dem die Zuschauer, die nur das perfekte Endprodukt sehen, kaum Beachtung schenken.

Vom Au?eren her schien Bob Watson fur diese penible, Geduld erfordernde Arbeit denkbar ungeeignet. Er war kraftig und untersetzt und hatte kurze, dicke Finger. Obwohl er sich jeden Morgen rasierte, sah er bereits mittags aus, als trage er einen Dreitagebart. Er rauchte bestandig dicke, stinkende Zigarren, uber die sich die anderen, die mit ihm in dem winzigen Zimmer arbeiten mu?ten, beklagten. Aber er hielt ihnen entgegen: »Wenn ich nicht rauchen darf, funktioniert mein Hirn nicht so gut, und ihr kriegt eine schlechte Arbeit.« Und so ertrugen Producer wie Iris Everly wegen Watsons uberragender Fahigkeiten lieber den Rauch.

Das Schneiden der einzelnen Reportagen geschah in der Senderzentrale, in den uber die ganze Welt verteilten Redaktionen und manchmal auch direkt vor Ort, am Schauplatz des Geschehens. Die taglichen Nachrichtensendungen enthielten alle drei Arten von Berichten.

Das Handwerkszeug eines Cutters, vor dem Watson und die schone und sehr eigensinnige Iris nun sa?en, bestand im wesentlichen aus zwei komplizierten Videorecordern mit prazise funktionierenden Kontrollanzeigen und Reglern. Angeschlossen an die beiden Recorder waren eine Reihe von uber den Geraten selbst angebrachten Monitoren und Lautsprechern. Neben und hinter dem Cutter standen Regale mit Dutzenden von Cassetten, die er von den Kameramannern, aus der Videothek oder von angeschlossenen Sendern erhalten hatte.

Der Cutter mu?te nun auf das Masterband in der linken Maschine Bildsequenzen und Gerausche von einer Vielzahl anderer Bander ubertragen, die er auf der rechten Maschine immer und immer wieder ablaufen lie?. Das Ubertragen von Szenen, die selten langer als drei Sekunden dauerten, erforderte kunstlerisches und journalistisches Urteilsvermogen, eine unendliche Geduld und die Feinfuhligkeit eines Uhrmachers. Auf dem Masterband entstand so das Endprodukt, das schlie?lich gesendet wurde.

Watson stellte nun die Eroffnungssequenz zusammen, auf die man sich bereits geeinigt hatte - die brennenden Autos und das zerstorte Gebaude. Mit der Geschwindigkeit eines Briefsortierers nahm er die verschiedenen Cassetten vom Regal, schob sie in den rechten Recorder und suchte mit dem Schnellvorlauf die gewunschte Szene. Offenbar unzufrieden mit dem Gefundenen, spulte er wieder hin und her, hielt bei einer anderen Szene an und kehrte dann zur ersten zuruck. »Nein«, sagte er, »da mu? noch irgendwo eine Totale aus der anderen

Perspektive sein, die mir besser gefallt.« Er legte eine andere Cassette ein, uberflog sie kurz, nahm dann noch eine dritte und fand dort, was er suchte. »Mit dem sollten wir anfangen, und dann bringen wir die Nahaufnahme aus der ersten.«

Iris war einverstanden, und Watson kopierte Bilder und Gerausche auf das Masterband. Die beiden ersten Ergebnisse gefielen ihm nicht, er loschte sie wieder und war schlie?lich mit dem dritten zufrieden.

Etwas spater sagte Iris: »Zeig mir doch noch mal diesen Werbespot von Nissan.« Sie sahen sich das Band an, es zeigte einen neuen, makellosen Nissan Kleinbus, der in strahlendem Sonnenschein uber eine baumbestandene Landstra?e fuhr. »Idyllisch«, bemerkte Iris. »Was haltst du davon, wenn wir zuerst den bringen und dann das Wrack nach der Explosion?«

»Mu?te klappen.« Nach einigen Versuchen hatte Watson die wirkungsvollste Kombination gefunden.

»Ausgezeichnet!« flusterte Iris.

»Du bist ja selbst auch nicht gerade von gestern.« Der Cutter nahm seine Zigarre in den Mund und stie? eine dichte Rauchwolke aus.

Unter regem Gedankenaustausch ging die Arbeit voran. Das Zusammenspiel von Produzent und Cutter hatte einmal jemand als Duett bezeichnet, was haufig zweifellos zutraf.

Wahrend des Schneidevorgangs gab es unendliche Moglichkeiten der Verzerrung und der tendenziosen Farbung des Faktenmaterials. Handlungen von Personen konnten aus dem Zusammenhang gerissen werden. So konnte man zum Beispiel einen Politiker beim Anblick von Obdachlosen lachen lassen, obwohl er in Wirklichkeit geweint hatte, und das Lachen aus einer ganz anderen Bildsequenz stammte. Mit einer Technik, die man »Audioslipping« nannte, konnte man Sprache oder Gerausche so von einer Szene auf eine andere ubertragen, da? nur der Produzent und der Cutter von dem Tausch wu?ten und ihn sonst niemand bemerkte. Wenn man so etwas vorhatte, bat man den Korrespondenten, falls der anwesend war, den Schneideraum zu verlassen. Er konnte sich zwar denken, was beabsichtigt war, doch war es ihm vermutlich lieber, wenn er es nicht genau wu?te.

