graumelierter, langgedienter Pilot, der naturlich von den vielen Toten bereits wu?te, sich nun unter den Verletzten umsah, begann er in aller Offentlichkeit zu weinen. Und da Minh annahm, da? die Piloten, trotz der vielen Opfer, wegen der sicheren Landung der Maschine im Mittelpunkt des Interesses stehen wurden, filmte er das tief betroffene Gesicht des Kapitans in Gro?aufnahme. Es war Minhs letztes Bild, denn eine Stimme rief: »Harry! Minh! Ken! Schlu? jetzt. Nehmt, was ihr habt, und kommt mit mir. Wir uberspielen via Satellit nach New York.«
Die Stimme gehorte Rita Abrams, die mit einem Bus des Informationsburos eingetroffen war. In einiger Entfernung war der versprochene Ubertragungswagen zu sehen. Die Satellitenschussel des Transporters, die wahrend der Fahrt wie ein Facher zusammengeklappt werden konnte, wurde eben geoffnet und ausgerichtet.
Gehorsam senkte Minh die Kamera. Zwei weitere Fernsehteams waren mit Rita im Bus angekommen, das eine von KDLS, der CBA-Tochter, und mit ihnen eine Horde von Zeitungsreportern und Fotografen. Sie und viele andere, das wu?te Minh, wurden die Geschichte nun weiterverfolgen. Aber nur er hatte das wirklich hei?e Material, die Exklusivaufnahmen des Unglucks, und er spurte heimlichen Stolz bei dem Gedanken, da? seine Bilder an diesem und an den folgenden Tagen um die Welt gehen und so zu einem Stuck Geschichte werden wurden.
Vernon fuhr sie im Kombi des Informationsburos zum Ubertragungswagen. Unterwegs skizzierte Partridge bereits den Text, den er in wenigen Minuten sprechen wurde. »Du hast eine Minute funfundvierzig Sekunden«, sagte Rita zu ihm. »Und sobald du fertig bist, machst du die Tonspur und deine Absage fur den Schlu?. Ich uberspiele dann als Schnellschu? nach New York.«
Partridge nickte zustimmend, und Rita sah auf die Uhr: 17 Uhr 43, 18 Uhr 43 in New York. Von der Erstausgabe der Nachrichten waren gerade noch funfzehn Minuten Sendezeit ubrig. Minh gab Rita seine zwei kostbaren Cassetten und legte fur Partridges Tonspur und die Absage eine neue ein.
Vernon lie? sie direkt neben dem Ubertragungswagen aussteigen. Broderick, der ebenfalls mitgefahren war, mu?te zuruck zur Abfertigungshalle, um seinen Bericht nach New York durchzugeben. »Vielen Dank, Leute«, rief er zum Abschied. »Und verge?t nicht, wenn ihr morgen 'nen ausfuhrlichen Bericht wollt, kauft euch die
O'Hara, der High-Tech-Fan, stand beinahe ehrfurchtig vor dem mit Instrumenten vollgepackten Ubertragungswagen. »Ein Wahnsinnsding!«
Die Satellitenschussel auf dem Dach des Wagens war inzwischen zu ihren vollen funf Metern Durchmesser ausgebreitet und hochgefahren; ein Zwanzig-Kilowatt-Generator sorgte fur Strom. In der kleinen, mit Schneide- und Ubertragungsgerat vollgestopften Kontrollkabine im Inneren des Wagen richtete einer der Techniker den Sender auf einen Ku-Band Satelliten, 22300 Meilen uber ihren Kopfen, aus - auf Spacenet 2. Was sie nun sendeten, wurde vom Transponder 21 des Satelliten empfangen und von dort sofort nach New York weitergeleitet.
Rita sa? neben dem Techniker an einer Schneidemaschine und betrachtete Minhs Aufnahmen auf einem Monitor. Da? es ausgezeichnete Bilder waren, uberraschte sie nicht.
Bei normalen Einsatzen, bei denen auch ein Cutter zum Team gehorte, wahlten Cutter und Produzent gemeinsam die besten Bildsequenzen aus und legten dann die verschiedenen Komponenten uber die Tonspur mit dem Korrespondentenkommentar, so da? ein fertig redigierter und geschnittener Bericht entstand. Doch das dauerte funfundvierzig Minuten, manchmal sogar langer und war im Augenblick also unmoglich. Rita suchte deshalb schnell entschlossen die dramatischsten Szenen aus und lie? sie, so wie sie waren, vom Techniker uberspielen - »als Schnellschu?«, wie es im Fernsehjargon hei?t.
Partridge sa? auf dem Metalltreppchen vor dem Ubertragungswagen und gab seinem Text den letzten Schliff. Er sprach sich nur kurz mit Minh und dem Tontechniker ab und nahm dann seinen Kommentar auf.
