»In Ordnung.«
Wahrend Insen den Aufzug verlie?, druckte Kettering auf den Knopf, der ihn wieder nach oben ins Sendestudio brachte.
Im ganzen Haus herrschte fieberhafter Betrieb, die Nachrichtenmaschinerie lief auf Hochtouren.
Im Redaktionssaal trommelte der fur den Nordosten zustandige Disponent eben zwei Kamerateams mit Korrespondenten zusammen. Sie erhielten den Auftrag, so schnell wie moglich nach Larchmont zu fahren und dort Bilder vom Tatort sowie Interviews mit Polizisten und Zeugen aufzunehmen. Ein Ubertragungswagen wurde in Kurze folgen.
In einem kleinen Archiv neben dem Hufeisen, einem Ableger einer gro?eren Bibliothek in einem anderen Gebaude, stellten einige Mitarbeiter hastig eine Biographie von Crawford Sloane und seiner Familie zusammen, doch uber Jessica und Nicholas war nur wenig vorhanden, da Jessica auf ihre Privatsphare gro?en Wert legte.
Das Hauptarchiv hatte dennoch eine Fotografie von Jessica aufgetrieben, die in diesem Augenblick uber Telefax hereinkam. Ein Grafiker stand vor dem Gerat und wartete ungeduldig, bis er das Bild herausnehmen konnte, um es in ein Dia umzuwandeln. Ein anderer Computer druckte inzwischen die Kriegsbiographie von Angus Sloane aus. Auch von ihm gab es ein Foto. Nur von Nicky hatte man bis jetzt noch keins gefunden.
Ein Assistent packte sich das ganze verfugbare Material und lief damit hinunter zum Sonderstudio, wo Don Kettering eben erst eingetroffen war. Gleich hinter ihm kam ein Bote von der Inlandsredaktion mit einem Ausdruck von Bert Fishers Bericht aus Larchmont, den WCBA-TV herubergeschickt hatte. Kettering setzte sich an den Sprechertisch, versuchte, sich vor der Hektik im Studio zu verschlie?en und vertiefte sich in die Lekture. Unterdessen trafen Techniker ein, Scheinwerfer wurden eingeschaltet. Jemand steckte Kettering ein Mikrofon ans Revers. Ein Kameramann stellte sein Objektiv auf Kettering ein.
Das Sonderstudio war das kleinste Studio im Haus, kaum gro?er als ein gewohnliches Wohnzimmer. Es gab nur eine einzige Kamera, doch das Studio hatte den Vorteil, in Situationen wie dieser innerhalb weniger Minuten sendebereit zu sein.
Im abgedunkelten Regieraum, in dem inzwischen Chuck Insen Platz genommen hatte, setzte sich nun eine Aufnahmeleiterin in ihren Stuhl vor der Monitorwand. Einige der Schirme zeigten bereits Bilder, andere waren noch dunkel. Ein Assistent stellte sich mit einem aufgeschlagenen Notizbuch in der Hand rechts neben die Frau. Die Techniker nahmen ihre Platze ein, Fragen und Befehle schwirrten hin und her.
»Achtung, Kamera eins. Mikrofoncheck.«
»Bill, das wird eine Livemeldung. Geh rein mit >Wir unterbrechen dieses Programm< und wieder raus mit >Und nun zuruck zum Programm.««
»Okay. Hab' verstanden.«
»Gibt es schon ein Manuskript?«
»Nein. Don soll aus dem Stegreif sprechen.«
»Fahrt die Kontrollschirme an.«
»Kamera eins, zeig uns Kettering.«
Nun flackerten immer mehr Monitore auf, und einer davon brachte ein Bild aus dem Sonderstudio. Don Ketterings Gesicht fullte den Bildschirm.
Der Assistent der Aufnahmeleiterin telefonierte mit der Regiezentrale. »Hier Nachrichten. Wir wollen das Programm fur eine Sondermeldung unterbrechen. Bitte haltet euch bereit.«
»Ist das Vorspanndia fertig?« fragte die Aufnahmeleiterin.
»Hier ist es«, kam die Antwort.
Ein weiterer Monitor leuchtete auf, gro?e rote Buchstaben waren zu sehen:
CBA NEWS
SONDERMELDUNG
»Halt es da.« Die Aufnahmeleiterin wandte sich an Insen. »Chuck, wir sind soweit. Konnen wir loslegen?«
»Das versuche ich eben herauszufinden«, antwortete der Studioleiter, einen Telefonhorer zwischen Ohr und Schulter geklemmt. Er sprach mit Les Chippingham im Redaktionssaal, wo Crawford Sloane in diesem Augenblick um einen Aufschub bat.
Es war 11 Uhr 52.
