Es war eine allgemein bekannte Tatsache, da? fur Nachrichtensender in vielfacher Hinsicht gewisserma?en eigene Gesetze galten. Zum einen wollte sich keine Regierungsbehorde juristisch mit ihnen anlegen. Zum anderen stand der Journalismus der freien Welt fur Wahrheit, Freiheit und Integritat. Naturlich wurde man diesen Ma?staben nicht immer gerecht, weil Journalisten eben auch nur Menschen waren. Wenn man aber als unbelehrbarer Gegner dieses freien Journalismus auftrat, lief man Gefahr, nicht der »sauberen«, sondern der »schmutzigen« Seite zugerechnet zu werden.

Wahrend Harry Partridge uber diese Grundlagen seines Berufs nachdachte, baute Minh Van Canh seine Ausrustung fur das Interview auf, das Don Kettering mit Alberto Godoy fuhren wurde.

Partridge hatte vorgeschlagen, da? Kettering das Interview ubernehmen solle, nicht zuletzt deshalb, weil der Wirtschaftskorrespondent ganz offensichtlich auch weiterhin an den Ermittlungen beteiligt sein wollte. Schlie?lich lag dieses Thema der ganzen Nachrichtenabteilung sehr am Herzen. Au?erdem hatte Partridge fur sich selbst bereits andere Plane.

Er hatte beschlossen, sobald wie moglich nach Bogota zu fliegen. Obwohl er die Meinung seines kolumbianischen Kollegen teilte, da? Ulises Rodriguez nicht im Land sei, hielt er nun die Zeit fur gekommen, um die Suche in Lateinamerika zu beginnen, und dazu war Kolumbien der geeignete Ausgangspunkt.

Minh Van Canh meldete, da? er bereit sei.

Als man ihn wenige Minuten zuvor hereinrief, hatte er sich in dem Bestattungsinstitut umgesehen und beschlossen, das Interview im Keller, wo die Sarge aufbewahrt wurden, zu filmen. Wegen der speziellen Beleuchtung war zwar von dem Raum selbst nicht viel zu sehen; nur die Wand, vor der Godoy sa?, war angestrahlt, der Interviewte selbst sa? im Schatten. Aber neben Godoys Silhouette war der Umri? eines Sargs zu erkennen, und das schuf einen makabren Effekt. Die Stimme des Leichenbestatters wurde erst spater in der Zentrale von CBA News verfremdet.

Da Minh keinen Tontechniker zur Unterstutzung hatte, benutzte er eine Ein-Mann-Ausrustung, eine Betacam mit Halbzollband, die Bild und Ton gleichzeitig aufnahm. Er hatte auch einen kleinen Kontrollmonitor mitgebracht und stellte ihn so, da? Godoy von seinem Stuhl aus genau das sehen konnte, was die Kamera sah. In solch speziellen Situationen wurde dieser Kunstgriff haufig angewendet, um den Interviewpartner entspannter zu machen.

Doch Godoy war nicht nur entspannt, sondern auch amusiert. »Heh«, sagte er zu Kettering, der etwas abseits, au?erhalb des Blickfeldes der Kamera sa?, »ihr seid ja echt raffiniert.«

Kettering, der seine eigenen Vorstellungen uber den Verlauf dieses Interviews hatte, sah von seinen fluchtig zusammengeschriebenen Notizen hoch und lachelte ihn dunn an. Auf ein Nicken von Minh schwieg er zunachst einige Sekunden, um Platz zu lassen fur eine Einfuhrung, die erst spater aufgenommen wurde, und begann dann.

»Als Sie diesen Mann, von dem Sie jetzt wissen, da? es sich um den Terroristen Ulises Rodriguez handelte, zum ersten Mal sahen, welchen Eindruck hatten Sie da?«

»Eigentlich keinen besonderen. Der Mann wirkte auf mich ganz gewohnlich.« Godoy hatte die Absicht, trotz seiner Tarnung nichts von seinem anfanglichen Verdacht preiszugeben.

»Sie waren also in keiner Weise beunruhigt, als der Mann zuerst zwei und spater dann noch einen Sarg bei Ihnen kaufte?«

Die Silhouette zuckte mit den Achseln. »Warum sollte ich? Das ist schlie?lich mein Geschaft.«

»Sie sagen: >Warum sollte ich?<« Indem Kettering Godoys Worte wiederholte, brachte er seine Skepsis zum Ausdruck. »Aber ist denn diese Art von Verkauf nicht sehr ungewohnlich?«

»Vielleicht... Irgendwie schon.«

»Als Leichenbestatter verkaufen Sie doch gewohnlich sogenannte Leistungspakete - also komplette Bestattungen?«

»Ja. Meistens schon.«

»Und wahrscheinlich haben Sie doch vor diesem Geschaft mit dem Terroristen Rodriguez noch kein einziges Mal Sarge auf diese Art verkauft, oder?«

»Ich glaube nicht«, murmelte Godoy. Das Interview lief ganz und gar nicht so, wie er es erwartet hatte. Er warf Kettering, der im Halbdunkel sa?, einen wutenden Blick zu, doch der drangte weiter.

