ignorieren, als er uber das Deck schwankte, obwohl das Bein selbst andere Gedanken zu hegen schien. Unglucklicherweise waren diese Gedanken nicht sehr zusammenhangend.

Manchmal verlangte das Bein seine ganze Aufmerksamkeit, und dann wieder schien es sich von ihm zu losen, zu verschwinden. Er drehte sich nicht um, um nachzusehen, ob es noch da war. Was vor ihm war, das war viel wichtiger.

Der Junge hatte noch Blut, als Mancini ihn erreichte, und sein Herz funktionierte noch und pumpte es durch den Korper. Er verlor die Flussigkeit nicht so schnell, wie es von weitem ausgesehen hatte, aber offensichtlich mu?te man etwas fur seine rechte Hand tun — oder fur das, was davon ubriggeblieben war, den Daumen und etwa die halbe Handflache. Als der Mechaniker studiert hatte, war man in den Erste-Hilfe-Kursen gerade von der Aderpresse abgekommen, aber er hatte ein Alter erreicht, in dem er seine eigene Urteilskraft uber Regeln stellte.

Er benutzte einen Gurtel als Aderpresse.

Nachdem er die anderen Verletzungen des Jungen inspiziert hatte, stellte er fest, da? er im Augenblick nichts dagegen unternehmen konnte. Sie bluteten langsam, und eine erste Hilfe wurde durch die Glassplitter erschwert, die aus den Wunden ragten. Gesicht, Brust und Beine waren aufgeschlitzt, aber die Blutung war nicht sehr schlimm, wie Mancini zumindest hoffte.

Die kleineren Wunden gerannen bereits.

Dandridge war bereits wieder auf den Beinen, stark angeschlagen, aber offensichtlich hatte er das Ungluck am besten von den sechs Mannern uberstanden.

„Was kann ich tun, Marco?“ fragte er. „Alle anderen sind bewu?tlos. Soll ich…“

„Tu nichts mit ihnen, bevor wir nicht sicher sind, da? sie sich nicht das Ruckgrat gebrochen haben. Solange sie bewu?tlos sind, geht es ihnen noch verhaltnisma?ig gut. Zumindest ware das bei mir der Fall.“

„Es sind doch Drogen im Erste-Hilfe-Kasten! Ich konnte dir eine Betaubungsspritze geben.“

„Noch nicht. Wenn das Bein zu schmerzen aufhort, verliere ich womoglich das Bewu?tsein. Und ich mu? wach bleiben, bis Hilfe eintrifft. Die Ausrustung des Laboratoriums ist nicht auf Reparaturen eingerichtet, aber wenn damit improvisiert werden mu?, so mu? ich es tun. Aber ich konnte mich besser bewegen, wenn das Bein geschient ware.“

Funf Minuten spater befand sich Mancinis Bein von der Mitte des Oberschenkels abwarts in einer plumpen, aber verhaltnisma?ig festen Hulle aus hartgewordenem Schaumstoff. Das Bein schmerzte noch immer, aber Mancini konnte sich jetzt bewegen, ohne befurchten zu mussen, da? er damit dem Bein noch mehr Schaden zufugte.

„Gut. Und jetzt sieh nach, ob die Kommunikationsausrustung die Erschutterung uberstanden hat. Ich werde sehen, was ich fur die anderen tun kann. Bewege den Captain und Ishi nicht.

Ruhre sie nicht an, bevor ich sie behandelt habe.“

Dandridge ging zur Kontrolltafel der Kommunikationssektion und begann auf Schalter zu drucken. Er war kein ausgebildeter Radiomann. Ein solcher Spezialist befand sich nicht auf der Haifisch, aber wie jedes kompetente Mannschaftsmitglied, konnte er die Gerate des Schiffes unter normalen Umstanden bedienen. Rasch stellte er fest, da? die Empfangsgerate nicht funktionierten, aber der Sender schien intakt zu sein. Er druckte auf die erforderlichen Knopfe und berichtete der Au?enwelt vom traurigen Zustand der Haifisch. Er wu?te nicht, ob die Signale auch tatsachlich ihr Ziel erreichten, aber er war nicht sonderlich besorgt. Die Haifisch war theoretisch unsinkbar. Ein gro?er Teil ihres Volumens war mit Schaumstoff gefullt, der sie uber Wasser halten wurde. Das Problem war nur, ob Hilfe eintreffen wurde, bevor es fur die verletzten Manner nicht zu spat war.

