegungen, die sie beobachtet hatten, schien dieser Mann auf ein bestimmtes Ziel zuzugehen. Und noch etwas war anders; Partridge strengte seine Augen an, um es zu erkennen... und dann sah er es. Der Mann trug ein Gewehr uber der Schulter. Partridge und Minh folgten dem Mann mit ihren Fernglasern.
Etwas abseits von den restlichen Gebauden stand eine einzelne Hutte. Partridge hatte sie zuvor schon gesehen, doch war ihm nichts Besonderes daran aufgefallen. Der Mann hatte die Hutte erreicht und verschwand darin. Aus einer Offnung an der Vorderseite drang schwaches Licht.
Die beiden beobachteten weiter, doch einige Minuten lang passierte nichts. Dann trat eine Gestalt aus der Hutte und ging weg. Trotz der Dunkelheit waren noch zwei Dinge zu erkennen: Es war ein anderer Mann, und auch er trug eine Waffe.
War es moglich, fragte sich Partridge aufgeregt, da? sie eben einen Wachwechsel beobachtet hatten? Die Vermutung mu?te naturlich erst bestatigt werden, und das hie? weiterbeobachten. Aber es konnte durchaus sein, da? Jessica und Nicky Sloane in dieser alleinstehenden Hutte gefangengehalten wurden.
Partridge versuchte, nicht daran zu denken, da? bis vor ein oder zwei Tagen wahrscheinlich auch Angus Sloane in dieser Hutte eingesperrt gewesen war.
Die Stunden vergingen.
»Wir mussen unbedingt wissen, wieviel nachts in Nueva Esperanza los ist und wie lange, wann es still wird und die Lichter ausgehen«, erklarte Partridge den anderen. »Wir sollten uns das alles genau notieren.«
