gefuhlt hatte. Doch nun schlug seine Stimmung um. Wutend ballte er die Hand zur Faust, beugte sich vor und schlug ihr mit aller Kraft ins Gesicht.
Einen Augenblick spater bereute er es - aus medizinischen Grunden. Er hatte sehen wollen, wie weit die drei Gefangenen bereits das Bewu?tsein wiedererlangt hatten, und bis zu diesem Zeitpunkt war die Aufwachphase zufriedenstellend verlaufen, waren Puls und Atmung normal. Die Frau schien schon etwas weiter gewesen zu sein. Das hatte sie ja eben bewiesen, dachte er verargert.
Sie wurden naturlich alle unter gewissen Nachwirkungen zu leiden haben. Baudelio kannte das aus seiner langen Erfahrung als Narkosearzt. Eine gewisse Verwirrung, meist gefolgt von Depressionen, dazu heftige Kopfschmerzen und Ubelkeit - die Nachwirkungen einer Betaubung glichen dem Kater eines Betrunkenen. Man mu?te ihnen moglichst bald Wasser geben; er wurde sich darum kummern. Aber keine Nahrung, zumindest nicht, bis sie ihr nachstes Ziel erreicht hatten. Das Hollenlager, dachte Baudelio.
Socorro kam nun zu ihm, und er schickte sie nach Wasser. Sie nickte und ging hinaus, um etwas davon aufzutreiben. Baudelio wu?te, da? in diesem feuchten, kaum besiedelten Dschungel paradoxerweise gerade Trinkwasser ein Problem war. Es gab zwar genugend Flusse und Bache, doch die waren verseucht mit Schwefelsaure, Kerosin und anderen Nebenprodukten, die von den Drogenhandlern zur Herstellung der Kokapaste benutzt wurden. Daruber hinaus bestand immer die Gefahr einer Malaria- oder Typhusinfektion, so da? auch die verarmten Bauern Limonaden, Bier und, wenn moglich, abgekochtes Wasser tranken.
Miguel hatte rechtzeitig die Hutte betreten, um den Vorfall zwischen Jessica und Baudelio und dessen Anordnung an Socorro mitzubekommen. Jetzt rief er ihr nach: »Besorg dir etwas, womit du diesen Idioten die Hande fesseln kannst, aber vergi? nicht - hinter dem Rucken.«
Dann wandte er sich an Baudelio: »Mach die Gefangenen fertig zur Abreise. Zuerst fahren wie mit dem Lastwagen. Aber dann geht's zu Fu? weiter.«
Jessica, die ihre Bewu?tlosigkeit nur noch vortauschte, horte alles mit.
Mit dem Schlag hatte Baudelio ihr in gewisser Weise sogar einen Gefallen getan, denn der Schock hatte sie vollstandig ins Bewu?tsein zuruckgebracht. Sie wu?te wieder, wer sie war, ihr Erinnerungsvermogen kehrte zuruck. Aber der Instinkt sagte ihr, das sie das fur den Augenblick noch geheimhalten sollte.
Sie wu?te, da? sie noch vor wenigen Augenblicken panische Angst gehabt hatte, da? sie aber jetzt versuchen mu?te, sachlich zu denken.
Dann sturmten die Erinnerungen auf sie ein: Der Grand Union Supermarkt und die Geschichte von Crawfords Unfall -offensichtlich eine Luge. Dann auf dem Parkplatz der brutale Uberfall auf sie, Nicky und..
Wahrend sie weiter versuchte, nicht die Nerven zu verlieren, fiel ihr ein, da? sie Nicky kurz auf einer Art Bett festgeschnallt gesehen hatte... und Angus auch.
Das warf die Frage auf:
Was im Augenblick wichtiger war:
Wenn sie also nicht mehr in dem Raum waren, in dem sie Nicky und Angus gefesselt gesehen hatte, wie waren sie dann hierhergekommen? Hatte man sie betaubt? Bei diesen Gedanken fiel ihr etwas anderes ein: die Kompresse, die man ihr in dem Bus auf dem Parkplatz auf Mund und Nase gedruckt hatte.
Sie konnte sich nicht erinnern, was sonst noch in dem Bus passiert war; also hatte man sie wirklich betaubt, und die anderen wahrscheinlich auch. Fur wie lange? Eine halbe Stunde, schatzte sie, eine Stunde im Hochstfall. Langer konnte es nicht gewesen sein, denn die Erinnerung an den Uberfall auf dem Parkplatz war noch zu frisch.
So waren sie vermutlich noch in der Umgebung von Larchmont, und das hie?, irgendwo in New York State, New Jersey oder Connecticut. Jessica dachte auch kurz an Massachusetts und Pennsylvania, aber das konnte nicht sein. Beide Staaten war zu weit entfernt... Stimmen unterbrachen sie...