Nachdem er zehn Minuten lang gesendet hatte, kehrte Dandridge zu dem Mechaniker zuruck und fand ihn reglos auf dem Deck. Einen Augenblick lang dachte Dandridge, er habe das Bewu?tsein verloren, aber dann sprach Mancini.

„Ich habe alles getan, was mir im Augenblick moglich war.

Ich habe Joes Arme geschient und Ricks Blutungen gestoppt.

Ishi hat eine Schadelfraktur und der Captain zumindest eine Gehirnerschutterung. Bewege die beiden nicht. Wenn es dir gelungen ist, in Kontakt mit der Guppy zu kommen, dann berichte ihnen von den Verletzungen. Wir brauchen Geninformationen aus Denver fur Rick, wahrscheinlich auch fur Ishi und fur den Captain. Und dann sollen sie gleich beginnen, Blut fur Rick herzustellen, sobald sie die Gendaten haben. Er hat ziemlich viel Blut verloren.“

„Ich wei? nicht, ob ich Kontakt habe, aber ich werde es Ihnen auf jeden Fall sagen“, erwiderte Dandridge und kehrte an die Kontrolltafel zuruck. Von dort drehte er sich noch einmal um.

„Brauchst du nicht selbst Reparaturen?“

„Nicht, solange die Fragmente meines Beines so schmerzen.

Erzahle ihnen nur, da? ich mehrfache Beinfrakturen habe. Wie ich Bert Jellinge kenne, werden Genblocke fur uns alle in den Maschinen wachsen, noch bevor wir auf der Guppy sind.“

Dandridge musterte ihn besorgt.

„Soll ich dir nicht doch lieber eine Spritze geben? Du sagtest ja, du hattest alles getan, was du tun konntest, und es tut dir vielleicht ganz gut, ein wenig zu schlafen und die Schmerzen zu vergessen. Nun?“

„Gib erst den Bericht durch. Ich kann es noch aushalten. Au ?erdem habe ich nur unvollkommene Arbeit leisten konnen.

Wenn die Wellen starker werden sollten, mu? ich die Burschen neu versorgen. Wenn du den Bericht durchgegeben hast, sieh nach Rick. Ich glaube, seine Blutungen haben aufgehort, aber solange er nicht auf dem Reparaturtisch liegt, habe ich keine ruhige Minute.“

„Dann willst du also wach bleiben?“

„Von Wollen kann keine Rede sein. Aber wenn du in dem Zustand des Jungen warst, wurdest du es dann gern sehen, wenn ich einschliefe?“

Darauf wu?te Dandridge keine Antwort und wandte sich dem Kommunikationsgerat zu.

Seine Signale wurden gehort. Die Seeal, der Fischtender, der sich in der Nahe der Haifisch befand, bewegte sich bereits auf das beschadigte Schiff zu. Sie hatte vierzig Kilometer zuruckzulegen.

Auf der Guppy hatte der Chefmechaniker Mancinis Voraussagen wahr gemacht. Er hatte bereits mit Denver Kontakt aufgenommen, und Rick Stubbs Genkode wurde bereits abgestrahlt. Glucklicherweise waren die Kommunikationskanale gerade von der Uberstrapazierung entlastet worden, die eine gefahrliche Explosion in Pittsburgh verursacht hatte. Dabei waren funfzig Leute so schwer verletzt worden, da? Reparaturen dritten Grades erforderlich waren. Die Durchgabe der Daten wurde uber eine Stunde in Anspruch nehmen, auch bei Hochstgeschwindigkeit. Aber schon wahrend der ersten zehn Minuten wurde man genug Informationen erhalten, die dann mit den Daten im Computer der Guppy kombiniert werden konnten, um mit der Herstellung des Blutes beginnen zu konnen.