»Mit anderen Worten, es war das erste Mal.«

Der Leichenbestatter hob die Stimme. »Ich dachte mir, es geht mich nichts an, wozu er die braucht.«

»Dachten Sie denn nie daran, zur Polizei zu gehen und den Beamten zu sagen: >Horen Sie, man ist da mit einer sehr eigenartigen Bitte an mich herangetreten, etwas, das noch niemand von mir verlangt hat, und ich frage mich, ob Sie vielleicht diese Person uberprufen wollen.< Haben Sie sich das nicht uberlegt?«

»Nein. Es gab ja keinen Grund dazu.«

»Weil Sie keinen Verdacht hatten?«

»Genau.« Kettering bohrte nach. »Wenn Sie also keinen Verdacht hatten, warum haben Sie sich dann bei Rodriguez' zweitem Besuch heimlich die Nummer des Leichenwagens, mit dem der Sarg abtransportiert wurde, aufgeschrieben und den Zettel bis heute versteckt?«

Nun brullte Godoy wutend auf. »Horen Sie mal! Nur weil ich Ihnen etwas Vertrauliches erzahlt habe, hei?t das noch nicht... «

»Verzeihung, Herr Leichenbestatter! Sie haben mit keinem Wort erwahnt, da? das vertraulich ist.«

»Wollte ich aber.«

»Das ist etwas anderes. Und ubrigens, Sie haben auch nicht gesagt, da? es vertraulich sei, als Sie uns vor diesem Interview erzahlten, Sie hatten fur diese drei Sarge fast zehntausend Dollar verlangt. Ist das nicht etwas viel fur die Art von Sargen, wie Sie sie beschrieben haben?«

»Der Kerl, der sie gekauft hat, hat sich nicht beklagt. Also warum, Sie?«

»Vielleicht hatte er seine Grunde dafur.« Ketterings Stimme wurde eisig und anklagend. »Sie haben diesen ubertrieben hohen Preis doch nur verlangt, weil Sie wu?ten, da? der Mann ihn zahlen wurde, weil Sie die ganze Zeit wu?ten, da? an der Sache etwas verdachtig war, und weil Sie so einen Vorteil aus der Situation schlagen und etwas Geld nebenbei verdienen konnten... «

»Moment mal! Ich werde mir diesen Unsinn nicht langer mit anhoren. Vergessen Sie die Sache! Ich steige aus.« Wutend stand Godoy auf und verlie? seinen Platz, wobei er mit den Fu?en ein Mikrofonkabel aus der Buchse zog. Er naherte sich der Kamera, und Minh, der aus einem Reflex heraus mitschwang, fing sein Gesicht frontal und in voller Beleuchtung ein. Godoy hatte damit seine Tarnung selbst durchbrochen. Spater wurde es Diskussionen geben, ob man diese Bilder bringen sollte oder nicht.

»Mistkerl!« schrie Godoy Kettering an.

»Ich mag Sie auch nicht«, erwiderte der Wirtschaftskorrespondent.

»Horen Sie«, sagte Godoy zu Partridge. »Aus der Abmachung wird nichts.« Er wies auf die Kamera. »Und das werden Sie nicht verwenden. Verstanden?«

»Ich verstehe Sie schon«, erwiderte Partridge. »Aber ich kann Ihnen nicht garantieren, da? wir es nicht verwenden. Das ist Sache des Senders.«

»Verschwinden Sie von hier!« Mit wutender Miene sah Godoy zu, wie die Ausrustung abgebaut wurde und das Team von CBA News sein Institut verlie?.

Wahrend der Ruckfahrt von Queens verkundete Kettering: »Ich mochte aussteigen, sobald wir in Manhattan sind. Ich will mich sofort um diese markierten Geldscheine kummern, und an der Lex kenne ich ein Maklerburo, wo ich telefonieren kann.«

»Kann ich vielleicht mitkommen?« fragte Jonathan Mony. »Ich mochte gern sehen, was sich aus unseren Entdeckungen entwickelt.«

»Von mir aus gern«, antwortete Kettering. »Wenn Harry einverstanden ist, zeige ich Ihnen, was praxisbezogener Journalismus hei?t.«

Partridge stimmte zu, und man trennte sich nach der Queensboro Bridge. Wahrend der Jeep Wagoneer zur CBA News-Zentrale weiterfuhr, nahmen Kettering und Mony ein Taxi zum Buro eines Borsenmaklers in einer Nebenstra?e der Lexington Avenue in der Nahe des Summit Hotels.

Sie betraten einen gro?en Raum, in dem etwa zwei Dutzend Leute, einige sitzend, die anderen stehend, auf einen von der Decke hangenden Monitor mit schnell wechselnden Borsennotierungen sahen. Der dunkelgrune Teppichboden bildete einen angenehmen Kontrast zu den hellgrunen Wanden, bequeme, mit grunem und orangefarbenem Tweed bezogene Sessel waren in Reihen auf dem Boden befestigt. Einige der Borsenbeobachter

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