»Das Miststuck tut nur so«, sagte Miguel.
»Ich wei?«, erwiderte Baudelio. »Sie ist voll wach und glaubt, sie kann uns hinters Licht fuhren. Die hort alles, was wir reden.«
Miguel streckte den rechten Fu? aus und stie? Jessica die Schuhspitze brutal in die Rippen. »Steh auf, du Miststuck! Wir mussen los.«
Jessica zuckte vor Schmerz zusammen, und da ihr die Verstellung nun offensichtlich nichts mehr nutzte, hob sie den Kopf und offnete die Augen. Sie kannte die beiden Manner, die auf sie heruntersahen - dem einen hatte sie das Gesicht zerschnitten und den anderen kurz im Bus gesehen. Ihr Mund war trocken und ihre Stimme heiser, aber es gelang ihr zu krachzen: »Das wird Ihnen noch leid tun. Man wird Sie fassen und bestrafen.«
»Schweig!« Miguel hatte wieder den Fu? gehoben, diesmal trat er sie in den Bauch. »Von jetzt ab sprichst du nur, wenn man dich etwas fragt.«
Sie horte, wie Nicky neben ihr sich ruhrte. »Was ist passiert? Wo sind wir?« fragte er. Sie spurte die gleiche Panik in seiner Stimme, die sie selbst erlebt hatte.
Angus war es, der leise antwortete: »Sieht so aus, mein Junge, als hatten uns einige ziemlich gemeine Leute entfuhrt. Aber bleib ganz ruhig! Sei stark! Dein Dad wird uns schon finden.«
Jessica, die sich nach dem brutalen Tritt noch immer vor Schmerzen krummte, spurte plotzlich eine Hand auf ihrem Arm und horte Nicky zartlich fragen: »Mom, bist du in Ordnung?«
Tranen traten ihr in die Augen, als sie merkte, da? Nicky sich um sie Sorgen machte. Sie drehte den Kopf und versuchte, bestatigend zu nicken, mu?te aber zusehen, wie auch Nicky brutal getreten wurde. Warum das alles? dachte sie voller Entsetzen.
»Das Redeverbot gilt auch fur dich, du kleiner Trottel!« schrie Miguel. »Vergi? das nicht!«
»Oh nein, der wird das nicht vergessen«, sagte Angus, dessen Stimme trocken und sprode klang, der es aber trotzdem schaffte, Verachtung mitschwingen zu lassen. »Wer wird denn ein Stuck menschlichen Abschaums vergessen, das gerade Mut genug hat, um eine hilflose Frau und einen kleinen Jungen zu treten?« Der alte Mann versuchte aufzustehen.
»Angus, nicht!« flusterte Jessica. Sie wu?te, da? kuhne Worte ihre Lage nur verschlimmern wurden.
Unter Schwierigkeiten fand Angus sein Gleichgewicht und kam auf die Fu?e. Miguel sah sich unterdessen um und hob einen Ast vom Boden auf. Er ging zu Angus und schlug ihm mit aller Kraft auf Kopf und Schultern. Der alte Mann fiel auf den Rucken und stohnte vor Schmerzen. Das eine Auge, wo das Holz ihn getroffen hatte, war geschlossen.
»Ich hoffe, das ist eine Lektion fur euch alle«, bellte Miguel. »Haltet endlich das Maul!« Dann wandte er sich an Baudelio. »Mach sie endlich fertig zum Aufbruch.«
Socorro war mit einem Wasserkrug in einer Korbhulle und einem Stuck groben Seils zuruckgekehrt.
»Wir sollten ihnen zuerst Wasser geben«, sagte Baudelio und fugte dann leicht gereizt hinzu: »Das hei?t, wenn du sie am Leben halten willst.«
»Zuerst werden sie gefesselt«, befahl Miguel. »Ich will jetzt keine Schwierigkeiten mehr.«
Dann verlie? er mit finsterer Miene die Hutte. Drau?en, unter der immer hoher steigenden Sonne, war die Hitze bereits unertraglich geworden.
Jessica wurde immer verwirrter, was ihren Aufenthaltsort betraf.
Vor wenigen Minuten hatte man sie, Nicky und Angus aus einer, wie Jessica nun sah, grob zusammengezimmerten Hutte gezerrt, und jetzt sa?en sie auf der Ladeflache eines verdreckten Lastwagens zwischen Kisten, Schachteln und Sacken. Nachdem man sie mit auf dem Rucken gefesselten Handen aus der Hutte gefuhrt hatte, schoben und zerrten sie verschiedene Hande unsanft uber die Bordkante des Transporters. Dann
