»Glaubst du, da? du es dir nur einbildest?«
Sloane zogerte. »Nein, das glaube ich nicht.«
»Erzahl mir mehr.«
»Ich habe den Eindruck, da? ich manchmal auf dem Heimweg verfolgt wurde. Und irgendwie ist da das Gefuhl, da? mich auch hier im Haus jemand beobachtet hat - jemand, der hier nicht reingehort.«
»Und wie lange?«
»Einen Monat vielleicht?« Sloane streckte die Hande in die Luft. »Ich bin mir einfach nicht sicher, ob ich es mir nicht doch nur einbilde. Aber so oder so, welche Bedeutung hat denn das jetzt noch?«
»Ich wei? es nicht«, antwortete Partridge, »aber ich werde mit den anderen daruber reden.«
Anschlie?end tippte Partridge eine Zusammenfassung des Gesprachs mit Sloane und heftete sie an die Tafel »Vermischtes«. Dann kehrte er in sein Buro zuruck und machte sich an eine Prozedur, die unter Journalisten »Telefone strapazieren« hei?t.
Vor ihm lag geoffnet sein privates »blaues Buch« - eine Aufstellung von Leuten in der ganzen Welt, die ihm schon einmal weitergeholfen hatten und es vielleicht wieder tun konnten, und von solchen, denen er mit Informationen ausgeholfen hatte. Jeder im Nachrichtengewerbe hatte gewisse Bestande an Soll und Haben; und zu Zeiten wie diesen wurden die Habenbestande abgerufen. Hilfreich war auch, da? viele Leute sich geschmeichelt fuhlten, wenn sie von Fernsehreportern um Hilfe gebeten wurden.
Schon am Abend zuvor hatte Partridge sich all jene in seinem blauen Buch angemerkt, die er nun anrufen wollte. Dazu gehorten Kontakte im Justizministerium, im Wei?en Haus, im Au?enministerium, bei der CIA, der Einwanderungsbehorde, beim Kongre?, in einigen auslandischen Botschaften, im New Yorker Polizeiprasidium, bei der Royal Canadian Mounted Police in Ottawa und bei der mexikanischen Polizei sowie ein Autor von Sachbuchern uber Kriminalitat und ein Anwalt mit Verbindungen zum organisierten Verbrechen.
Die einzelnen Telefongesprache waren meistens sehr hoflich, unverbindlich gehalten und begannen etwa so: »Hallo, hier ist Harry Partridge. Wir haben schon eine ganze Weile nichts mehr voneinander gehort. Wollte nur mal wissen, wie es Ihnen geht.« Er erkundigte sich meist noch nach Ehefrauen, Geliebten oder Kindern, denn auch deren Namen hatte er sich notiert, und kam dann zum eigentlichen Grund seines Anrufs. »Ich arbeite gerade an dieser Sloane-Entfuhrung. Und da habe ich mich gefragt, ob Sie vielleicht irgend etwas gehort oder irgendwelche Vermutungen haben.«
Manchmal waren die Fragen auch konkreter.
Es war eine reine Routineangelegenheit, manchmal langweilig und immer sehr zeitraubend. Manchmal zeigten sich Ergebnisse, wenn auch gelegentlich verspatet, oft kam nichts dabei heraus, wie auch an diesem Tag; am interessantesten, so fand Partridge ruckblickend, war vielleicht noch das Gesprach mit dem Anwalt, der Verbindungen zum organisierten Verbrechen hatte.
Vor etwa einem Jahr hatte Partridge diesem Anwalt einen Gefallen getan, oder das glaubte zumindest der Anwalt. Die Tochter des Mannes war auf einer Studienreise nach Venezuela in eine unschone Drogengeschichte hineingeraten, die auch in den Vereinigten Staaten fur Schlagzeilen sorgte. Acht weitere Studenten waren ebenfalls in die Affare verwickelt, zwei starben. Uber eine Agentur in Caracas war CBA-News an Liveaufnahmen von den Verhaftungen herangekommen, die auch die Tochter des Anwalts zeigten. Partridge, der sich zu dieser Zeit in Argentinien aufhielt, flog nach Venezuela, um uber die Affare zu berichten.
In New York hatte der Vater inzwischen von den Aufnahmen Wind bekommen und Partridge telefonisch aufgespurt. Er flehte ihn an, Namen und Bild seiner Tochter nicht zu verwenden, weil sie die jungste der Gruppe und bisher unbescholten sei, und weil das Bekanntwerden ihrer Beteiligung ihr ganzes Leben ruinieren wurde.
