Doch Jose Antonio und Helga machten sich keine Sorgen um die Sicherheit der Entfuhrungsopfer, sondern nur um ihre eigene. Salaverry wu?te, wenn seine Verwicklung bekannt wurde, konnte ihn nicht einmal mehr seine diplomatische Immunitat vor hochst unangenehmen Konsequenzen bewahren, darunter die Verbannung aus den Vereinten Nationen, die Ausweisung aus den Vereinigten Staaten, das Ende seiner Karriere und hochstwahrscheinlich ein Racheakt des Sendero Luminoso in Peru. Helga, die keine diplomatische Immunitat besa?, mu?te wegen Unterdruckung von Informationen und Bestechlichkeit mit einer Gefangnisstrafe rechnen.
Genau daran dachte sie, als es klingelte und ihr Liebhaber aufsprang und zu der Sprechanlage an der Wand lief, die ihn mit dem Haupteingang verband. Er druckte auf einen Knopf und fragte: »Hallo?«
Metallisch verzerrt kam die Stimme aus der Leitung: »Hier ist Plato.«
Erleichtert rief Jose Antonio Helga zu: »Er ist es.« Dann sagte er in die Sprechmuschel: »Kommen Sie doch bitte herauf.« Mit einem Knopfdruck offnete er unten die Tur.
Siebzehn Stockwerke tiefer betrat der Mann, der eben mit Salaverry gesprochen hatte, durch eine schwere Spiegelglastur das Haus. Er war von durchschnittlicher Statur und hatte ein dunkles, schmales Gesicht mit tiefen, duster blickenden Augen und glanzende schwarze Haare. Uber einem unauffalligen braunen Anzug trug er einen vorne offenen Trenchcoat. Sein Hande steckten in dunnen Handschuhen, die er trotz der Warme im Haus nicht ablegte.
Der uniformierte Portier, der ihn an der Sprechanlage gesehen hatte, winkte ihn zu einem Aufzug. Drei Personen, die in der Halle gewartet hatten, betraten mit ihm den Lift. Der Mann im Trenchcoat ignorierte sie. Er druckte den Knopf fur den achtzehnten Stock und stand dann ausdruckslos, mit starr nach vorne gerichtetem Blick in einer Ecke. Als er sein Stockwerk erreichte, hatten die anderen den Aufzug bereits verlassen.
Er folgte einem Pfeil zu der Wohnung, die er suchte, und dabei registrierte er, da? es auf diesem Stock noch drei weitere Wohnungen und auf der rechten Seite eine Nottreppe gab. Er glaubte zwar nicht, da? er diese Information brauchen wurde, aber er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, sich immer einen Fluchtweg einzupragen. An der Wohnungstur druckte er auf einen Knopf und horte von drinnen eine sanftes Lauten. Fast im gleichen Augenblick ging die Tur auf.
»Mr. Salaverry?« fragte der Mann. Er hatte eine weiche Stimme mit einem hispanischen Akzent.
»Ja, ja. Kommen Sie nur herein. Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?«
»Nein, danke. Ich bleibe nicht lange.« Der Besucher sah sich schnell um. Als er Helga entdeckte, fragte er: »Ist sie die Frau von der Bank?«
Obwohl Salaverry uber die unhofliche Art etwas verwundert war, antwortete er: »Ja. Miss Efferen. Und Ihr Name?«
»Plato genugt.« Er deutete mit dem Kopf auf den offenen Kamin. »Konnen wir dorthin gehen?«
»Naturlich.« Salaverry fiel auf, da? der Mann seine Handschuhe anbehielt. Vielleicht ist es nur ein Tick von ihm, dachte er, oder er ist verkruppelt.
Sie standen nun vor dem Kamin. Nachdem der Mann Helga kaum merklich zugenickt hatte, fragte er: »Ist sonst noch jemand in der Wohnung?«
Salaverry schuttelte den Kopf. »Wir sind alleine. Sie konnen offen reden.«
»Ich habe eine Nachricht fur Sie«, sagte der Mann und griff in den Mantel. Als er die Hand wieder herauszog, hielt sie eine Browning neun Millimeter mit Schalldampfer.
Der Alkohol in Salaverrys Blut verlangsamte seine Reaktionen, doch auch unter normalen Umstanden hatte er das, was nun geschah, nicht verhindern konnen. So stand er nur schreckensstarr da, und bevor er sich ruhren konnte, hielt der Mann ihm schon die Pistole an die Schlafe und druckte ab. Mit uberrascht und unglaubig aufgerissenem Mund starb Salaverry.
Das Einschu?loch war nur klein, ein sauberer roter Kreis. Die Austrittsoffnung aber war gro? und ausgefranst, Knochensplitter, Gehirnmasse und Blut spritzten heraus. In dem Augenblick, bevor die Leiche zu Boden fiel, sah der Mann im Mantel die Pulverspuren - eine Wirkung, die beabsichtigt war. Dann wandte er sich der Frau zu.