Offiziell sah man solche Praktiken nicht gern, doch sie kamen bei allen Sendern vor.

Iris hatte Bob Watson einmal gefragt, ob seine politischen Uberzeugungen - er war strammer Sozialist - seine Schneidearbeit beeinflu?ten. »Klar, bei Wahlen, wenn ich das Gefuhl habe, damit durchzukommen. Es ist ja nicht schwer, jemand gut, schlecht oder einfach lacherlich aussehen zu lassen. Voraussetzung ist nur, da? der Produzent mitmacht.«

»Versuch es nie bei mir«, hatte Iris erwidert, »sons t bekommst du Schwierigkeiten.«

In gespieltem Gehorsam hatte Watson die Hand an die Stirn gelegt.

Wahrend sie nun weiter an dem White Plains-Bericht arbeiteten, schlug Iris plotzlich vor: »Versuch doch diese Szene mal mit dem Fischaugen-Effekt.«

»Das ist besser - ach, dieser verdammte Trottel!« Der Kopf eines Fotografen war plotzlich im Bild aufgetaucht und hatte die Aufnahme ruiniert - ein Beispiel fur den bestandigen Kampf zwischen Pressefotografen und Kameramannern.

An einer Stelle pa?ten die Bilder auf dem Masterband nicht zum Kommentar. »Harry mu? da ein paar Worte andern«, sagte Watson.

»Das kann er spater. La? uns zuerst unser Zeug hier fertigmachen.«

Watson argerte sich, weil er einige Einstellungen auf drei Sekunden kurzen mu?te. »Im Britischen Fernsehen lassen sie ihre Einstellungen funf Sekunden laufen; so kann man besser eine Stimmung aufbauen und die Umweltgerausche effektiver einsetzen. Hast du gewu?t, da? die Briten eine langere Aufmerksamkeitsspanne haben als wir?«

»Ich hab' schon mal davon gehort.«

»Und wenn du bei uns ab und zu mal 'ne Einstellung funf Sekunden laufen la?t, wird's zwanzig Millionen Idioten langweilig, und sie schalten auf einen anderen Kanal.«

Nach einer Weile legte sie eine Kaffeepause ein, und Watson zundete sich eine neue Zigarre an. »Wie bist du eigentlich zu dem Job gekommen?« wollte Iris wissen.

Er kicherte. »Du wirst es mir nicht glauben, wenn ich's dir erzahle.«

»Wollen mal sehen.«

»Ich hab' in Miami als Hausmeister im Nachtdienst bei einem Lokalsender gearbeitet. Einer der Jungs in der Nachtschicht hat gemerkt, da? ich mich fur das Zeug interessiere, und hat mir gezeigt, wie die Schneidemaschinen funktionieren; damals wurde noch Film verwendet, keine Videobander. Von da ab hab' ich mich mit dem Putzen immer sehr beeilt. Um drei oder vier sa? ich dann regelma?ig im Schneideraum und hab' aus den Schnipseln, die die anderen weggeworfen hatten, meine eigenen Geschichten zusammengestellt. Na, und nach einer Weile konnt' ich das dann ziemlich gut.«

»Und dann?«

»Eines Nachts, ich war noch immer Hausmeister, kam's in Miami zu Rassenunruhen. Totales Chaos, ein Gro?teil des Schwarzenviertels, Liberty City, brannte. Der Sender, fur den ich arbeitete, hatte seine ganzen Leute alarmiert, aber einige blieben unterwegs stecken. Und so hatten sie keinen Cutter, brauchten aber unbedingt einen.«

»Da hast du dich angeboten«, sagte Iris.

»Zuerst wollte mir niemand glauben, da? ich das uberhaupt kann. Doch als es dann immer enger wurde, lie?en sie es mich versuchen. Mein Zeug ging sofort auf Sendung. Einiges davon ging an einen der gro?en Sender. Und der brachte es den ganzen nachsten Tag. Zehn Stunden durfte ich den Job machen. Danach hat mich der Direktor gefeuert.«

»Gefeuert?«

»Als Hausmeister. Sagte, ich wurde nur Mist bauen und sei mit den Gedanken nicht bei der Arbeit.« Watson lachte. »Und dann hat er mich als Cutter wieder eingestellt. Ich hab' dem alten Job nie eine Trane nachgeweint.«

»Eine nette Geschichte«, sagte Iris. »Falls ich je ein Buch schreibe, werde ich sie verwenden.«

Kurze Zeit spater glich Partridge, auf Watsons und Iris' Bitte, seinen Text den Bildern an, und Watson kopierte die Neuaufnahme auf das Masterband. Vor der Fassade der CBA News-Zentrale nahm Partridge au?erdem noch einen Schlu?kommentar fur die Reportage auf.

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