„Und wenn Runei seinerseits mit einem Uberfall antwortet?“
„Er hat es nicht getan.“
„Noch nicht. Ein Beweis fur Merseias versohnliche Haltung, nicht wahr? Mag sein, da? meine Anwesenheit Runei beeinflu?t hat, aber ich will Ihnen etwas sagen, Abrams: Wenn diese sinnlosen Scharmutzel weitergehen, wird eines Tages — und zwar bald — eine wirkliche Eskalation einsetzen. Dann wird es sehr schwer sein, die Intensitat der Kriegfuhrung zu kontrollieren. Gestern ware der richtige Augenblick gewesen, um den Unfug einzustellen.“
„Mir scheint, da? Merseia die Eskalation ein ganzes Stuck vorangetrieben hat, als es seine Operationen bis in unsere Nachbarschaft ausdehnte.“
„Die Meeresbewohner haben das getan. Sie hatten ohne Zweifel die Hilfe der Merseier, obwohl sich das nicht nachweisen la?t, aber es ist ihr Krieg und der des Landvolks.“
Abrams zerbi? seine erkaltete Zigarre. „Seevolk und Landvolk sind in Tausende von Gemeinwesen und mehrere eigenstandige Zivilisationen aufgesplittert. Viele hatten noch nie voneinander gehort. Die Bewohner der Zletovarsee waren bisher ein gelegentliches Argernis fur die Leute von Kursoviki, weiter nichts. Wer hat sie auf die Idee gebracht, sich mit anderen zu verbunden und einen regelrechten Krieg zu fuhren? Wer verwandelt eine bislang stabile Situation allmahlich in einen weltweiten Rassenkrieg? Merseia!“
„Sie ubernehmen sich, Oberst“, sagte Major Abd-es-Salam. Die Begleiter des Grafen quittierten Abrams' Unbeherrschtheit mit mi?billigenden Blicken.
„Nein, nein.“ Hauksberg winkte lachelnd ab. „Ich schatze Offenheit. Wie soll ich den Dingen auf den Grund gehen, wenn ich nicht die Meinungen anderer anhore?“ Er winkte einen Kellner heran. „Sagen Sie, Abrams, was tut Merseia in den lokalen Gewassern?“
Abrams zuckte mit der Schulter. „Wir wissen es nicht. Die Schiffe von Kursoviki meiden das Gebiet naturlich. Wir konnten Taucher aussenden, aber das erschien uns als zu riskant. Betrachtet man die Sache aus diesem Gesichtswinkel, so hat Fahnrich Flandry nicht nur ein Abenteuer erlebt. Es ist ihm gelungen, den Respekt und vielleicht sogar die Freundschaft der Schiffsbesatzung zu gewinnen, was sehr nutzlich fur uns ist. Er hat neue Informationen uber sie mitgebracht und einen lebenden Seetroll als Gefangenen abgeliefert.“
Hauksberg zundete sich eine schwarze Zigarre an. „Das ist ungewohnlich, wie?“
„Ja, das kann man sagen, einmal aus Grunden, die mit der naturlichen Lebensweise dieser Wesen zusammenhangen, zum anderen, weil die Getigerten normalerweise alle Gefangenen aufessen.“
Persis d'Io schnitt ein angeekeltes Gesicht. „Sagten Sie, da? Sie diese Leute mogen?“ schalt sie Flandry.
„Fur einen zivilisierten Menschen ist es schwer zu verstehen“, sagte Abrams gedehnt. „Wir ziehen nukleare Waffen vor, die ganze Planeten auf einmal rosten.“
Hauksberg winkte ab. „Da haben Sie naturlich recht, und ich fur meine Person wurde den Kannibalismus vorziehen. Ihren Andeutungen entnehme ich, da? die Kontakte zu den Einwohnern dieser Insel zu wunschen ubriglassen? Ist das so?“
„Ja, leider“, sagte Hauptmann Menotti. „Zwar nimmt die Schwesternschaft unsere Waren und manchmal auch unseren Rat an, aber im allgemeinen herrscht eine Art mi?trauischer Wachsamkeit vor. Verstandlicherweise, denn wir sind ihnen fremd, und ihre unterseeischen Nachbarn waren nie eine wirkliche Bedrohung. Mit weniger entwickelten Kulturen auf Starkad haben wir mehr Erfolg. Kursoviki ist zu stolz und selbstbewu?t, ich mochte sogar sagen, zu intellektuell und kultiviert, um uns so ernst zu nehmen, wie wir es gern mochten. Das Abenteuer, von dem Fahnrich Flandry Ihnen berichtet hat, wird uns vielleicht die Tur zum Vertrauen dieser Leute ein wenig weiter offnen.“
Hauksberg nickte nachdenklich. „Mir scheint auch dieser Gefangene sehr wichtig zu sein. Ich will ihn sehen.“
„Was?“ bellte Abrams. „Unmoglich!“
„Warum?“
„Wieso, das ist…“
„Es liegt im Interesse meines Auftrags“, unterbrach Hauksberg kuhl. „Ich mu? darauf bestehen. Vielleicht liegt hier der Schlussel zu etwas bei weitem Wichtigeren, namlich zum Frieden.“
„Wie das?“