Das gro?e Mutterschiff fuhr bereits zum Schauplatz des Unfalls, um den Weg der Seeal, die die Opfer an Bord nehmen wurde, abzukurzen. Das Operationszentrum auf Kap Farewell hatte angeboten, eine Mastodon zu schicken, einen der gigantischen Hubschrauber, die imstande waren, ein Schiff von der Gro?e der Haifisch zu transportieren. Nach kurzer Uberlegung hatte der Kommandant der Guppy das Angebot abgelehnt. Damit hatte man sogar Zeit verloren.

Mancini hatte dem Kommandanten recht gegeben, wenn er an der Diskussion hatte teilnehmen konnen. Aber als Dandridge zum zweitenmal seinen Bericht durchgegeben hatte, war der Mechaniker bereits in Ohnmacht gefallen.

Dandridge nahm an, da? die Bewu?tlosigkeit seinem Freund nur gut tun konnte. Aber er war nicht allzu glucklich daruber, da? er nun der einzige an Bord war, der die Verantwortung zu tragen hatte. Die halbe Stunde, die die Seeal brauchte, um die Haifisch zu erreichen, verstrich nicht sehr angenehm fur ihn, obwohl nichts passierte. Sogar sechzig Jahre spater, wenn die Geschichte bereits mit schweren nordatlantischen Wintersturmen ausgeschmuckt wurde, fand er keine adaquaten Worte, um seine Gefuhle wahrend dieser drei?ig Minuten zu beschreiben.

Die Struktur der Schiffe lie? einen Transfer zu, wenn sie Bug an Bug lagen, aber das war nur bei ruhiger See moglich. Bei dem jetzigen Wellengang gelang es dem Kommandanten der Seeal nicht, den Bug naher als bis auf zehn Meter an das beschadigte Schiff heranzubringen.

Ein Taucher sprang von der Seeal ins Wasser und schwamm zu dem hilflosen Schiff. Dandridge sah ihn kommen, ging zu seiner Schalttafel, und zu seiner Uberraschung lie? sich die Klappe offnen, und auch die Leiter senkte sich herab. Ein paar Sekunden spater stand der Taucher neben ihm auf dem Deck.

Nachdem Dandridge ihm die Situation zehn Sekunden lang erklart und er selbst sich zwei Sekunden lang umgesehen hatte, war ihm alles klar. Er sprach in das Funkgerat, das zu seinem Taucheranzug gehorte, und wenige Sekunden spater loste sich ein Flo? mit zwei weiteren Mannern von der Seeal. Einer da von war ein Mechaniker, und er verschwendete keine Zeit.

„Hullt die Korper in Schaumstoff. Nur die Gesichter nicht.

Dann konnen wir sie auf die Reparaturtische bringen, ohne da? sie irgendwelche Gliedma?en bewegen. Sie sagten, Marco glaube, da? es Schadel- und Ruckgratfrakturen gabe?“

„Er sagte, Ishi haben einen Schadelbruch und Winkle konnte moglicherweise einen haben. Und er meinte, wir mu?ten vorsichtig sein, weil auch Ruckgratverletzungen denkbar sind.“

„Gut. Ruhen Sie sich aus. Ich mache das schon.“ Der Neuankommling ging an die Arbeit.

Zwanzig Minuten spater glitt die Seeal der Guppy entgegen.

Rick Stubbs wu?te, wo er war, als er die Augen offnete. Aber er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie er hierhergekommen war. Er konnte sehen, da? er von Bluttransfusionsinstrumenten umgeben war, von elektronischen Kreislaufanregern und Nervensystemstarkern, von einem Sammelsurium aus Nadeln, Kapillargefa?en und Computern, die zu einer Regenerationsausrustung gehorten. Aus all dem konnte er entnehmen, da? er verletzt worden war. Die Tatsache, da? er den Kopf und den rechten Arm nicht bewegen konnte, bestatigte diese Vermutung.

