Ein peinliches Schweigen folgte. Jeder wu?te, da? Sloane unter anderen Umstanden der erste ware, der vorwarts drangte. Aber keiner hatte den Mut, ihm zu sagen:
Chippingham sah auf die Uhr im Redaktionssaal: 11 Uhr 54.
LaSalle hatte den Anruf von Insen ubernommen. »Chuck sagt, sie sind so weit«, berichtete er. »Er will wissen, ob wir jetzt das Programm unterbrechen oder nicht.«
»Sag ihm, ich bin noch bei der Entscheidung«, erwiderte Chippingham. Sollen sie bis Mittag warten, uberlegte er. Auf den Kontrollmonitoren, die von der Decke hingen, konnte er das laufende Programm aller gro?en Sender sehen. Bei CBA lief eben eine populare Seifenoper, gleich im Anschlu? folgte die Werbung. Eine Unterbrechung zu diesem Zeitpunkt ware eine teure Angelegenheit. Machten diese knappen sechs Minuten wirklich so viel aus?
In diesem Augenblick piepsten mehrere Computer im Redaktionssaal laut auf. Ein leuchtendes »B« erschien auf den Bildschirmen - das Signal fur eine dringende Pressemeldung. Jemand las die Meldung ab und rief: »AP hat die Entfuhrungsgeschichte.«
Auf dem Tisch des Inlandschefs klingelte ein weiteres Telefon. LaSalle hob ab, horte zu und sagte dann leise: »Vielen Dank fur die Mitteilung.« Er legte auf und wandte sich an Chippingham: »Das war NBC. Sie wollten uns nur anstandshalber mitteilen, da? sie die Geschichte haben und sie in der Mittagsausgabe bringen.«
Die Uhr zeigte funfzehn Sekunden vor 11 Uhr 55.
Kurz entschlossen sagte Chippingham: »Wir bringen es sofort.« Und zu LaSalle: »Sag Chuck, er soll das Programm unterbrechen.«
17
In der Zentrale von CBA News, in einem kleinen, schmucklosen Raum zwei Stockwerke unter der Erde, sa?en zwei Techniker vor einem komplexen Schaltsystem mit Tausenden farbiger Lichter und Anzeigen, mit Computerterminals und Fernsehmonitoren. Zwei Seiten des Zimmers hatten Glaswande, durch die Neugierige, falls sie zufallig die tristen Korridore entlangkamen, hineinsehen konnten. Dieser Raum war die Kontrollzentrale fur alle Abteilungen des Senders, die technische Kommandoleitstelle von CBA.
Von hier aus wurde das gesamte Programm gesteuert -Unterhaltungssendungen, Nachrichten, Sportberichte, Dokumentationen, Prasidentenansprachen und der Klatsch vom Capitol Hill, Liveberichte, Aufzeichnungen und die Werbung. Verglichen mit seiner Bedeutung als elektronisches Herz des Senders waren Lage und Aussehen des Raums erstaunlich unscheinbar.
In der Kontrollzentrale verlief jeder Tag routinegema? nach einem genau abgestimmten Plan, der die vierundzwanzigstundige Sendezeit in Minuten - manchmal sogar nur sekundenlange Einheiten unterteilte. Normalerweise wurde der Ablauf von Computern gesteuert. Die Techniker hatten lediglich Uberwachungsfunktion und griffen nur ein, wenn unerwartete Ereignisse eine Unterbrechung des regularen Programms notwendig machten.
Eine solche Unterbrechung stand nun bevor.
Wenige Augenblicke zuvor hatte sich Chuck Insen uber Direktleitung aus dem Regieraum der Nachrichtenabteilung gemeldet und angekundigt: »Wir haben eine Sondermeldung.
Unterbrecht das Programm. Wir gehen auf Sendung - und zwar sofort!«
Noch wahrend Insen sprach, erschien auf einem Bildschirm in der Kontrollzentrale das Dia »CBA SONDERMELDUNG«.
Der Techniker, der den Anruf entgegengenommen hatte, war ein erfahrener Mann und wu?te, da? die Anordnung »sofort« genau dies meinte. Ohne dieses Wort hatte er bei Sendungen, die maximal noch eineinhalb Minuten liefen, und auch einem Werbespot bis zum Ende abgewartet und erst dann das Programm unterbrochen.