Zu diesem Zeitpunkt kannte Partridge die Bilder bereits, er wu?te uber das Madchen Bescheid und hatte beschlossen, sie in seinem Bericht nicht zu erwahnen. Er hielt sich aber dennoch alle Moglichkeiten offen und versprach dem Mann nur, er werde sehen, was er tun konne.
Als sich dann spater herausstellte, da? in dem Bericht von CBA das Madchen weder erwahnt noch gezeigt wurde, schickte der Anwalt Partridge einen Scheck uber tausend Dollar. Mit einem hoflichen Begleitschreiben lie? Partridge ihn wieder zuruckgehen, und seitdem hatte er nichts mehr von dem Mann gehort.
Bei Partridges Anruf kam der Anwalt nach den Begru?ungsfloskeln gleich sehr unverblumt zur Sache: »Ich stehe in Ihrer Schuld. Und jetzt wollen Sie etwas von mir. Sagen Sie mir, worum es sich handelt.«
Partridge erklarte es ihm.
»Ich wei? nur, was das Fernsehen daruber bringt«, sagte der Anwalt. »Und ich bin mir absolut sicher, da? keiner meiner Klienten in die Sache verwickelt ist. An so etwas wagen die sich nicht heran. Aber manchmal kommen ihnen Sachen zu Ohren, von den andere nichts erfahren. Ich werde mich in den nachsten Tagen einmal diskret umhoren. Wenn ich etwas herausfinde, rufe ich Sie an.«
Partridge war sich ziemlich sicher, da? er es tun wurde.
Als er nach einer Stunde die Halfte der Namen abgehakt hatte, machte Partridge eine Pause und ging in den Konferenzraum, um sich einen Kaffee einzugie?en. Wieder in seinem Buro, tat er, was fast jeder von der Nachrichtenredaktion taglich tat - er las die
Chuck Insens laute Stimme unterbrach Partridge bei seiner Lekture.
»Ich bringe dir die Sendefolge fur heute abend«, sagte der Sendeleiter. »Wir werden die Moderation heute abend ubrigens aufteilen. Du nimmst die eine Halfte.«
»Die erste oder die zweite?«
Insen lachelte schwach. »Das wei? nur Gott im Himmel. Auf jeden Falls wirst du von heute abend an alles moderieren, was mit der Sloane-Entfuhrung zu tun hat. Und das wird auch wieder unser Aufmacher sein, au?er der Prasident wird vorher erschossen. Crawf moderiert den Rest wie gewohnt, weil wir alle verdammt noch mal keine Lust haben, uns von diesem Verbrecherpack, wer immer sie sind, vorschreiben zu lassen, wie das Leben bei CBA ablaufen soll.«
»Ich bin einverstanden«, erwiderte Partridge. »Und ich nehme an, Crawf auch.«
»Offen gesagt, der Vorschlag stammt von ihm selbst. Wie jeder Konig wird er unsicher, wenn er zu lange von seinem Thron entfernt ist. Au?erdem bringt es uns nicht weiter, wenn er unsichtbar bleibt. Ach, und noch was: Gleich nach den Meldungen wird Crawf ein paar spontane Worte des Dankes an alle jene richten, die ihm in Anrufen und Briefen ihr Mitgefuhl bekundet haben.«
»Spontan?«
»Naturlich. Im Augenblick feilen drei Texter daran.«
Partridge mu?te trotz der Umstande lacheln und fragte: »Und ihr beide habt euch fur den Augenblick arrangiert?«
Insen nickte. »Zwischen uns besteht ein unausgesprochener Waffenstillstand, bis diese Sache voruber ist.«
»Und danach?« »Wir werden sehen.«
6
Fast einen Monat vor der Entfuhrung, bereits kurz nach Miguels Ankunft in den Vereinigten Staaten, hatte er versucht, die Sarge zu kaufen, in denen die beiden Entfuhrungsopfer nach Peru transportiert werden sollten. Der Plan war schon vor seiner Ankunft ausgearbeitet worden, und Miguel nahm an, da? die Sache schnell und in aller Stille erledigt werden konnte. Doch dann mu?te er feststellen, da? es gar nicht so einfach war.
Er hatte sich an ein Bestattungsinstitut in Brooklyn gewandt, weil er seine Aktivitaten uber die Stadt verteilen und nicht nur auf Little Columbia, seine damalige Operationsbasis, konzentrieren wollte. Das Institut, das er sich ausgesucht hatte, lag in der Nahe des Prospect Park, ein elegantes, wei?es Gebaude mit der Aufschrift
Durch eine schwere Eichentur trat Miguel in eine Empfangshalle mit goldbeigem Teppichboden, riesigen Topfpflanzen und friedvollen Landschaftsansichten an den Wanden. Ein Mann mittleren Alters in schwarzem Frack