Die entsetzliche Nachricht aus der Inlandsredaktion erreichte Crawford Sloane auf dem Weg zum Redaktionssaal, wo er Genaueres uber die erste Meldung aus Larchmont in Erfahrung bringen wollte.
Bei Beginn der Durchsage horchte er auf und blieb dann entsetzt und wie betaubt stehen, denn er konnte kaum glauben, was er gehort hatte. Einen Augenblick spater ri? ihn eine Sekretarin aus seiner Trance, die ihn beim Verlassen seines Buros gesehen hatte und ihm nun hinterherlief. »Mr. Sloane!« rief sie. »Die Polizei von Larchmont ist am Apparat. Sie wollen dringend mit Ihnen sprechen.«
Er folgte dem Madchen und nahm dem Anruf in seinem Buro entgegen.
»Mr. Sloane, hier spricht Detective York. Ich bin bei Ihnen zu Hause und habe leider eine... «
»Ich hab' es eben gehort. Erzahlen Sie mir alles, was Sie wissen.«
»Es ist leider nicht sehr viel, Sir. Wir wissen, da? Ihre Frau, Ihr Sohn und Ihr Vater den Grand Union Supermarkt vor funfzig Minuten verlassen haben. Zeugenaussagen zufolge wurden sie in dem Geschaft von einem Mann angesprochen... «
Der Beamte wiederholte die ganze Geschichte bis zu der offensichtlich erzwungenen Abfahrt der drei in dem Nissan Kleinbus. Dann fugte er hinzu: »Wir haben eben erfahren, da? Sonderagenten des FBI bereits auf dem Weg hierher und auch zu Ihnen sind. Ich habe den Auftrag, Ihnen zu sagen, da? man sich Sorgen um Ihre Sicherheit macht. Sie werden Schutz erhalten, aber bis zum Eintreffen der Beamten sollten Sie das Gebaude, in dem Sie sich aufhalten, nicht verlassen.«
In Sloanes Kopf drehte sich alles, die Sorge um seine Familie fra? ihn fast auf. »Gibt es schon einen Verdacht, wer dahinterstecken konnte?« fragte er angstlich.
»Nein, Sir. Es ist alles sehr plotzlich passiert. Wir tappen noch im Dunkeln.«
»Wie viele Leute wissen bereits von dieser - von dem, was passiert ist?«
»Soweit ich wei?, nur wenige«, antwortete der Beamte und fugte hinzu: »Je langer das so bleibt, um so besser.«
»Warum?«
»Bei einer Entfuhrung, Mr. Sloane, kann Publicity sehr schadlich sein. Wir werden vielleicht schon bald von den Entfuhrern horen. Sie werden vermutlich versuchen, mit uns Kontakt aufzunehmen. Dann werden wir, oder genauer das FBI, mit ihnen die Verhandlungen beginnen. Die ganze Welt als Zuschauer konnen wir dabei nicht brauchen. Und die Entfuhrer auch nicht, weil... «
Sloane unterbrach ihn. »Detective, ich werde spater mit Ihnen reden. Im Augenblick habe ich etwas sehr Wichtiges zu erledigen.«
Sloane hatte die aufkommende Hektik am Hufeisen bemerkt, und da er wu?te, was sie bedeutete, wollte er ein vorschnelles Handeln verhindern. Er sturzte aus seinem Buro und rief: »Wo ist Les Chippingham?«
»Im Redaktionssaal«, erwiderte ein Chefproduzent. Dann fugte er mitfuhlend hinzu: »Crawf, es tut uns allen furchtbar leid, aber ich furchte, wir gehen auf Sendung.«
Sloane horte es kaum noch. Er lief zur Treppe und sprang schnell hinunter. Im Redaktionssaal sah er Chippingham im Gesprach mit einigen anderen am Tisch des Inlandschefs stehen. Les fragte eben: »Konnen wir diesem Informanten in Larchmont trauen?«
Ernie LaSalle antwortete: »WCBA sagt, er ist ein netter alter Kerl, der seit Jahren fur sie arbeitet - solide und verla?lich.«
»Dann sollten wir das bringen, was wir haben.«
Sloane sprang dazwischen. »Nein, nein, nein! Les, tu's nicht. Wir brauchen mehr Zeit. Von der Polizei habe ich eben erfahren, da? sie auf eine Kontaktaufnahme der Entfuhrer warten. Publicity konnte meiner Familie schaden.«
»Crawf, wir wissen alle, was du durchmachst«, entgegnete LaSalle. »Aber das ist eine hei?e Story, und andere haben sie auch. Die halten sie bestimmt nicht zuruck. WNBC...«
Sloane schuttelte den Kopf. »Und ich sage nein!« Er sah Les Chippingham direkt in die Augen. »Les, ich flehe dich an -verschieb es!«