Doch »sofort« bedeutete ohne Verzogerung, ohne Aufschub. Im Augenblick lief ein einminutiger Werbespot, der noch drei?ig Sekunden Sendung hatte. Der Operator legte einen Schalter um und warf damit den Spot aus dem Programm, eine einfache Handbewegung, die CBA etwa 25000 Dollar kostete. Mit einem zweiten Schalter speiste er das »SONDERMELDUNG«-Dia in die Ausstrahlung ein. Im gleichen Augenblick erschienen die leuchtendroten Buchstaben auf den Bildschirmen von uber zwolf Millionen Fernsehern.
Der Operator sah auf die Digitaluhr an seinem Steuerpult: Prazise funf Sekunden lang hielt er den Tonkanal geschlossen, um angeschlossenen Stationen, die nicht das CBA-Programm gesendet hatten, Zeit zu geben, ihr Lokalprogramm zu unterbrechen und die Sondermeldung aufzunehmen. Die meisten taten es auch.
Danach offnete er den Tonkanal, und die Stimme eines Ansagers war zu horen.
»Wir unterbrechen unser Programm fur eine Sondermeldung von CBA News. Aus New York meldet sich unser Korrespondent Don Kettering.«
Die Aufnahmeleiterin in der Nachrichtenregie rief: »Achtung, Don!«
Im ganzen Land erschien nun das Gesicht des Wirtschaftskorrespondenten von CBA auf den Fernsehschirmen.
Ohne zu lacheln und mit ernster Stimme begann Kettering. »Vor wenigen Minuten meldete die Polizei von Larchmont, New York, die mutma?liche Entfuhrung der Frau, des Sohnes und des Vaters von Crawford Sloane, dem Chefsprecher von CBA News.«
Ein Dia mit Sloanes vertrautem Gesicht wurde eingeblendet, wahrend Kettering weitersprach: »Die von Unbekannten verubte Entfuhrung ereignete sich vor etwa vierzig Minuten. Nach Aussagen der Polizei und einer Augenzeugin war ein brutaler Uberfall vorausgegangen... «
Es war inzwischen 11 Uhr 56.
CBA hatte die Konkurrenz geschlagen und die Meldung als erste gebracht.
Zweiter Teil
1
Die Sondermeldung von CBA uber die Entfuhrung von Sloanes Familie hatte unmittelbare, weitreichende Auswirkungen.
NBC News, die sich mit ihrer anstandigen, freundlichen Geste gegenuber CBA selbst um ihren moglichen Vorsprung gebracht hatten, folgten mit einer eigenen Meldung eine knappe Minute spater, also noch vor der Mittagsausgabe.
CBS, ABC und CNN, die uber die Presseberichte von AP und Reuters von der Entfuhrung erfahren hatten, waren innerhalb weniger Minuten ebenfalls auf Sendung. Fernsehstationen im ganzen Land, die an keinen der gro?en Sender angeschlossen waren, sondern eigene Nachrichtendienste besa?en, folgten.
Im kanadischen Fernsehen wurde die Sloane-Entfuhrung zum Aufmacher der Mittagsnachrichten.
Rundfunksender, die blitzschnell reagieren konnten, brachten die Geschichte haufig noch vor den Fernsehsendern.
Von Kuste zu Kuste warfen Zeitungen ihre Nachmittagsausgaben um und setzten riesige Balkenschlagzeilen auf die Titelseite. Gro?ere Zeitungen aus anderen Bundesstaaten setzten ihre New Yorker Korrespondenten auf die Geschichte an.
In Bildagenturen begann eine hektische Suche nach Fotos von Jessica, Nicholas und Angus Sloane. Von Crawford Sloane waren genug vorhanden.
Die Telefonzentrale von CBA wurde von Anrufen fur Crawford Sloane formlich uberflutet. Auf die hofliche Information, da? Mr. Sloane leider nicht zu sprechen sei, hinterlie?en die meisten Anrufer Botschaften des Mitgefuhls.
Vertreter der Presse und der anderen Medien vermieden den Umweg uber die Telefonzentrale und wahlten Direktanschlusse innerhalb von CBA News an. Einige Telefone waren deshalb standig blockiert, was eine Kommunikation nach drau?en schwierig machte. Journalisten, die durchkamen und Sloane interviewen wollten, erfuhren, da? er nicht in der Verfassung sei, mit irgend jemand zu reden, und da? au?er den bereits gesendeten keine weiteren Informationen vorlagen.
Ein Anrufer, den man dennoch mit Sloane verband, war der Prasident der Vereinigten Staaten.
»Crawf, ich habe eben diese schreckliche Nachricht gehort«, sagte der Prasident. »Ich wei?, da? Sie im
