Seit seiner Ruckkehr aus White Plains hatte Partridge sich daruber den Kopf zerbrochen, was er sagen sollte. Bei einer normalen Reportage ware es kein Problem gewesen. Die Schwierigkeit lag darin, da? Crawford Sloane in diese Geschichte verwickelt war. Partridge wu?te, da? einige der Formulierungen, die er sich uberlegt hatte, Crawf Angst einjagen wurden. Sollte er sie deshalb abschwachen und ein wenig herumreden, oder sollte er der hartgesottene Reporter mit einem einzigen Ma?stab sein - dem der Objektivitat?
Am Ende loste sich das Problem von selbst. Wahrend das Kamerateam und einige Schaulustige bereits auf ihn warteten, schrieb er sich drau?en vor dem Gebaude in aller Eile die wichtigsten Punkte zusammen, pragte sie sich ein und improvisierte dann.
»Was
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Teddy Cooper hatte sich getauscht. Die Entfuhrer und ihre Opfer hatte die Vereinigten Staaten noch nicht verlassen. Doch wenn alles nach Plan lief, waren sie in wenigen Stunden verschwunden.
Fur die Medellin-Gruppe, die sich an diesem Samstagnachmittag noch immer in ihrem Versteck in Hackensack aufhielt, hatte der Druck einen Hohepunkt erreicht, die Nerven waren zum Zerrei?en gespannt. Der Grund fur die Sorge waren die Radio- und Fernsehberichte uber die Ereignisse in White Plains an diesem Vormittag.
Miguel war ruhelos und besorgt, er gab nur barsche Antworten auf die Fragen der anderen und fuhr die Frager einige Male bose an. Als Carlos, normalerweise der sanfteste der funf Kolumbianer, wutend bemerkte, die Sprengladung in dem Kleinbus sei
In Wirklichkeit wu?te Miguel nur zu gut, da? es ein schlimmer Fehler gewesen war, den Wagen in White Plains mit einer Sprengladung zu versehen. Denn zu der Explosion, die als Warnung gedacht war, da? sie, die Entfuhrer, es ernst meinten, hatte es erst nach ihrem Verschwinden kommen sollen.
Dieses
Miguel hatte sich darauf verlassen, da? der Kleinbus wegen der au?erlichen Veranderungen - das Abziehen der dunklen Folien und das Auswechseln der Nummernschilder - erst nach funf oder sechs Tagen oder vielleicht sogar noch spater entdeckt wurde.
Doch da hatte er sich ganz offensichtlich getauscht. Schlimmer noch, die Explosion und ihre Folgen hatten die Entfuhrung der Sloanes wieder in den Mittelpunkt des offentlichen Interesses geruckt und Polizei und Offentlichkeit in hochste Alarmbereitschaft versetzt, und das zu einem Zeitpunkt, als sie sich in aller Stille davonstehlen wollten.
Weder Miguel noch die anderen bedauerten die Toten und die Verwustung, die sie in White Plains angerichtet hatten. Unter anderen Umstanden hatte das sie sogar amusiert. Sie bedauerten nur, da? sie jetzt in gro?erer Gefahr schwebten, denn das hatte nicht passieren mussen.
Es waren immer die gleichen Fragen, die sich die Verschworer stellten: Wurden die Stra?ensperren, die Berichten zufolge seit Donnerstag bereits wieder abgebaut wurden, nun erneut errichtet? Wenn ja, wie viele waren es zwischen ihrem Unterschlupf und Teterboro Airport? Und was war mit dem Flugplatz? Waren wegen der erhohten Alarmbereitschaft die Sicherheitsma?nahmen verstarkt worden? Und auch wenn die vier mit ihren Gefangenen es schafften, Teterboro ungehindert zu verlassen, was war dann mit Opa Locka in Florida? Welche Gefahren warteten dort auf sie?
Keiner kannte die Antworten, auch Miguel nicht. Sicher wu?ten sie nur, da? sie aufbrechen mu?ten; die Maschinerie ihres Transfers war bereits in Gang gesetzt, und sie mu?ten das Risiko eingehen.
Ein weiterer, wahrscheinlich unvermeidlicher Grund fur die erhohte nervliche Belastung waren die zunehmenden Reibereien der Gruppenmitglieder untereinander. Nachdem sie uber einen Monat auf engstem Raum und praktisch ohne Kontakte nach drau?en gelebt hatten, waren aus geringfugigen personlichen Animositaten Ha?gefuhle geworden.
