sprang ein halbes Dutzend bunt gekleideter Manner, die bis auf ihre Waffen hatten Landarbeiter sein konnen, ebenfalls auf den Wagen, gefolgt von dem Mann, den Jessica wegen seiner Schnittwunde insgeheim »Narbengesicht« nannte, und dem anderen, den Jessica noch aus dem Kleinbus kannte. Danach wurde die Ladeklappe hochgezogen und befestigt.

Jessica hatte die ganze Zeit versucht, sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren und sich alles einzupragen, aber da war nichts. Es gab keine anderen Gebaude, nur dichten Wald, und den Lehmpfad, der zur Hutte fuhrte, konnte man kaum eine Stra?e nennen. Sie versuchte, das Nummernschild des Lastwagens zu sehen, aber wenn der uberhaupt eins hatte, dann war es von der heruntergelassenen Ladeklappe verdeckt.

Korperlich fuhlte Jessica sich besser, weil sie Wasser getrunken hatte. Kurz vor Verlassen der Hutte hatten auch Nicky und Angus Wasser bekommen, von einer Frau mit murrischem Gesicht, die Jessica ebenfalls schon einmal gesehen hatte, und zwar, wie sie sich nun erinnerte, wahrend ihres ersten Kampfes mit Narbengesicht.

Jessica hatte versucht, ihr gegenuber einen weichen Ton zu finden, und ihr, wahrend sie von ihr aus einer zerbeulten Blechtasse Wasser erhielt, zugeflustert: »Vielen Dank fur das Wasser. Bitte! - Konnen Sie mir sagen, wo wir sind und warum?«

Die Reaktion der Frau war grob und unerwartet. Sie stellte die Tasse weg und schlug Jessica zweimal so fest ins Gesicht, da? sie jedesmal zur Seite taumelte. »Du hast den Befehl doch gehort!« zischte die Frau. »Silencio! Wenn du noch einmal den Mund aufmachst, gibt's den ganzen Tag kein Wasser mehr.«

Danach schwieg Jessica. Und Nicky und Angus ebenfalls.

Die Frau sa? nun im Fuhrerhaus des Lastwagen neben dem Fahrer, der eben den Motor angelassen hatte. Der Mann, der Jessica und Nicky getreten und Angus geschlagen hatte, sa? ebenfalls vorn. Jessica hatte gehort, da? die anderen ihn Miguel nannten; er war offensichtlich der Anfuhrer. Der Lastwagen fuhr an und holperte uber den unebenen Pfad.

Die Hitze auf dem Lastwagen war noch schlimmer als in der Hutte. Allen lief der Schwei? uber das Gesicht. Wo sind wir nur? Jessicas anfangliche Vermutung, da? sie sich noch irgendwo in der Gegend um New York State aufhielten, wurde von Minute zu Minute unwahrscheinlicher. Sie kannte keinen Ort, an dem es zu dieser Jahreszeit so hei? war. Au?er...

War es moglich, fragte sich Jessica, da? sie und die anderen viel langer bewu?tlos gewesen waren, als sie ursprunglich angenommen hatte? Und falls das so war, hatte man sie dann vielleicht irgendwohin weiter weggebracht, weiter in den Suden, vielleicht nach Georgia oder Arkansas? Je langer sie uber die Landschaft nachdachte, in der sie sich befanden, desto mehr fuhlte sie sich an die abgelegeneren Regionen dieser Staaten erinnert, zumal es dort auch hei? war. Der Gedanke machte sie traurig, denn so gab es nur wenig Hoffnung auf eine baldige Rettung.

Weiter auf der Suche nach Hinweisen, begann sie nun, dem Gesprach der bewaffneten Manner zuzuhoren. Sie erkannte die Sprache, es war Spanisch, und obgleich sie es selber nicht sprach, verstand sie doch einige Worte.

...»Maldito camion! Me hace dano en la espalda.«... »Porque no te acuestas encima de la mujer? Elle es una buena almohada.«... Heiseres Lachen.... »No, esperare hasta que termine el viaje. Entonces, ella debe tener cuidado!«... »Los Sinchis, esos cabrones, torturaron a mi hermano antes de matarlo.«... »El rio no puede llegar tan pronto como yo desearia que llegara. La Selva ve y oye todo.«...

Jessica nahm an, da? es sich um Immigranten handelte; es stromten ja genug Hispanos in die Vereinigten Staaten. Dann fiel ihr der Mann ein, der sie im Supermarkt in Larchmont angesprochen hatte. Sein Englisch hatte einen spanischen Akzent gehabt. Gab es da eine Verbindung? Sie konnte sich nicht vorstellen, welche.

Doch der Gedanke an Larchmont erinnerte sie an Crawf. Welche Qualen er durchzustehen hatte! Ihr fiel der Satz ein, mit dem Angus in der Hutte Nicky getrostet hatte. »Dein Dad wird uns schon finden.« Crawf setzte inzwischen mit Sicherheit Himmel und Erde in Bewegung, um sie aufzuspuren. Er hatte viel Einflu? und ebensoviele einflu?reiche Freunde, die ihm helfen konnten. Aber hatten sie uberhaupt eine Vorstellung davon, wo sie suchen mu?ten? Jessica mu?te irgendwie herausfinden, wo sie waren, und sich dann uberlegen, wie sie es Crawf wissen lassen konnte.