Unter Berucksichtigung der Einleitung des Nachrichtensprechers, die in New York geschrieben und die wichtigsten Fakten des Unglucks bringen wurde, begann Partridge:
Wie immer, wenn ein erfahrener Korrespondent fur die Fernsehnachrichten textete, hatte auch Partridge »leicht von den Bildern weg« geschrieben. Es war eine sehr spezielle, schwer zu erlernende Kunstform, die einige Reporter nie ganz meisterten. Auch unter professionellen Schreibern erhielt dieses Talent nie die Anerkennung, die es eigentlich verdiente, weil die Texte immer nur als Begleitung zu Bildern geschrieben und selten fur sich gelesen wurden.
Der Trick, wie Harry Partridge und einige andere wu?ten, lag darin, eben nicht die Bilder zu beschreiben. Der Zuschauer sah ja auf seinem Bildschirm, was passierte, und brauchte dazu keine Erklarung. Und doch durften die gesprochenen Worte nicht so weit von den Bildern entfernt ein, da? sie das Bewu?tsein des Zuschauers sozusagen spalteten. Es war ein literarischer Balanceakt, und viel davon war Instinkt.
Und noch etwas wu?ten erfahrene Nachrichtenleute: Die besten Texte bestanden nicht aus ordentlichen, vollstandigen Satzen. Satzfragmente wirkten viel starker. Die Fakten mu?ten knapp und prazise, Verben stark und lebendig sein, der Text mu?te knistern. Und schlie?lich sollte der Korrespondent auch mit Sprechweise und Betonung Bedeutung vermitteln. Zugegeben, der oder die Betreffende mu?te ein ausgezeichneter Reporter sein, aber daruber hinaus auch Schauspieler. Partridge war all das, doch an diesem Tag gab es ein Handicap: Er hatte die Bilder nicht gesehen, wie es normalerweise der Fall war. Doch wu?te er auch so in etwa, wie sie aussehen wurden.
Partridge schlo? mit einer Absage, dem ublichen Schlu?wort eines Korrespondentenberichts. Er war dabei vor dem Hintergrund der hektischen Aktivitaten am Airbus in Gro?aufnahme zu sehen und sprach direkt in die Kamera.
Minh reichte Rita die Cassette mit dem Text in den Wagen. Da sie Partridge vertraute und ihn zu gut kannte, um wertvolle Zeit mit einer Uberprufung zu verschwenden, lie? sie den Bericht nach New York abgehen, ohne ihn sich vorher angesehen zu haben. Doch als sie dann Augenblicke spater sah und horte, was der Techniker ubermittelte, staunte sie. Das Gesprach in der Abfertigungshalle eine halbe Stunde zuvor fiel ihr ein, und sie dachte: Hier sieht man mal, warum Partridge mit seinen vielen Talenten so viel mehr verdient als ein Reporter der
Drau?en war Partridge bereits mit einer weiteren Korrespondentenaufgabe beschaftigt - mit einem Radiobericht fur CBA Radio News, den er, nach einem fluchtigen Blick auf seine Notizen, praktisch aus dem Stegreif sprach. Nach dem Ende der TV-Uberspielung wurde auch der via Satellit nach New York gehen.
3
Die Zentrale von CBA News war ein neutraler und unscheinbarer, achtstockiger Backsteinbau an der East Side von Upper Manhattan. Einst als Mobelfabrik errichtet, waren von dem fruheren Gebaude nur noch die Au?enmauern in ursprunglichem Zustand; das Innere war von einer ganzen Reihe von Mietern vielfach umgebaut und umgestaltet worden. Das Ergebnis war ein Labyrinth von Gangen, in denen sich Besucher ohne Begleitung verliefen.
Trotz seines etwas tristen Aussehens beherbergte das Gebaude einen wahren Furstenschatz an elektronischem Zaubergerat, einen Gro?teil davon im Reich der Techniker oder den »Katakomben«, wie die zwei Kellergeschosse manchmal genannt wurden. Das Herzstuck dieser Vielzahl von Abteilungen mit ihren unterschiedlichen Funktionen hatte einen sehr prosaischen Namen: der Einzollband-Raum.
Alle Berichte der CBA-Teams auf der ganzen Welt trafen, von Satelliten und manchmal auch terrestrisch ubertragen, im Einzollband-Raum ein. Und von dort gingen die fertigen Nachrichten, uber einen Sendekontrollraum und wieder uber Satellit, hinaus zu den Zuschauern.
Charakteristisch fur den Einzollband-Raum waren enormer Stre?, uberlastete Nerven, Spannungen, der Zwang zu schnellen Entscheidungen und barsche Befehle, vor allem kurz vor und wahrend der Sendezeiten der National Evening News.
In solchen Augenblicken mochte die Szene fur einen uneingeweihten Beobachter wie ein Irrenhaus, ein