Aber er hatte keine Ahnung, welcher Art seine Verletzungen waren und wie er sie sich zugezogen hatte.

Er erinnerte sich, da? er mit Mancini im Laboratorium gesprochen hatte. Aber er wu?te nicht mehr, was sie zuletzt gesagt hatten. Das Bild war verwischt, als er aus dem Nebel der Bewu?tlosigkeit auftauchte.

Er konnte niemanden sehen. Aber vielleicht lag das daran, da? er den Kopf nicht wenden konnte. Konnte er sprechen? Es gab nur eine Moglichkeit, das herauszufinden.

„Ist hier jemand? Was ist mit mir passiert?“ Es klang nicht wie seine eigene Stimme, und die Anstrengung des Sprechens verursachte Schmerzen in seiner Brust und im Magen. Aber offensichtlich waren seine Worte verstanden worden.

„Wir sind alle hier, Rick. Ich dachte mir schon, da? du jetzt aufwachen wurdest.“ Mancinis Kopf erschien in Stubbs’ begrenztem Blickfeld.

„Wir sind alle hier? Sind alle verletzt? Was ist passiert?“

„Ich mu? mich ein wenig korrigieren — die meisten von uns sind hier. Einer nicht mehr. Mach dir nicht die Muhe, Fragen zu stellen. Ich wei?, da? du Schmerzen beim Sprechen hast.

Ich erzahle dir alles. Gil war vor einer Weile noch hier. Aber er hatte nur geringfugige Verletzungen und ist bereits wieder auf seinem Posten. Wir anderen waren schwerer verletzt. Mein rechtes Bein war ein Puzzlespiel. Bert verbrachte spannende und interessante Stunden damit. Ich dachte schon, er mu?te es abnehmen und ein neues machen, aber er schaffte es in funf Stunden manueller Reparatur und in zwei Stunden Regeneration, und so werden mir die paar Monate, die ich vielleicht in einem Computer hatte verbringen mussen, erspart. Ich bin noch immer geschient, aber nur mehr fur ein paar Tage.

Bis jetzt wei? niemand, was eigentlich passiert ist. Offenbar ist die Haifisch bei voller Geschwindigkeit gegen irgend etwas gesto?en. Sie schleppen das Schiff ab. Ich hoffe, wenn man es untersucht, wird man feststellen konnen, was mit der Haifisch geschehen ist.“

„Was ist mit den anderen?“

„Ishi ist angeschlossen. Er wird etwa eine Woche Computer- Regeneration brauchen. Aber genau kann man das erst sagen, wenn wir die Schaden in seinem Gehirn festgestellt haben, und das konnen wir erst, wenn er das Bewu?tsein wiedererlangt hat. Er hatte eine schlimme Schadelfraktur. Der Kapitan war auch bewu?tlos, und bei der ersten Untersuchung konnte ich ein paar gebrochene Rippen feststellen, die schwere innere Verletzungen verursachten. Bert versucht immer noch, ihn ohne Regeneration hinzukriegen, aber ich glaube nicht, da? er es schafft.“

„Sie haben doch auch nicht geglaubt, da? er Sie hinkriegt.“

„Das stimmt. Aber vielleicht konnte ich mir nur nicht vorstellen, da? ich es geschafft hatte. Vielleicht fallt es mir schwer, zuzugeben, da? Jellinge ein besserer Mechaniker ist als ich.“

„Und was ist mit Joe?“

„Beide Arme gebrochen und viele Verletzungen. Aber er wird bald in Ordnung sein. Bleibst noch du ubrig, mein Junge.

Du bist nicht direkt ein kritischer Fall, aber du wirst einige Prozeduren uber dich ergehen lassen mussen. Legst du viel Wert auf deine Fingerabdrucke?“

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