Besonders lastig fur alle anderen war Rafaels Gewohnheit, standig Schleim auszuhusten und ihn auszuspucken, wo er eben war, vor allem auch beim Essen. Bei einer Mahlzeit war Carlos daruber so wutend, da? er Rafael
Auch Luis und Julio waren Feinde geworden. In der Woche zuvor hatte Julio Luis vorgeworfen, er betruge beim Kartenspielen. Es folgte eine Schlagerei, die keiner gewann, doch tags darauf hatten beide geschwollene Gesichter. Seitdem hatten sie kaum ein Wort miteinander gesprochen.
Inzwischen war auch Socorro ein Grund fur Reibereien. Trotz ihrer fruheren Zuruckweisung jeder sexuellen Annaherung war sie in der letzten Nacht mit Carlos ins Bett gegangen. Ihre wilden Gerausche hatten in den anderen Mannern Neid geweckt und rasende Eifersucht in Rafael, der Socorro fur sich beanspruchte und sie an diesem Morgen auch daran erinnerte. Vor allen anderen erwiderte sie ihm wahrend des Fruhstucks: »Du mu?t schon zuerst deine abscheulichen Manieren ablegen, bevor du deinen
Miguels starkes Verlangen nach Socorro machte die Situation noch komplizierter. Er mu?te sich bestandig daran erinnern, da? er es sich als Anfuhrer der Truppe nicht leisten konnte, in den Wettstreit um Socorro mit einzutreten.
Er merkte, da? seine Fuhrerrolle auch noch andere Auswirkungen auf ihn hatte. Wenn er in den Spiegel sah, fiel ihm auf, da? er seine fruhere Unscheinbarkeit verlor. Er glich immer weniger einem unauffalligen Angestellten oder einem kleinen Filialleiter, was ja seine fruhere, naturliche Tarnung gewesen war. Alter und Verantwortung lie?en ihn als den erscheinen, der er wirklich war - ein erfahrener, starker Kommandeur.
Was soll's, dachte er nun, jeder Kommandeur macht einmal Fehler. White Plains war ganz offensichtlich einer der seinen gewesen.
So war es fur jeden aus unterschiedlichen Grunden eine gro?e Erleichterung, als der Zeitpunkt des Aufbruchs naherruckte.
Julio sollte den Leichenwagen fahren, Luis den Lastwagen mit der Aufschrift
In dem einzelnen Sarg im Leichenwagen lag die betaubte Jessica, Angus und Nicholas in den beiden anderen im Lastwagen. Carlos hatte auf jeden Sarg ein Bukett wei?er Chrysanthemen und rosa Nelken gelegt.
Auf eigenartige Weise dampfte der Anblick der Sarge und der Blumen die Stimmung der Verschworer, es schien, als waren die Rollen, die sie im Geiste immer wieder geprobt hatten und die sie nun bald spielen mu?ten, dadurch etwas leichter geworden.
Nur Baudelio, der zwischen den Sargen hin- und hereilte und noch letzte Messungen mit seinen Kontrollgeraten vornahm, war voll und ganz auf seine Arbeit konzentriert, denn er wu?te, da? wahrend der nachsten Stunden der Erfolg des ganzen Unternehmens von der Prazision seiner fruheren Schatzungen abhing. Wenn einer der Gefangenen wahrend der Fahrt und vor allem bei Kontrollen das Bewu?tsein wiedererlangte und schrie oder um sich schlug, war alles verloren.
Auch schon der leiseste Verdacht, da? an den Sargen etwas ungewohnlich sei, konnte zu einer Offnung durch die Behorden fuhren und so die ganze Aktion vereiteln - wie es 1984 auf dem Stansted Airport in Gro?britannien passiert war. Damals war ein Nigerianer, Dr. Umaru Dikko, entfuhrt worden und sollte betaubt und in einem versiegelten Sarg nach Lagos geflogen werden. Flughafenangestellte hatten einen starken »medizinischen« Geruch bemerkt, und der Britische Zoll bestand deshalb auf einer Offnung des Sarges. So wurde das bewu?tlose, aber lebende Opfer entdeckt.
Miguel und Baudelio kannten den Fall und wollten es nicht zu einer Wiederholung kommen lassen.