Angus hatte au?erdem zu Nicky gesagt, da? sie entfuhrt worden seien. Daran hatte Jessica zuvor noch gar nicht gedacht - wann denn auch! -, aber nun ging sie davon aus, da? Angus recht hatte. Doch warum entfuhrt? Wegen Geld? War das nicht der ubliche Grund? Sicher, die Sloanes hatten Geld, aber nicht im Uberflu?, nicht so viel wie die »Bonzen aus Industrie und Wall Street«, von denen Crawf manchmal sprach.

Eigentlich war es unglaublich, dachte Jessica, da? Crawf erst am Abend zuvor - falls ihr Zeitgefuhl sie nicht tauschte - von der Gefahr gesprochen hatte, selbst entfuhrt zu werden...

Der Anblick Nickys lenkte sie von ihren Gedanken ab. Seit Beginn der Fahrt hatte Nicky Schwierigkeiten, sich aufrecht zu halten, weil er sich mit den gefesselten Handen nicht abstutzen konnte, und nun lag er flach auf der Seite, so da? sein Kopf bei jeder Unebenheit auf dem Boden aufschlug.

Jessica, die ihm verzweifelt helfen wollte, aber nicht konnte, wollte schon das Schweigen brechen und Narbengesicht um Hilfe bitten, als sie sah, da? einer der Bewaffneten auf Nickys Notlage aufmerksam wurde und sich auf ihn zubewegte. Der Mann hob Nicky auf und lehnte ihn so gegen einen Sack, da? er sich mit den Fu?en an einer Kiste abstutzen und nicht mehr wegrutschen konnte. Jessica versuchte, dem Mann mit den Augen und einem schwachen Lacheln zu danken. Als Antwort nickte er kaum merklich. Es war nur ein schwacher Trost, dachte sie, aber wenigstens gab es unter diesen brutalen Leuten jemanden, der ein Herz hatte.

Der Mann sa? jetzt neben Nicky. Er flusterte etwas, das Nicky, der in der Schule seit kurzem Spanisch lernte, zu verstehen schien. Im Verlauf der Reise kam es noch zu zwei weiteren Wortwechseln zwischen dem Mann und dem Jungen.

Nach etwa zwanzig Minuten blieb der Lastwagen an einer Stelle, wo der Pfad im dichten Gebusch verschwand, stehen. Mit vereinten Kraften hoben und schoben die Manner Jessica, Nicky und Angus vom Lastwagen. Als sie standen, kam Miguel aus der Fahrerkabine und verkundete knapp: »Von hier aus gehen wir zu Fu? weiter.«

Gustavo und die anderen Bewaffneten fuhrten sie durch dichtes Buschwerk uber einen unebenen, kaum erkennbaren Pfad. Von beiden Seiten bedrangten sie Aste und Blatter, und obwohl die Baumkronen uber ihnen etwas Schatten gaben, war die Hitze ebenso unertraglich wie das unablassige Summen der Insekten.

Manchmal waren die drei Gefangenen eng beieinander. Bei einer Gelegenheit flusterte Nicky Jessica zu: »Der Weg fuhrt zu einem Flu?, Mom. Von dort fahren wir mit dem Boot weiter.«

»Hat der Mann dir das erzahlt?« fragte Jessica ebenso leise.

»Ja.«

Wenig spater horte Jessica Angus murmeln: »Ich bin stolz auf dich, Nicky. Du bist sehr tapfer.«

Es war das erste Mal, da? Jessica seit Verlassen der Hutte Angus' Stimme horte. Sie war froh, da? der alte Mann sich so gut hielt, aber sie furchtete die Nachwirkungen dieses entsetzlichen Erlebnisse auf ihn und auch auf Nicky. Jessica hoffte noch immer auf Rettung. - Wie standen ihre Chancen? Wann und in welcher Form wurde Hilfe eintreffen?

Nicky wartete den richtigen Augenblick ab und antwortete dann seinem Gro?vater leise: »Ich mache es so, wie du es mir gesagt hast. Da? man namlich nicht den Kopf verlieren darf, wenn man Angst hat.«

Jessica erinnerte sich plotzlich geruhrt an die Unterhaltung am Fruhstuckstisch, als sie alle vier, Crawf eingeschlossen, uber dem Bombenangriff auf diese Stadt in Deutschland -Schweinfurt? - sprachen. Nicky hatte eben fast wortlich wiederholt, was Angus ihm damals erzahlt hatte. Und wie lange war dieses Fruhstuck her?... Heute, gestern, vorgestern?... Wieder mu?te sie erkennen, da? sie ihr Zeitgefuhl verloren hatte.

Etwas spater fragte Nicky: »Gramps, wie geht's dir?«

»Es steckt schon noch Leben in dieser alten Haut.« Ein Pause und dann die geflusterte Frage: »Jessica, was ist mir dir?«

Bei der nachsten Gelegenheit sagte sie: »Ich habe versucht zu erraten, wo wir sind. Georgia? Arkansas? Wo nur?«

Nicky war es, der mit einer Antwort dienen konnte. »Sie haben uns aus Amerika herausgebracht, Mom. Das wei? ich von dem Mann. Wir sind in Peru.«

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