Auch Helga stand wie festgenagelt. Doch nun wurde aus der Uberraschung Entsetzen. Sie begann zu schreien und versuchte wegzulaufen.
Doch es war zu spat. Der Mann, ein exzellenter Schutze, jagte ihr eine Kugel durchs Herz. Sie sturzte sterbend zu Boden, und ihr Blut trankte den Teppich.
Der Killer, den Miguel bei seinem Anruf in Little Columbia angeheuert hatte, stand still da und lauschte. Der Schalldampfer auf der Browning hatte die beiden Schusse fast unhorbar gemacht, doch der Mann ging kein Risiko ein und wartete auf eine mogliche Reaktion von drau?en. Falls er Gerausche von den Nachbarn oder andere Anzeichen von Neugier bemerkt hatte, ware er sofort verschwunden. Aber alles blieb still, und so erledigte er schnell und geschickt den Rest seines Auftrags.
Zuerst schraubte er den Schalldampfer von der Pistole und steckte ihn ein. Die Pistole legte er neben Salaverrys Leiche. Dann zog er aus der anderen Manteltasche eine Spraydose und spruhte in schwarzen Buchstaben das Wort
Er kehrte zu Salaverry zuruck, lie? etwas von dem schwarzen Lack auf die rechte Hand des Toten tropfen, legte dann die schlaffen Finger um die Dose und druckte sie an, damit spater Salaverrys Fingerabdrucke auf der Dose gefunden wurden. Der Killer stellte die Dose auf einen Tisch in der Nahe, hob dann die Pistole auf und legte sie dem Toten in die Hand, wobei er wieder die Finger an den Griff druckte, um Salaverrys Abdrucke auf der Waffe zu hinterlassen. Schlie?lich plazierte er Hand und Pistole so, da? es aussah, als hatte Salaverry sich erschossen und ware dann zu Boden gefallen.
Die Frau ruhrte der Killer nicht an, sondern lie? sie so liegen, wie sie gefallen war.
Als nachstes zog der Eindringling ein gefaltetes Blatt Briefpapier aus der Tasche. Darauf standen, mit Schreibmaschine getippt, die Zeilen:
Vom Wohnzimmer ging der Killer in Salaverrys Schlafzimmer. Er zerknullte das Blatt Papier zu einem Ball und warf ihn in einen Abfallkorb. Wenn die Polizei die Wohnung durchsuchte, wurde sie das Papier mit Sicherheit finden und es wahrscheinlich als halbanonymen Brief betrachten, dessen Absender nur Salaverry kannte.
Als letztes zog nun der Mann einen Briefumschlag mit angesengten Schnipseln von Schwarzwei?fotos aus der Tasche. Er ging in das angrenzende Badezimmer und leerte den Inhalt des Umschlags in die Toilettenschussel. Die Schnipsel trieben auf der Wasseroberflache.
Die einzelnen Fetzchen war zu klein, um identifiziert werden zu konnen. Aber sie legten die Vermutung nahe, da? Salaverry, nachdem er den denunzierenden Brief erhalten hatte, die Fotos verbrannte und die Asche in der Toilette hinunterspulte, wobei einige unverbrannte Reste in der Schussel zuruckblieben. Anschlie?end, so wurde die Polizei weiter folgern, hatte er seine Geliebte, in blinder Wut uber ihre vermeintliche Untreue, erschossen.
Auch die restlichen Indizien wurden analog interpretiert werden: Salaverry selbst hatte das einzelne Wort auf die Wand gespruht, eine klagliche Botschaft, die beschrieb, wie er sich fuhlte. (Falls die Ermittlungsbeamten kein Spanisch sprachen, wurden sie bald von anderer Seite erfahren, da? das Wort »Hahnrei« bedeutete.)
Dieser in der Erregung schnell hingespruhte Abschiedsschrei hatte sogar eine gewisse kunstlerische Note. Wahrend dies nicht unbedingt etwas war, das ein Amerikaner oder ein Angelsachse tun wurde, schien es doch typisch fur einen hei?blutigen Latin Lover zu sein.
Schlie?lich die letzte Schlu?folgerung: Aus Verzweiflung und weil er die Konsequenzen seiner Tat nicht auf sich nehmen wollte, hatte Salaverry sich selbst erschossen. Die Pulverspuren an der Stirn waren typisch fur eine selbst beigebrachte Wunde.
Da in New York unaufgeklarte Morde an der Tagesordnung und samtliche Polizeieinheiten stark uberlastet waren, wurde man in ein Verbrechen, dessen Umstande und Motive so eindeutig waren, nur wenig Zeit und Muhe