„Wenn Sie ihn so ausquetschen, wie Sie es nach meinem Gefuhl vorhaben, werden Sie viel uber seine Kultur erfahren. Es werden keine gesichtslosen Wesen mehr sein, sondern wirkliche Geschopfe mit Sorgen und Wunschen. Wir konnen — das ist nicht undenkbar, wissen Sie — wir konnen diesen lokalen Rassenkrieg vielleicht abwenden. Friedensverhandlungen zwischen den Landleuten und ihren Nachbarn!“
„Oder zwischen Wolfen und Schafen?“ versetzte Abrams argerlich. „Wie wollen Sie damit anfangen? In der Nahe unserer U-Boote lassen sie sich nicht blicken.“
„Fahren Sie mit den Schiffen der Eingeborenen auf See hinaus.“
„Dazu haben wir nicht die Leute. Es gibt wahrscheinlich keinen einzigen Menschen mehr, der wei?, wie man mit diesen Seglern umgehen mu?, und das Segeln auf Starkad ist ohnedies eine besondere Sache. Wir sollten Leute von Kursoviki dazu bringen, da? sie mit uns zu Friedensverhandlungen fahren? Hah!“
„Flandry hier ist mit ihnen befreundet. Wie ware es, wenn er sie fragte?“
„Oh!“ Persis fa?te Flandrys Arm. „Wenn Sie das konnten…“
Er errotete und sagte, es ware ihm ein Vergnugen. Abrams warf ihm einen dusteren Blick zu. „Nicht ohne Befehl, versteht sich“, sagte er grollend.
„Daruber werden wir uns noch unterhalten“, erklarte Graf Hauksberg. „Aber meine Herren, dies sollte ein zwangloser Abend sein. Vergessen wir die Geschafte und nehmen wir uns des kalten Bufetts an, meinen Sie nicht?“
In der Mitte eines gro?en, hell erleuchteten Raumes schwamm der Siravo oder Seetroll in einem Wassertank, umgeben von Apparaten und Me?instrumenten.
Er war gro?, zweihundertzehn Zentimeter lang und dick wie eine Robbe. Seine zah und widerstandsfahig aussehende Haut war am Rucken tiefblau gefarbt, wahrend der Bauch ein blasses Grunblau zeigte. Der Korperbau entsprach etwa dem, was man sich unter einer Kreuzung von Delphin und Robbe vorstellen konnte, aber die vorderen und hinteren Flossen waren Muskelgebilde von wunderbarer Vielseitigkeit, die auch als Greifwerkzeuge gebraucht werden konnten. Dem Rucken entwuchs eine fleischige Haifischflosse und hinter dem Kopf befanden sich an der Bauchseite zwei kurze, kraftige Arme mit je vier nagellosen Fingern. Der Kopf war massiv, mit stumpfer Schnauze, gro?en goldenen Augen und einem Mund, der Lippen hatte.
Als Hauksberg, Abrams und Flandry eintraten, prasentierten die vier wachhabenden Marineinfanteristen ihre Gewehre. Die Techniker blickten von ihren Instrumenten auf und nahmen Haltung an.
„Ruhren“, sagte Abrams. „Wie schaut es aus, Leong?“
„Ermutigend, Chef“, antwortete der diensttuende Wissenschaftler. „Die Auswertung der neurologischen Untersuchung und des Enzephalogramms ergibt, da? er mindestens eine halbintensive Behandlung mit der Hypnosonde ohne bleibende Schaden uberstehen wird. In ein paar Tagen werden wir den Apparat soweit vervollkommnet haben, da? er unter Wasser eingesetzt werden kann.“
Hauksberg ging an den Wasserbehalter. Der Schwimmer bewegte sich auf ihn zu. Ihre Blicke begegneten sich; es waren schone Augen, die ihn aus dem Wasser ansahen. Hauksberg errotete und wandte sich um. „Wollen Sie dieses Geschopf qualen?“ fragte er streng.
„Eine kurze Behandlung mit der Hypnosonde ist nicht schmerzhaft, Graf“, sagte Abrams.
„Sie wissen, was ich meine. Psychologische Qualerei kann genauso schlimm sein, und das um so mehr, als er sich in den Handen fremder Wesen befindet. Ist Ihnen schon einmal der Gedanke gekommen, da? man mit ihm sprechen konnte?“
„Wir wissen nur wenig von seiner Sprache. Die fruhen Expeditionen haben diese Rasse erforscht, aber das war in der Kimraigsee, wo jetzt die Merseier sind. Moglich, da? dort eine ganz andere Sprache gesprochen wird. Der kulturelle Hintergrund von unserem Freund hier ist uns vollig unbekannt. Und er hat sich bisher nicht gerade willig zur Zusammenarbeit gezeigt.“
„Wurden Sie sich in seiner Lage anders verhalten?“
„Ich glaube nicht. Aber wir konnen nicht zuwarten, bis er sich eines Besseren besinnt. Seine Leute konnen eine gro?ere Operation planen, vielleicht gegen Siedlungen auf dem sudlichen Archipel. Oder er geht uns hier in